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»Es hat keinen Sinn, diese Schweine zu verklagen. Die können doch die brutalsten, schlimmsten Vergewaltigungen begehen und kriegen dafür dann ein paar Monate oder, wenn es hochkommt, anderthalb Jahre. Und danach sind sie wieder auf freiem Fuß. Ihr könnt da gar nichts machen.

Da gibt es keine Stelle, an die man sich wenden kann, wenn man Hilfe braucht. Man muss ganz einfach bezahlen. Egal, wie man das anstellt. Ich hab das Geld genommen, und ich hab bezahlt. Vielleicht habe ich ihn wegen dem Geld umgebracht, vielleicht wegen Reynir. Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht …«

Sie schwiegen beide.

»Es war einfach aus bei mir«, fuhr sie fort. »Ich habe noch nie so etwas erlebt, ich bin noch nie so durchgedreht vor Wut. Ich habe plötzlich wieder vor mir gesehen, was in dieser Hütte passiert ist. Hab sie vor mir gesehen. Das ist alles vor mir abgespult, und da hab ich das Messer genommen und versucht, zuzustechen, wo ich konnte. Er hat versucht, sich zu wehren, aber ich habe immer wieder zugestochen, bis er sich nicht mehr bewegt hat.«

Sie schaute Erlendur an.

»Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwierig ist. Dass es so schwierig ist, jemanden umzubringen.«

Elinborg erschien in der Zimmertür und gab Erlendur zu verstehen, dass sie sich wunderte, was da drinnen passierte und warum das Mädchen nicht festgenommen würde.

»Wo ist das Messer?«, fragte Erlendur.

»Das Messer?«, wiederholte Ösp und kam auf ihn zu.

»Das du verwendet hast.«

Sie zögerte einen Augenblick.

»Ich habe es wieder an seinen Platz getan«, sagte sie dann.

»Ich habe es gründlich gereinigt, sodass man nichts sehen konnte. Es lag schon wieder an Ort und Stelle, bevor ihr gekommen seid.«

»Und wo ist es?«

»Ich habe es an seinen Platz getan.«

»In der Küche, zusammen mit den anderen Messern?«

»Ja.«

»Es gibt bestimmt fünfhundert solcher Messer im Hotel«, sagte Erlendur resigniert. »Wie sollen wir es finden?«

»Ihr könnt beim Weihnachtsbüfett beginnen.«

»Beim Weihnachtsbüfett?«

»Da isst bestimmt gerade jemand damit.«

Vierunddreißig

Erlendur überließ Ösp Elinborg und den Polizisten und beeilte sich, wieder zurück zu seinem Zimmer, wo Eva Lind auf ihn wartete. Er steckte seine Karte in den Schlitz, riss die Tür auf und sah, dass Eva Lind das große Fenster weit geöffnet hatte. Sie saß auf dem Fensterbrett und starrte nach unten, wo der Schnee einige Stockwerke tiefer zu Boden fiel.

»Eva«, sagte Erlendur ruhig.

Eva sagte etwas, was er nicht hören konnte.

»Komm, mein Mädchen«, sagte er und näherte sich ihr vorsichtig.

»Das sieht ganz einfach aus«, sagte Eva Lind.

»Eva, komm«, sagte Erlendur leise. »Komm nach Hause.«

Sie drehte sich um. Sie schaute ihn eine ganze Weile an und nickte dann.

»Gehen wir«, sagte sie leise, schwang sich vom Fensterbrett herunter und machte das Fenster zu.

Er ging zu ihr hin und küsste sie auf die Stirn.

»Habe ich dir deine Jugend geraubt?«, fragte er leise.

»Hä?«, sagte sie.

»Nichts«, sagte er.

Erlendur schaute ihr lange in die Augen. Manchmal konnte er weiße Schwäne darin erkennen.

Jetzt waren sie schwarz.

Erlendurs Handy klingelte im Aufzug auf dem Weg nach unten ins Foyer. Er erkannte die Stimme sofort.

»Ich wollte dir bloß frohe Weihnachten wünschen«, sagte Valgerður, und es hatte den Anschein, als flüsterte sie ins Telefon.

»Danke gleichfalls«, sagte Erlendur. »Frohe Weihnachten.«

Als sie ins Foyer kamen, schaute Erlendur in den Speisesaal, der voller Ausländer war, die sich an den feierlich gedeckten Tischen in allen möglichen Sprachen so angeregt unterhielten, dass das Stimmengewirr das ganze Erdgeschoss erfüllte. Er konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass einer von ihnen die Mordwaffe in der Hand hielt.

Er sagte dem Empfangschef, dass es durchaus sein konnte, dass Rósant die Frau auf ihn angesetzt hatte, die mit ihm geschlafen und dafür Geld verlangt hatte. Der Empfangschef sagte, dass ihm auch schon dieser Verdacht gekommen sei. Er hatte bereits den Hoteleigentümern mitgeteilt, was hier im Hotel vor sich ging, aber er war sich nicht sicher, ob in dieser Sache etwas unternommen werden würde.

Erlendur sah, wie der Hotelmanager aus einiger Entfernung Eva Lind erstaunt anstarrte. Er wollte ihn einfach ignorieren, aber der Hotelmanager reagierte sofort und steuerte auf ihn zu.

»Ich wollte mich bloß bei dir bedanken, und du brauchst selbstverständlich nicht für das Zimmer zu bezahlen!«

»Ich habe die Rechnung bereits beglichen«, sagte Erlendur.

»Auf Wiedersehen.«

»Was ist mit Henry Wapshott?«, fragte der Hotelmanager, der jetzt dicht vor Erlendur stand. »Was wollt ihr mit ihm machen?«

Erlendur blieb stehen. Er hielt Eva Lind an der Hand, die den Hotelmanager stumpf anstarrte.

»Wir schicken ihn zurück nach England. Sonst noch was?«

Der Hotelmanager schwankte. »Wirst du etwas wegen dem unternehmen, was dir das Mädchen vorgelogen hat, das mit den Konferenzgästen?«

Erlendur spürte irgendwie eine innere Genugtuung. »Machst du dir Sorgen deswegen?«, fragte er.

»Das ist alles gelogen.«

Erlendur legte seinen Arm um Eva Lind, und sie machten sich gemeinsam auf den Weg.

»Das wird sich herausstellen«, sagte er.

Sie durchquerten das Foyer, und Erlendur sah, dass alle Leute stehen geblieben waren und sich umblickten. Die kitschigen amerikanischen Weihnachtslieder waren verstummt.

Erlendur lächelte im Stillen. Der Empfangschef war seinem Wunsch nachgekommen und hatte andere Musik aufgelegt. Er dachte an die Plattenauflage. Er hatte Stefania danach gefragt, ob ihr bekannt wäre, wo der Rest von den Platten sein könnte, aber sie wusste es nicht. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wo ihr Bruder die Platten aufbewahrt hatte, und fand es unwahrscheinlich, dass sie jemals gefunden würden.

Nach und nach verebbte das Stimmengewirr im Speisesaal. Die Hotelgäste blickten einander mit erstaunten Mienen an, und schauten suchend zur Decke, denn von oben drang dieser wunderbar schöne Gesang an ihre Ohren.

Die Hotelangestellten rührten sich nicht vom Fleck und lauschten.

Es war, als bliebe die Zeit stehen.

Sie verließen das Hotel, und Erlendur sang das schöne Lied des Knaben Guðlaugur im Stillen mit. Und wieder spürte er in der Stimme des Jungen diese tiefe Sehnsucht.

O Vater, schür mein kleines Licht im kurzen Lauf des Lebens …