Renard zweifelte daran.
»Bisher haben Sie nicht viel Glück gehabt«, meinte er.
»Aber es ging bisher um zwei harmlose Tiere. Jetzt wird die Suche intensiv durchgeführt werden.«
»Wenn sie gefunden werden, unterrichten Sie Botschafter Ortega aus Ulik in Zone«, sagte Renard, »und sorgen Sie dafür, daß sie sofort in das Tor kommen.«
Renard verabschiedete sich. Als er auf Domaru zuging, fiel ein großer Schatten über ihn. Er fuhr herum und schaute hinauf. Eine Yaxa sank auf ihn herab.
Er streckte den Arm aus, um seine elektrische Ladung abzuschießen, aber die Yaxa flatterte mit den Flügeln, wich ein wenig zurück und rief:»Warten Sie! Keine Angst! Im Augenblick sind wir keine Gegner!«
Renard zögerte. Die Yaxa sank zwischen ihm und Domaru auf den Boden. Der Pegasus zuckte und starrte das Wesen argwöhnisch an.
»Sie sind die Yaxa, die nach Mavra Tschang sucht. Die Besatzung der ›Toorine Trader‹ hat von Ihnen gesprochen«, sagte Renard. »Weit von zu Hause fort, nicht? Versuchen Sie die Konkurrenz auszuschalten?«
»Ich würde ihr nichts tun«, erwiderte der große Falter mit kalter Stimme. »Darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Mein einziges Interesse im Augenblick ist ihr Wohlergehen. Ich kann Ihnen versichern, daß ich im Lauf der vielen Jahre diejenige gewesen bin, welche sie vor Verschwörungen meines Volkes und seiner Verbündeten geschützt hat.«
»Und warum?«fragte Renard skeptisch.
»Das kann ich jetzt nicht sagen. Vielleicht später einmal. Ich weiß, daß es unsinnig ist, Sie unter Druck zu setzen. Wollen wir es exakter ausdrücken? Ich und mein Volk sind bittere Feinde Antor Treligs, wie Sie. Genügt es im Augenblick nicht, zu sagen, der Feind meines Feindes sei mein Freund?«
»Trelig?«sagte Renard verwirrt. »Was hat er damit zu tun?«
»Es war Trelig, der den Anschlag auf sie in Glathriel inszeniert hatte. Es waren Treligs Killer, die sie in die Flucht getrieben haben. Er hat keinen Zugang zum Norden. Das war der einzige Weg. Es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, daß sie nicht in seine Hände fällt.«
»Sie glauben, Trelig will es noch einmal versuchen? Nach allem, was ich von der Besatzung der ›Trader‹ gehört habe, sind seine Leute in die Luft gesprengt worden.«
»Das ist wahr, aber sie waren nur Handlanger — einige wenige von Zehntausenden, die aus Gewinnsucht für ihn arbeiten. Einige davon suchen jetzt nach ihr. Meine Gehilfin versucht zur Zeit, etwas über ihre Pläne zu erfahren; sie ist klein und kann an Stellen gelangen, die uns verschlossen wären.«
Das interessierte ihn.
»Sprechen Sie von einer Lata?«
»Sie sind gut informiert. Ja, eine Lata — wie Sie nicht eine der engen Freundinnen der Yaxa, aber wir haben beschlossen, lieber zusammenzuarbeiten, als gegeneinander zu kämpfen. Sie sollten sich uns anschließen. Damit werden unnötige Gewalt und doppelte Anstrengung vermieden — und ihr seid für den Fall, daß Sie meinen Motiven immer noch mißtrauen, zu zweit.«
Renard mißtraute ihr tatsächlich, aber was sie sagte, klang vernünftig.
»Also gut, tun wir uns vorübergehend zusammen. Ich bin Renard.«
»Ich weiß. Mein Name ist Wooly. Die Lata kennen Sie, glaube ich — sie heißt Vistaru.«
Es war eine Überraschung für ihn, obwohl er beinahe damit gerechnet hatte.
»Wann wird sie kommen?«fragte er.
»Sie wird sich hier mit uns treffen, sobald sie kann«, erwiderte Wooly. »Inzwischen tauschen wir unsere Informationen aus und versuchen die Suche einzuengen.«
Es schien wenig Sinn zu haben, mit seinem Wissen zurückzuhalten. Wenn er sich weigerte, würde die Yaxa einfach zu dem Wildhüter gehen. Er berichtete.
Schließlich fragte Wooly:»Wenn sie nach Gedemondas will, wird sie ohne Zweifel schon an der Küste sein. Wie gedenkt sie über das Meer zu kommen? Sie kann nicht einmal sprechen.«
Renard dachte kurze Zeit nach.
»Wenn es irgendeinen Weg gibt, wird Mavra ihn finden.«
Hygit, Haupthafen von Wuckl
Es roch nach Fisch und Salz. Der schmale Strand war von Docks und Landungsbrücken überzogen, die zumeist aus formbarem, aber widerstandsfähigem Holz aus der Gegend angefertigt waren. Auf manchen standen Häuser aus Holz und Aluminium. Es war der Hafen Hygit, wo die einzigartigen Gemüse und Früchte des Landes im Austausch gegen Rohstoffe verschifft wurden.
Mavra und Joshi hatten einige Tage unter einem der Handelspiers gelebt — unter einem Fischmarkt, wo kleine Boote gegen Mittag ihre Fänge aus dem Meeres-Hex Zanti anlieferten. Zu essen gab es hier genug.
Die starken Stützen und Pfeiler der Landungsbrücken boten eine natürliche Zuflucht. Der Sand, soweit hier noch vorhanden, war grauschwarz, das Holz von verwittertem Braun, so daß sie mit der Umgebung verschmolzen.
Es war auch ein guter Ort, um andere zu belauschen. Sie hockten unter den kleinen Straßenbars, die von Seeleuten und Wuckl-Dockarbeitern frequentiert wurden, und Mavra erfuhr die Dinge, die sie wissen wollte.
Das Datum überraschte sie am meisten. Es waren nur knapp über drei Wochen vergangen. Die ›Toorine Trader‹ sollte erst in vier Tagen eintreffen, also blieb noch Zeit genug. Ein Schwesterschiff lag schon im Hafen. Mavra kannte auch deren Besatzung, aber diese kannte weder die Vorgänge, noch war sie bestochen worden, und sie mochte deshalb für Mavras Absichten nicht so geeignet sein. Die beiden konnten sich im Schiff aber umsehen; in Wuckl war große Ehrlichkeit verbreitet, und man ließ die Luken offen, wenn die Arbeiter Pause machten.
Die Tschangs hätten sich einfach als blinde Passagiere an Bord schleichen können, aber Mavra dachte an etwas Besseres.
Spätnachts schlich sie in das Lagerhaus. Die Güter waren mit großen Karten gekennzeichnet, die an den Kisten befestigt waren. Da am Interhex-Handel so viele Rassen beteiligt waren, trug jede Karte ein Hex-Symbol.
Manchmal wurde auch lebendige Fracht befördert; es gab Käfige von unterschiedlicher Größe und Form, und sie und Joshi suchten sich einen aus. Sie ließ sich von Joshi einsperren und bemühte sich, den Käfig von innen zu öffnen. Es war nicht leicht.
Während sie noch arbeitete, hörten sie ein Geräusch. Der Wachmann machte seine Runde, und Mavra befand sich noch im Käfig. Joshi überlegte kurz, ob er sie herauslassen sollte, fürchtete aber den Lärm und versteckte sich statt dessen hinter Kisten. Mavra blieb nichts anderes übrig, als sich im Schatten zusammenzukauern und den Atem anzuhalten.
Der Wuckl ging auf seinen großen Vogelfüßen langsam vorbei, leuchtete hierhin und dorthin. Der Lichtstrahl kam näher, und Mavra wünschte sich, im Boden versinken zu können, aber die Lampe schwenkte in die andere Richtung, und der Wuckl verließ das Lagerhaus. Sie konnten aufatmen, doch Mavra war tief betroffen. Eingesperrt und hilflos zu sein, war ein ganz neues Gefühl für sie; sie haßte und fürchtete es.
Sie beschäftigte sich wieder mit dem Käfigschloß und grunzte schließlich:»Es geht nicht. Hol mich heraus. Wir versuchen etwas anderes.«
Die Riegel waren mit Joshis flacher Schnauze von außen ohne Mühe zu öffnen, und sie sprang erleichtert hinaus. Nachdem sie sich erholt hatte, suchte sie weiter.
Ein großes Problem bestand darin, daß alles so hoch war und sie so niedrig gebaut waren. Selbst in ihrer alten Gestalt war sie über einen Meter hoch gewesen; jetzt, mit den kürzeren Schweinefüßen, streifte ihr dicker Bauch fast am Boden, und sogar ein gewöhnlicher Tisch erschien als riesiges Hindernis.
Sie fand das Büro des Lagerhausleiters und schaute sich am Boden um. Es war dunkel. Der Lichtschalter hätte ebensogut ein Lichtjahr entfernt sein können, aber sie hatte fast ihr halbes Leben andere Sinne gebrauchen müssen, die jetzt viel geschärfter waren.
Endlich fing sie den Geruch auf; er war unverwechselbar. Sie kroch halb unter einen Schrank und zog einen dicken Fettstift heraus.