Die Stadt war aus gekrümmtem Glas erbaut, oder so sah sie jedenfalls aus. Riesige Türme erhoben sich in den Himmel, und selbst Nebengebäude sahen halb geschmolzen, verdreht oder in anderer Weise mißgestaltet aus. Tausende von Kristallwesen wie des Torshinds Ptir huschten hin und her. Nach den Wünschen ihrer Besitzer auf großen Kristallfarmen gezüchtet, gab es Gebilde in allen denkbaren Formen. Nur selten sah die Gruppe jedoch einen Yugash in seiner ursprünglichen Erscheinung.
Der große, für sie vorbereitete Raum war überaus bequem; man hatte Teppiche gelegt und die Wände verhängt, und für alle Bedürfnisse war reichlich gesorgt. Nur ein gelegentliches Zischen der Druckanlage verriet, daß es sich um einen luftdichten Raum handelte und hier allein Atmosphäre und Druck — ein Mittel aus den Verhältnissen in ihren verschiedenen Hexagons — ein Leben für sie ohne Schutzanzüge ermöglichten.
Nachdem Wooly und der Torshind ihren Anzug abgelegt hatten, stöhnte Mavra.
»Ich könnte eine Woche lang schlafen«, sagte sie.
Wooly öffnete mit fäustlingartigen Händen an ihren Greifarmen einen der lederähnlichen Beutel, zog eine große, zusammengefaltete Karte heraus und breitete sie auf dem Boden aus. Die anderen versammelten sich, und der Torshind begann zu sprechen.
»Als erstes haben wir die Atemgeräte so konstruiert, daß sie auch in halb-technischen Hexagons funktionieren«, sagte er. »Das ist zwar gut, aber kein Maß an Speicherung würde auch nur für eine ganze Hex-Seite eines nicht-technischen Sechsecks reichen. Dort hätten Sie bestenfalls acht Stunden. Das heißt, daß solche Hexagons gemieden werden müssen.«Er zeigte mit einem glasigen Arm auf die Karte. »Wie Sie sehen können, sind wir nur vier Hexagons von Bozog, drei von Uchjin entfernt. Eine direkte Route von hier, mit Aussparung nicht-technischer Hexagons, würde über Masjenada nach Poorgl, dann über Nichlaplod nach Bozog führen. Die Poorgl sind aber nicht zur Mitarbeit zu bewegen. Sie haben es abgelehnt, uns durchzulassen, und drohten mit Angriffen, wenn wir es trotzdem versuchen sollten — also müssen wir einen indirekten Weg nehmen.«Der Arm zeigte nach Nordwesten. »Masjenada ist leicht und hilfsbereit; wir sind zwar nicht gerade Freunde gewesen, sind aber auch keine Feinde. Sie schätzen gewisse Minerale als Luxusgüter, und meine Leute waren in der Lage, sie dank der Yaxa aus dem Süden damit zu beliefern. Die Yaxa selbst konnten bei den Oyakot behilflich sein, die andernfalls keinem Yugash helfen würden. Pugeesh ist eine unbekannte Größe. Wir werden dort sehr vorsichtig sein müssen und können uns nur auf uns selbst verlassen. Wohafa wird uns unterstützen, weil freundliche Beziehungen zu Bozog bestehen, und während Uborsk zwar nichts Entscheidendes zu leisten vermag, wird man dort doch tun, was man kann. Die Reise sollte somit verhältnismäßig einfach zu bewältigen sein.«
»Zu einfach«, sagte Yulin besorgt. »Ich werde das Gefühl nicht los, daß die Sache irgendwo einen großen Haken haben muß.«
»Die Entfernung ist groß«, räumte Wooly ein, »und teilweise wird es nicht leicht sein, aber es ist der beste Weg.«
»Und was ist mit der anderen Expedition?«fragte der Dasheen-Minotaurus pessimistisch.
»Ortega hat unter den Yugash seine eigenen Freunde«, erwiderte der Torshind. »Wir können sie hier nicht aufhalten. Aber sie werden mindestens einen Tag hinter uns sein und sich vielleicht für einen anderen Weg entscheiden. Wenn nicht, werden wir ihnen eine Überraschung bereiten müssen.«
Sie begriffen, was das bedeutete. Selbst in einem halb-technischen Hexagon mochte eine Kugel oder ein Pfeil genügen.
Mavra merkte sich das für später. Im Augenblick konnte sie nichts tun, und sie fühlte sich beiden Seiten wenig verpflichtet, bis sie das Raumschiff erreichte. Sie würde nicht erbaut sein, wenn jemand umgebracht wurde, den sie kannte, etwa Renard oder Vistaru — aber wo waren sie die letzten zweiundzwanzig Jahre gewesen?
Inzwischen war sie von den Leuten hier völlig abhängig, und Selbsterhaltung stand stets an erster Stelle.
Yugash, dann Masjenada
Kleine Gestalten zogen durch eine unheimliche Landschaft; überall erhoben sich grauschwarze Felsen, und sie schlängelten sich zwischen ihnen hindurch wie Ameisen durch einen Granitsteinbruch.
Sie waren zu siebt: zwei Makiem-Frösche in weißen Raumanzügen, eine Lata in einem Anzug eigener Konstruktion, ein kleiner Agitar in einem durchsichtigen, hautengen Modell, zwei große Dillianer — einer männlich, einer weiblich —, schwer beladen und überdies noch einen Wagen schleppend, und der Kristallkrebs, in dem der rätselhafte Ghiskind steckte.
»Wieviel Vorsprung haben sie?«fragte Renard.
»Ungefähr sechs Stunden«, erwiderte der Ghiskind. »Nicht sehr viel, aber sie schleppen nicht soviel mit wie wir — wir haben nur zwei Stützpunkte, sie fünf.«
»Dann kommen sie uns auf jeden Fall zuvor«, sagte Vistaru unglücklich. »Mit jeder Stunde wird sich ihr Vorsprung vergrößern.«
»Nicht unbedingt«, erwiderte der Ghiskind. »Wir haben Vorteile, über die sie nicht verfügen. Mein eigenes Unternehmen hat bessere Beziehungen entwickelt, als das dem Torshind und seinesgleichen möglich war, und Ortegas Geschick auf diesem Gebiet hat sich ebenfalls ausgezahlt. Ich glaube, wir haben eine gute Chance. Die Hauptgefahr ist, daß wir mit ihnen zusammentreffen. Wir werden auf eine Falle vorbereitet sein müssen.«
»Wenn ich nur fliegen könnte«, sagte die Lata seufzend. »Dann wäre alles viel einfacher.«Sie war sogar zu klein, um mit den anderen Schritt halten zu können, und fuhr auf dem Proviantwagen mit.
Makorix und Faal, die Dillianer, im Stil ihrer Rasse miteinander verheiratet, zogen den Wagen ohne Klage und Mühe. Yagush besaß eine etwas geringere Schwerkraft als Dillia, was sich günstig auswirkte, wenngleich sie fürchteten, auf Hexagons zu stoßen, in denen das Umgekehrte galt.
»Wie lange noch, bis wir die Grenze erreichen?«sagte Makorix zu dem Yugash.
»Nicht mehr lange«, erwiderte der Ghiskind. »Gleich hinter der nächsten Erhebung.«
Renard schaute sich zweifelnd um.
»Hübscher Ort für einen Hinterhalt«, sagte er. Antor Trelig, der sich mit seinen großen, voneinander unabhängigen Chamäleonaugen ebenfalls umsah, nickte nervös.
»In Yugash wagen sie nichts zu unternehmen«, versicherte der Ghiskind. »Der Kult hat hier nur noch wenig Bedeutung, und meine eigenen Leute haben uns unsichtbar begleitet. Sie kennen unsere Stärke, und sie wissen auch, daß sie einen Angriff auf ihren Haupttempel gewärtigen müßten, wenn sie sich hinreißen ließen. Nein, hier wird es keinen Hinterhalt geben. Und in Masjenada werden wir sie umgehen. Wenn wir sie nicht überholen, werden wir wenigstens nicht mit ihnen zusammenstoßen. Der beste Ort wäre wohl Pugeesh; darüber haben wir nahezu nichts in Erfahrung bringen können. Aber — da, sehen Sie! Da ist schon die Grenze!«
Sie erreichten die Kuppe. Obwohl alle Bewohner der Sechseck-Welt an plötzliche Veränderungen bei den Hex-Grenzen gewöhnt waren, fiel das hier doch aus dem Rahmen.
Die dunkle Ode von Yugash erreichte die unsichtbare Linie, und auf der anderen Seite explodierte der Horizont in Licht und Farbe. Der Boden selbst gleißte. Schillerndes Gelb und Grün und Orangerot, das eigenes Leben zu besitzen schien. Überall auf den gewölbten Ebenen dicke, hellrote Pflanzen, die wie exotische Korallen aussahen. Der Himmel von leuchtendem Hellgrün, mit dünnen, braunen Wolken gesprenkelt. Er schien die vom Boden heraufschimmernden Farben widerzuspiegeln.
»Masjenada«, sagte der Ghiskind. »Sehen Sie den Felsen auf der linken Seite? Das ist unser Treffpunkt.«