Mavra lachte trocken.
»Ich? Da gibt es nicht viel, was Sie nicht schon wissen. Und was die Reue angeht — ich weiß nicht. Manches würde ich lieber anders machen. Meinen Mann hindern, zu dem Treffpunkt zu gehen, wo man ihn umbrachte. Den verdammten Stein in Olborn nicht berühren, der mich in einen Halbesel verwandelt hat. In den letzten Jahren nicht so selbstzufrieden gewesen sein. Ich weiß immer noch nicht, warum ich in Glathriel geblieben bin und mich so ruhig damit abgefunden habe.«
»Wenn Sie sich dann wohler fühlen — Sie hatten kaum die Wahl«, erklärte die Yaxa. »Alle sechs Monate sind Sie von den Ambreza untersucht worden. Eines der Geräte, mit denen man Sie behandelte, war gleichzeitig ein Hypno-Apparat. Man hat Ihre Einstellung stufenweise verändert — ganz langsam, damit Sie nichts davon merkten.«
Mavra spürte, wie der Zorn in ihr aufstieg.
»Das war es also«, sagte sie tonlos. »Das erklärt vieles.«
»Aber in einer Krise setzte sich Ihr altes Ich wieder ganz durch«, betonte Wooly. »Man wagte nicht, zu stark oder zu tief einzugreifen, sonst wären Sie später nutzlos gewesen. Und damit kommen wir zu Ihrem Einsatz bei dieser ganzen Affäre. Nur der Computer dort oben kann Sie wieder zu einem Menschen machen, wissen Sie — oder der Schacht selbst, der Sie aber zu etwas anderem machen könnte, als Sie es sein wollen. Ich garantiere, daß man, wenn Sie auf irgendeine Weise entkämen, einen Weg finden würde, Sie vom Schacht fernzuhalten, damit Ihr Wissen nicht in die Hände anderer fällt. Man würde eine vollständige Gehirnabtastung vornehmen, vielleicht einen Yugash einsetzen, um zu verhindern, daß Sie vom Schacht verwandelt werden. Sie wären dann wirklich ein dummes Pferd.«
»Ich weiß nicht, ob mir das nicht egal wäre«, sagte Mavra leise.
»Wie?«erwiderte Wooly verblüfft. »Im Ernst?«
»Ich denke immer wieder über mein Leben nach und frage mich, wohin ich eigentlich zurück will. Manchmal fühle ich wie die Markovier — Geld; etwas Macht, die mit dem Geld einhergeht; Fähigkeiten; mein eigenes Raumschiff, obwohl das inzwischen wohl verkauft worden ist. Aber wozu? Irgendwann habe ich etwas verfehlt, und ich weiß nicht, was es war.«
Sie schwiegen geraume Zeit.
Mavra fühlte sich betäubt und ausgelaugt. Zuerst führte sie es auf Erschöpfung zurück, aber der Zustand blieb, und die Betäubung legte sich bleiern auf ihr Gemüt. Sie schüttelte den Kopf und spürte, wie sie einduselte.
Sie sah sich als kleines Mädchen über eine Wiese zu einem großen Bauernhaus laufen, zu ihren Großeltern, mit ihnen auf der Veranda sitzen, spielen und sich unterhalten. Trotz ihrer erst vier oder fünf Jahre spürte sie aber dann, daß irgend etwas nicht richtig war. Sie weinte und klagte, als die Großeltern fortgingen. Sie wußte, daß sie nicht wiederkommen würden, und so war es auch. Im Haus herrschte große Geschäftigkeit, Leute gingen aus und ein und flüsterten miteinander.
Einmal versteckte sie sich hinter einem Sofa, während ihre Mutter mit zwei großen Männern debattierte.
»Nein, wir verlassen diese Farm und diese Welt nicht!«rief ihre Mutter wütend. »Wir wehren uns! Wir wehren uns, solange wir atmen können!«
»Wie Sie wollen, Vashura«, sagte einer der Männer, »aber das werden Sie bedauern, wenn es zu spät ist. Courile ist jetzt an der Macht. Sie wissen es. Er wird hart durchgreifen. Denken Sie an die Kinder.«
Aber es war schon zu spät gewesen. Man hatte noch einige politische Gegner ziehen lassen, aber nicht ihre Eltern, weil sie die Opposition anführten. Ihre Kinder sollten Beispiele für die neue konformistische Gesellschaft werden, und die Eltern würden zusehen müssen. Ein Beispiel für die Nation, für die Welt.
Und eines Nachts war der seltsame kleine Mann gekommen. Ein kleiner, magerer Mann, der durch ein Fenster, ihr Fenster, eingestiegen war. Sie hatte schreien wollen, aber er war so komisch gewesen und konnte so nett lächeln. Er hielt den Finger an die Lippen, zwinkerte ihr zu und ging durch ihre Tür hinaus.
Bald hörte sie dumpfe Stimmen, dann kam ihr Vater mit dem seltsamen kleinen Mann zurück.
»Mavra, du mußt mit deinem Freund hier mitgehen«, flüsterte er ihr zu.
Sie war verwirrt und zögerte, aber der kleine Mann hatte etwas an sich, dem sie vertraute, und ihr Vater hatte gesagt, daß es in Ordnung sei.
Der kleine Mann hatte sie angelächelt und sich dann ihrem Vater zugewandt.
»Es war unsinnig, zu bleiben«, flüsterte er. »Sie wissen, daß die Kom-Gesellschaft keine Rücksicht kennt.«
Ihr Vater schluckte krampfhaft und schien Tränen niederzukämpfen.
»Sie passen gut auf sie auf, ja?«
»Ich bin keine Vaterfigur, aber wenn sie mich braucht, werde ich da sein.«
Sie schlichen hinten aus dem Haus, liefen von Gebüsch zu Gebüsch.
»Achtung! Alarm! Da kommen sie!«Eine laute, elektronische Stimme durchzuckte sie. Nur undeutlich erkannte sie sie als die des Torshinds.
Betäubt sah sie auf. Ben Yulin riß Wooly das Napalmgewehr aus den Händen, fuhr herum und feuerte.
Ein gleißend heller, bleistiftdünner Flammenstrahl schoß hinaus und traf Objekte in der Nähe. Blitze zuckten auf. Plötzlich schien es, als brenne die ganze Atmosphäre, weißglühend, und lasse die Pugeesh hervortreten, riesige, spindelförmige Wesen auf zehn unfaßbar dünnen Beinen, mit gewaltigen Klauen vorne und hinten und langen Augenstielen, die in der Mitte ihrer runden Körper wie Rubine leuchteten.
Das Napalm tat seine Wirkung. Es erfaßte das führende Trio der Angreifer und klebte wie Leim. Es gab kein Geräusch, aber die beiden vorderen Beine schmolzen, und die Klauen verformten sich. Sie zogen sich hastig zurück, vor Feuer triefend.
»Links!«schrie Joshi. »Eine Kanone!«
Yulin sah es im flackernden Licht und drehte am Gewehr einen Hebel. Inzwischen hatte der Torshind eine zweite Waffe zusammengebaut und schoß einen Halbmond brennenden Gelees hinter sich, die Umgebung beleuchtend.
Yulin feuerte wieder, diesmal in breitgestreuten Salven, auf ein riesiges Gerät, das tatsächlich wie eine Kanone aussah. Als es aufflammte, schien die ganze Umgebung zu zerschmelzen.
»Mein Gott, sie sind überall!«kreischte Yulin. »Gebt mir einen neuen Zylinder!«
Auf der rechten Seite gab es einen Knall; ein großer Stein stürzte krachend in ihrer Nähe nieder und traf beim Aufprallen beinahe den Torshind.
Wooly schien aus ihrer Trance zu erwachen, packte einen Napalm-Zylinder und warf ihn Yulin zu.
Mavra betrachtete das unheimliche Schauspiel. Hier war Napalm gewiß die richtige Waffe; es schien alles zu entzünden, was es berührte. Wo immer es auftraf, schmolz, brannte und brodelte alles — und es breitete sich aus.
Der Torshind gab Deckung, während Yulin sich auf ein großes Geschütz einschoß, das mächtige Felsbrocken schleuderte. Der dritte Feuerstoß traf und zerstörte die Maschine, bevor die Pugeesh wieder schießen konnten.
Und plötzlich waren sie fort. So schnell, daß ihnen das Auge kaum folgen konnte, verschwanden sie im Dickicht und ließen nur die verbrannten Überreste von acht ihrer Genossen und die schmelzenden Wracks von zwei Kanonen zurück.
Der Minotaurus fuhr wütend auf Wooly los.
»Ihr seid mir schöne Wachen! Sie hätten uns beinahe überrumpelt!«fauchte er.
»Ich — ich weiß nicht, was geschehen ist«, stammelte die Yaxa, zum erstenmal aus der Ruhe gebracht. »Ich fing einfach an zu träumen, ohne es überhaupt zu bemerken. Ich begreife das nicht — ich träume sonst nie.«