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Die Ambreza hinterließen jeden Monat kleine, etikettierte Plastikbeutel mit geschmacklosem Inhalt, aber davon wollte sie nichts wissen. Das machte sie abhängig von anderen, und sie hatte es nicht lange ertragen.

Sie ging zu der kleinen Süßwasserquelle, deren Rinnsal auf dem Weg zum nahen Meer von Turagin durch das Gelände floß. Sie senkte ihr Gesicht in das Wasser und trank durstig. Die Kälte erfrischte sie.

Keine Abhängigkeit, nicht von Dauer, dachte sie befriedigt. Die beherrschende Kultur in diesem Hex war primitiv menschlich. Die Bewohner waren dunkelhäutige Leute mit negroiden Zügen, aber kompaktem Körperbau. Ihr Haar war glatt und schwarz wie das ihrige. Zu Anfang hatten die Ureinwohner sich mit der Mär erschreckt, die Göttin der Tiere, lebe in ihrer Mitte, und sie würden in Tiere verwandelt werden, wenn sie sie auch nur zu Gesicht bekämen.

Und eine lange Zeit hatte sie natürlich auch niemanden sehen wollen, sich lieber in ihrem Selbstmitleid vergraben. Aber schließlich war sie dann doch aus ihrem Gehege gegangen, manchmal zum Strand, wo sie sich aufrecht irgendwo anlehnte, um das prachtvolle Sternenmeer zu sehen. Mit der Zeit hatte sie dann auch landeinwärts Erkundungsausflüge unternommen, aber stets bei Nacht, um mögliche Probleme gering zu halten. Bis auf die Moskitos und andere Insekten, die sie nicht mehr spürte, gab es keine Raubtiere, die ihr gefährlich werden konnten, und die Einwohner fürchteten die Dunkelheit.

Aber sie war natürlich dann doch auf einige von ihnen gestoßen, und die erste Begegnung wurde zu einer Katastrophe. Sie erkannten sofort, was sie sahen — eben das in ihren Legenden beschriebene Tier —, und waren so entsetzt, daß einer von ihnen auf der Stelle tot umfiel und der andere den Verstand verlor.

Der machtvollste Zauber ist der, an welchen man glaubt, hatte sie festgestellt.

Und so übte sie zunächst Vorsicht. Da sie einen Übersetzer besaß, konnte sie die anderen so verstehen, wie man sie verstand, auch wenn das Ding ihrer Stimme einen unheimlichen Klang verlieh.

Genau die richtige Wirkung. Ambrezaartig, aber kein Ambreza. Etwas anderes: die Göttin!

Und zuletzt verkündete sie natürlich den Einheimischen, wenn sie ihr dienten, würde sie sich einmal zeigen, ohne daß sie Nachteiliges zu befürchten hätten. Als sie schließlich in den Feuerschein trat, geisterhaft und unheimlich, taten sie, was sie erhofft hatte. Sie warfen sich zu Boden und beteten sie an.

Aber den Ambreza davon zu berichten, bedeute, ihren Zorn auf sich herabzuziehen, warnte sie. Schon eine Mitteilung an andere Stämme werde ein Schicksal auf sie herabziehen, schlimmer als der Tod. Ihr Stamm hatte sich daran gehalten. Seine Angehörigen waren das Volk der Göttin, und in diesem Wissen schwelgte man.

Mavra verlangte Gaben, und Gaben bekam sie. Nahrung in großen Mengen, vor die Tür der Unterkunft gelegt. Auch Tabak. Auf der Sechseck-Welt selten, wurde er hoch geschätzt; die Ambreza nahmen natürlich den größten Teil der Ernte an sich — aber nun besaß sie etwas, das sie in die Lage versetzte, mit dem monatlichen Nachschubschiff um Dinge handeln zu können, die sie sich mehr wünschte als die jetzt fast nicht mehr notwendigen Vorräte.

Für Tabak brachte die Besatzung des Schiffes, was sie verlangte. Da Glathriel ein Nicht-tech-Hex war, kamen Maschinen nicht in Frage, aber Bücher, geographische Werke und Grammatiken waren nützlich. Sie lernte, mehrere verwandte Sprachen zu beherrschen, und studierte an Geschichtswerken, was sie fand.

Nach ihrem elften Fluchtversuch war sie wohl die größte lebende Expertin für Leben, Geographie und Geologie der Sechseck-Welt. Und sie las die Bücher immer wieder, mit Nase und Zunge umblätternd, bis die Bände beinahe unleserlich geworden waren. Selbst nach dem inneren Wandel las sie weiterhin gierig; das gehörte zu den wenigen Dingen, von denen sie aufrecht gehalten wurde.

Sie gab eingeborenen Jägern auch Ratschläge für Tierfallen, was ihren Ertrag steigerte, und machte Vorschläge für die Herstellung neuer nicht-technischer Waffen. Die Glathriel verehrten sie natürlich um so mehr. Die Ambreza wurden argwöhnisch, aber es gab wenig, was sie tun konnten. Die Entwicklung war schon zu weit fortgeschritten.

Dann, in einer Nacht gleich nach dem Wandel, fiel ihr in Richtung des Dorfes ein seltsamer Lichtschein auf. Sie eilte hin und sah eine der Hütten niederbrennen, während die Leute schrien. Man holte nur einen Insassen lebend heraus, einen Jungen mit lebensgefährlichen starken Verbrennungen an Händen und Füßen.

Sie befahl, ihn zu ihr zu bringen, und schoß eine ihrer kleinen Leuchtraketen ab, um die Ambreza zu verständigen. Auch dies göttlicher Zauber.

Der Ambreza-Arzt war erschienen und hatte sich den Jungen angesehen.

»Es besteht keine Hoffnung«, erklärte er. »Ich kann ihn in ein Krankenhaus bringen, gewiß, aber nicht mehr rechtzeitig. Er ist auf furchtbare Weise verbrannt. Ich könnte sein Leben retten, aber nie seine Gliedmaßen, und er würde diese riesigen Narben sein ganzes Leben lang tragen. Es ist am besten, ihn von seinem Elend zu erlösen.«

Etwas stieg in ihr auf, als sie den armen, verbrannten Jungen von zehn oder elf Jahren betrachtete.

»Das ist kein Haustier, das man erlöst!«schrie sie das Biberwesen an. »Das ist ein Mensch! Wenn Sie ihn nicht um Ihretwillen retten wollen, dann um meinetwillen!«

Sie wußte nicht, warum sie das gesagt hatte, es war ihr einfach richtig erschienen. Der hilflose, verunstaltete Junge erinnerte sie auf irgendeine Weise an ihre eigenen Erlebnisse.

Sie begleitete den Jungen und den Arzt nach Ambreza und sah ihn später, noch in Narkose, in einem Hoch-tech-Krankenhaus. Er war überall mit Narben bedeckt, und beide Hände und Füße waren amputiert worden.

Man diskutierte mit ihr. Normalerweise hätte man sie nicht beachtet, aber die Ambreza empfanden ein besonderes Schuldgefühl und starke Verantwortung für Mavra Tschang.

»Aber was kann er tun?«hatte man gefragt. »Der Stamm würde ihn töten. Sie können ihm auch nicht helfen. Das ist doch unvernünftig.«

Und plötzlich hatte die Lösung unaufgefordert vor ihr gestanden. Derartige Intuitionen waren nicht typisch für sie; sie rührten von der Verwandlung her.

»Er ist ein Mann!«hatte sie geschrien. »Wenn die Olbornier die gelben Steine noch besitzen, dann bringt ihn dorthin! Berührt seine verstümmelten Arme, bis sie sich verändern, dann seine Beinstümpfe! Macht ihn zu einem Tschang wie mich und gebt ihn mir!«

Sie waren wie vor den Kopf geschlagen, wußten nicht, was sie tun sollten.

Also taten sie, was sie verlangte, mit ein wenig Druck von ihren Psycho-Technikern und starkem Druck von Serge Ortega.

Man löschte mit Hypnobehandlung die Erinnerung aus seinem Gehirn, dann paßte man ihn seinem neuen Dasein an.

Joshi war der erste Schritt in einem Projekt, das sich in ihr formte, ein Projekt, das sie um jeden Preis durchsetzen wollte: die Errichtung ihrer eigenen unabhängigen kleinen Welt.

Er war bei weitem nicht so intelligent wie sie. Das soll nicht heißen, daß er dumm oder zurückgeblieben war, nur eben durchschnittlich. Sie brachte ihm die Konföderations-Sprache bei, in der sie immer noch dachte, die Ambreza- und die Glathriel-Sprache, die nicht mehr gesprochen, von den Ambreza aber in Vorkriegsbüchern aufbewahrt wurde.

Ihre Beziehung war eine seltsame, jedoch enge; sie war ihm gleichzeitig Ehefrau und Mutter, er ihr Mann und Sohn. Die Ambreza, die ab und zu überprüften, was sie trieb, waren der Meinung, daß sie die dominierende Rolle spielen, daß sie sich ein wenig überlegen fühlen mußte.

* * *

Joshi regte sich hinter ihr. Es wurde dunkel, die Zeit für beide, aktiv zu werden, wie sich das seit langem eingespielt hatte. Der hilflose Zehnjährige war gewachsen und herangereift; er war größer als sie und nahezu kohlschwarz, wenngleich man überall die rötlichen Narben seiner Verbrennungen sah.

Er kam auf sie zu. Bei der Verwandlung war man mit Vorsicht zu Werke gegangen; wurde man dem Stein der Olbornier zu lange ausgesetzt, so verwandelte man sich ganz in ein fügsames Maultier.