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„Kerl, wo treibst du dich herum?“ herrschte ihn der Alte an. „Du mußt doch längst wissen, wohin sie sind!“

„Nach Thionville ist es weit, Herr Kapitän!“

„Ah, nach der Stadt sind sie?“

„Ja.“

„Du bist ihnen gefolgt?“

„Ja. Sie wollten doch wissen, zu wem sie gehen würden.“

„Nun, zu wem?“

„Zu Doktor Bertrand.“

„Schön! Es ist gut!“

Er wandte sich ab, zum Zeichen, daß der Knecht sich entfernen solle. Dieser sagte aber:

„Noch eins, Herr Kapitän!“

„Nun?“

„Wissen Sie, von wem die Damen erwartet wurden?“

„Du hast es einfach zu melden, aber nicht mir Rätsel aufzugeben! Verstanden?“

„Der Maler stand am Fenster.“

„Welcher Maler?“

„Der mit dem Grafen von Rallion kam. Ich habe mir den Namen nicht merken können.“

„Haller?“

„Ja, Haller hieß er!“

„Unsinn. Dieser Maler ist weit, weit weg von hier.“

„Er ist da, in Thionville, bei Doktor Bettrand. Er stand am offenen Fenster und begrüßte die Damen von Weitem.“

„Mensch, du irrst dich!“

„Ich kann es bei allen Heiligen beschwören!“

„Wenn Haller wirklich nach Thionville käme, so wäre ich der erste, den er aufsuchte.“

„Aber er war es wirklich!“

Jetzt war es doch unmöglich, länger zu zweifeln. Was war das? Haller zurück, ohne zu ihm zu kommen? Das Verhalten Marions, welche vorher einen Brief erhalten, aber den Schreiber verheimlicht hatte? War dieser Brief von Haller, dem eigentlichen Grafen Lemarch? Hatte er sie darin zu Bertrand bestellt? Weshalb? Das mußte untersucht werden.

„Spanne sogleich an!“ befahl er.

Als er dann in den Wagen stieg, herrschte er dem Kutscher die Worte zu:

„Nach Thionville! Bei Doktor Bertrand halten!“

Er konnte nicht wissen, daß der Stallknecht den Pflanzensammler für den vermeintlichen Maler Haller gehalten hatte, welche beide sich ja außerordentlich ähnlich waren. –

Als vorher Fritz Schneeberg mit dem Amerikaner die Stadt erreicht hatte, bat er diesen, zu Bertrand zu gehen. Er selbst werde sich nach dem Maler umsehen. Deep-hill ging direkt nach dem Zimmer, welches Emma von Königsau bewohnte. Er klopfte leicht an, und als er dann auf ihren Zuruf eintrat, sprang sie mit einem halblauten Ruf freudiger Überraschung von ihrem Sitze auf.

„Monsieur Deep-hill! Ah! Wieder hier?“

„Um Ihnen zu zeigen, daß ich unversehrt bin“, fügte er hinzu, ihr weißes Händchen küssend.

„Wo aber waren Sie?“

„In Gefangenschaft.“

„Unmöglich!“

„O doch“, nickte er, indem er Platz nahm.

„Aber die Polizei kann doch nicht einen solchen Fauxpas begehen, einen Mann wie Sie in Gewahrsam –“

„Die Polizei? O nein, die war es nicht. Ich befand mich in den Händen eines bodenlos niederträchtigen Schurken.“

„Wer ist er?“

„Kapitän Richemonte.“

„Ah! Was wollte er bezwecken?“

„Mir einige Millionen abnehmen und dann mich jedenfalls zu meinen Vätern versammeln.“

„Ist's möglich?“

„Ja. Sie kennen diesen Menschen ja zur Genüge.“

„Ich?“ fragte sie, ihm mit dem Ausdruck der Spannung in das Gesicht sehend.

„Ja, Sie, die Sie seine Feindin sind“, lächelte er.

„Wie kommen Sie zu dieser Annahme?“

„Auf dem einfachsten Wege: Ihr Herr Bruder hat es mir mitgeteilt.“

„Mein Bruder – – –“

„Ja. Bitte, beunruhigen Sie sich nicht, gnädiges Fräulein. Er hat mir anvertraut, daß Sie ebenso inkognito, oder Pseudonym hier sind wie er.“

Sie war natürlich verlegen geworden.

„Ich weiß nicht, welche Deutung ich Ihren Worten zu geben habe, Herr Deep-hill“, stieß sie hervor.

„Es ist mir sehr erklärlich, daß sie sich durch meine Worte befremdet fühlen. Aber was ich seit gestern erlebt habe, hat mich Ihrem Herrn Bruder so nahe gebracht, daß er Vertrauen zu mir gefaßt hat. Sie sind keine Engländerin.“

„Was sonst?“

„Eine Preußin.“

„Mein Gott! Welche Unvorsichtigkeit.“

„Bitte, erschrecken Sie nicht. Ich habe beinahe auch Lust, ein Preuße zu werden.“

„Hat er Ihnen auch unseren wirklichen Namen genannt?“

„Er hat mir die Geschichte Ihrer Familie erzählt, doch ohne einen Namen zu nennen.“

„So will ich ihm allein die Verantwortung lassen.“

„Es trifft ihn nichts derart. Ich bin sein Freund. Ich weiß, was er hier will, aber ich werde ihn nicht verraten. Er hat mich vom Tod errettet.“

„Er?“

„Ja, er und dieser brave Fritz Schneeberg, welcher jetzt in der Stadt herumläuft, um einen Menschen zu suchen, von welchem ich niemals geglaubt hätte, daß er mir nützlich werden könne.“

„Wen?“

„Den dicken Maler, welcher die Zaunlatten abbrach.“

„Schneffke? Was soll er?“

„Zu Ihnen kommen. Da habe ich wirklich vergessen, Ihnen sogleich die Hauptsache mitzuteilen. Man will sich nämlich bei Ihnen ein Rendezvous geben. Ich muß bitten, die Schuld nicht auf mich zu werfen. Ihr Herr Bruder hat dieses Arrangement entworfen.“

„Wer soll kommen?“

„Er, ich, Schneeberg, Schneffke und die Damen Nanon und Madelon von Schloß Ortry.“

„Eine wahre Volksversammlung! Zu welchem Zweck?“

„Die eigentliche Veranlassung bietet meine Person. Ich muß annehmen, daß Ihnen meine Verhältnisse unbekannt sind, gnädiges Fräulein.“

„Ich weiß, daß Sie Deep-hill heißen und Bankier in den Vereinigten Staaten sind.“

„Deep-hill ist die wirkliche Übersetzung meines französischen Namens. Eigentlich nenne ich mich Baron Gaston de Bas-Montagne. Ich vermählte mich mit einer Deutschen, welche mich während meiner Abwesenheit verließ und die beiden Kinder, zwei herzige kleine Mädchen, mit sich nahm. Ich habe lange, lange Jahre nach ihr gesucht, sie aber nicht gefunden. Heute nun erfahre ich, daß sie gestorben ist, daß aber die beiden Mädchen noch leben.“

Sie hatte ihm mit Teilnahme zugehört und fragte nun: „Wer brachte Ihnen diese Nachricht?“

„Ihr Herr Bruder.“

„Von wem mag er das haben?“

„Von Schneeberg oder Schneffke.“

„Wunderbar! Ich gönne Ihnen von ganzem Herzen das Glück, die Kinder noch am Leben zu wissen; aber man muß da sehr vorsichtig sein. Sind Beweise vorhanden?“

„Man will sie mir bringen.“

„Und wo sind die Kinder?“

„Jetzt in Ortry.“

„Was? Wie? In Ortry?“

„Ja. Der Herr Doktor Müller gab mir die Versicherung.“

„Wer mag das sein?“

„Oh, wenn Sie es hören, werden Sie sich wohl förmlich bestürzt fühlen.“

„Ist es denn gar so schrecklich?“ fragte sie lächelnd.

„Schrecklich nicht, aber – ahnen Sie denn nichts?“

„Wie könnte ich ahnen? Ich bin in Ortry nicht bekannt.“

„Aber grad die beiden Betreffenden kennen Sie.“

„Wohl kaum.“

„Ganz gewiß sogar. Bitte gnädiges Fräulein, denken Sie nach, zwei Schwestern – auf Ortry jetzt.“

Sie schüttelte langsam den Kopf.

„Wie alt?“ fragte sie dann.

„Achtzehn.“

Da hob sie den Kopf schnell empor. Glühende Röte bedeckte ihr Gesicht. Es war, als ob sie erschrocken sei.

„Doch nicht – etwa – Nanon und Madelon?“ fragte sie.

„Ja.“

„Das sind Ihre Töchter?“

Sie war außerordentlich bewegt. Sie trat an das Fenster und blickte stumm hinaus. Er sah, wie ihr Busen auf und nieder wogte, und das gab ihm einen Stich in das Herz. Er sah sehr jung aus. Er war auch eigentlich nicht alt; er hatte nur früh geheiratet. Er hatte gehofft, das Herz dieser Miß de Lissa zu gewinnen, und nun –? Schämte sie sich, dem Vater so großer Töchter, von denen sie die eine sogar Freundin nannte, ihre Teilnahme gezeigt zu haben?