Er wunderte sich nicht wenig, als er von weitem keinen Lichtschein bemerkte.
„Hm!“ erklärte er sich, grimmig schmunzelnd, diesen Umstand. „Schäferstunde! Er hat die Tür zugezogen!“
Er trat so laut wie möglich auf, um von seinem Verbündeten bereits bemerkt zu werden, blieb aber dann ganz verblüfft stehen, als er bemerkte, daß die Tür nicht nur von innen herangezogen, sondern sogar von außen verschlossen sei.
„Donnerwetter!“ murmelte er. „Was ist da geschehen? Sollte der Kerl also doch die Schlüssel haben, wie ich gleich erst vermutete?“
Er setzte die zwei Wasserkrüge, welche er in der Hand hatte, nieder und nahm den Schlüssel aus der Tasche. Als er geöffnet hatte, drang ihm der Schein der Laterne entgegen, und bei demselben bemerkte er den Gefesselten auf dem Boden liegen.
„Alle Teufel!“ rief er aus. „Rallion! Sie gefesselt!“
„Wie Sie sehen!“ antwortete dieser. „Wo stecken Sie denn diese lange Zeit?“
„Habe ich es Ihnen denn nicht gleich gesagt, daß es so lange dauern könnte?“
„Das wohl; aber mehr sputen konnten Sie sich doch!“
„Es war nicht möglich. Aber das ist ja Nebensache. Hauptsache ist, wie ich Sie hier finde. Wo ist Marion?“
„Das weiß der Teufel.“
„Wer hat Sie gefesselt?“
„Das weiß derselbe Teufel.“
„Und eingeschlossen?“
„Richten Sie Ihre Frage an dieselbe Adresse.“
„Aber, zum Donnerwetter! Sie müssen doch wissen, wie Sie in diese Lage gekommen sind!“
„Muß ich es wissen? Wirklich? Ach so! Aber, nehmen Sie mir doch vorher gefälligst diese verdammten Stricke ab. Dann können wir weiter sprechen!“
„Ich sollte Sie so liegen lassen. Ich bin ganz konsterniert! Wüßte ich nicht genau, daß ich wache, so hielt ich es für einen Traum. Erzählen Sie doch!“
„Erst die Stricke herunter!“
„Na, da!“
Er zog sein Messer und schnitt die Stricke entzwei. Rallion sprang auf, dehnte die Glieder und sagte dann:
„Hören Sie, Kapitän, Ihr Ortry mag der Satan holen! Mich bringen Sie niemals wieder her!“
„Schimpfen Sie nicht, sondern erzählen Sie!“
„Hier geht in Wirklichkeit der Teufel um oder ein sonst ihm sehr verwandtes Gespenst! Ich mache, daß ich so schnell wie möglich fortkomme!“
„Halt. Stehen bleiben! Erst wird erzählt. Ich will vor allen Dingen wissen, was geschehen ist. Ich verließ Sie ganz siegesgewiß und treffe Sie als Gefangenen! Wie ist das zugegangen?“
Rallion zeigte auf das Stroh und antwortete:
„Hier lag Marion – – –“
„Das weiß ich!“
„Ich kniete neben ihr und stellte ihr vor, daß aller Widerstand vergeblich sei, daß sie mich erhören müsse.“
„Was antwortete sie?“
„Daß sie lieber sterben wolle.“
„Oh, diese Mädchen wollen da immer sterben!“
„Es schien ihr wirklich ernst zu sein. Als ich ihr einen Kuß geben wollte, drohte sie mir, daß ich verloren sei, wenn ich sie anrühren würde.“
„Das klingt ja, als ob sie überzeugt gewesen wäre, auf irgendeine Weise oder durch irgend jemand Hilfe zu finden.“
„Allerdings!“
„Was taten Sie?“
„Ich achtete nicht auf diese Drohung, welche ich geradezu lächerlich fand; ich hielt sie vielmehr fest und wollte sie küssen. Beinahe berührte ich ihre Lippen, da legte sich eine Faust wie ein Schraubstock um meinen Hals, und ich erhielt einen Hieb an den Kopf, daß mir auf der Stelle Hören und Sehen verging.“
„Von wem?“
„Weiß ich es?“
„Aber Sie müssen doch etwas gesehen oder gehört haben!“
„Nicht das geringste. Ich verlor, wie gesagt, die Besinnung. Als ich wieder zu mir kam, war ich an Armen und Beinen gefesselt und sah, daß die Tür verschlossen war.“
„Unbegreiflich!“
Rallion sah ihn von der Seite an und fragte:
„Ist es Ihnen wirklich so ganz und gar unbegreiflich?“
„Wie denn sonst?“
„Hm! Wissen Sie denn, daß ich Sie sehr stark im Verdacht hatte?“
„Mich?“
„Ja.“
„Sind Sie toll?“
„Toll? Die Sache schien mir nicht so sehr toll zu sein. Sie haben eine gewisse Leidenschaft, andere einzuschließen?“
„Ich glaube, der Hieb, den Sie auf den Kopf erhalten haben, hat Ihren Verstand in Unordnung gebracht!“
„Möglich, denn wenn Sie es nicht gewesen sind, so gebe ich überhaupt die Hoffnung auf, die Sache zu begreifen. Wo aber ist Marion?“
„Das frage ich Sie.“
„Donnerwetter! Sie muß einen heimlich Verbündeten haben. Anders ist es nicht möglich.“
„So werden wir ihn jetzt fangen. Begegnet ist mir kein Mensch. Alle Türen sind zu gewesen. Er hält sich also hier versteckt. Durchsuchen wir den Gang. Er ist glücklicherweise nicht sehr lang.“
Er nahm den Revolver in die Hand und schritt mit der einen Laterne voran. Rallion folgte ihm mit der anderen. Sie erreichten das Ende des Ganges, ohne irgend etwas bemerkt zu haben.
„Nun?“ fragte Rallion, halb höhnisch und halb erwartungsvoll.
Er traute dem Alten noch immer nicht.
„Nichts und niemand!“ antwortete dieser.
„Aber mir brummt der Kopf noch immer von dem Hieb, den ich erhalten habe. Soll das etwa dieser Monsieur Niemand gewesen sein?“
„Ich möchte an diesen Hieb gar nicht glauben, aber Sie haben wirklich eine ziemliche Beule hier an der Schläfe.“
„Habe ich? Na, das ist Beweis genug. Ein Mann muß es gewesen sein, denn ein Weib vermag nicht, so kräftig zuzuschlagen.“
„Das versteht sich von selbst.“
„Und Schlüssel muß er haben, sonst hätte er mich nicht einschließen können.“
„Richtig! Aber – ah, da kommt mir ein Gedanke: Sie sind miteinander hier noch in irgendeiner Zelle versteckt. Suchen wir!“
„Was befindet sich in den Zellen?“
„Sie sind leer, außer der, in welcher der Deutsche steckt. Sehen wir also nach!“
Er öffnete eine Zelle nach der anderen; sie waren alle ohne Ausnahme leer. Als er dann die zuletzt erwähnte aufschloß und mit der Laterne hineinleuchtete, stieß er einen lauten Fluch aus:
„Tod und Teufel! Was ist das?“
„Was gibt's?“ fragte Rallion, schnell hinzutretend.
„Was es gibt? Da sehen Sie her!“
„Wetter noch einmal! Das ist verflucht!“
„Der Kerl ist fort!“
„Oder hat er sich in dem Kot versteckt?“
„Unsinn! Sehen Sie denn nicht, daß die Ketten geöffnet worden sind?“
„Wirklich! Der Schlüssel steckt noch im Schloß!“
„Und da ist auch die Peitsche fort!“
„Unbegreiflich!“
„Haben Sie denn wirklich so ohne alle Besinnung in Ihrer Zelle gelegen?“
„Ja.“
„Nichts gehört?“
„Gar nichts.“
„So ist es. Ihr Kopf scheint von Pappe zu sein! Jetzt ist mir gar der Deutsche ausgebrochen?“
„Aber wohin?“
„In dem Gang befindet sich kein Mensch! Oder sollte – Sapperment, da kommt mir ein Gedanke. Kommen Sie!“
Er eilte bis an das Luftloch und leuchtete empor.
„Sie denken, da hinauf?“
„Ja.“
„Wie kann ein Gefangener von hier aus da empor kommen? Er müßte eine Leiter haben.“
„Das ist richtig! Also hier nicht. So bleibt also nur übrig, daß der Mann, welcher die Schlüssel hat, denselben Weg genommen hat, den auch wir einschlagen. Sehen wir einmal, ob wir Spuren finden.“
Sie schlugen die Richtung nach dem Brunnen ein, mit den Laternen am Boden suchend, hart am Brunnen blieb der Alte, welcher voranging, stehen.