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„Alle guten Geister – – –! Wer ist das? Wen bringen Sie da?“

„Kennen Sie diese Dame nicht?“

„Freilich kenne ich Sie! Die Frau Baronin von Sainte-Marie!“

Dieser Name brachte kein geringes Aufsehen hervor. Alle drängten sich um sie und stürmten mit Fragen auf sie ein. Doch Müller nahm sie in seinen Schutz und sagte:

„Bitte, meine Herrschaften, diese Dame ist zu sehr angegriffen, als daß sie Ihnen Rede und Antwort stehen könnte. Übrigens muß ich bemerken, daß diese Angelegenheit ganz unter uns, das heißt, Geheimnis bleiben muß. Kommen Sie, Frau Baronin; folgen Sie mir in das Zimmer Miß de Lissas! Ich habe einige Fragen an Sie zu richten.“

Während nun Marion den Zurückbleibenden ihre Einkerkerung und Rettung erzählte, führte Müller Liama in dem genannten Zimmer zum Sofa und nahm ihr gegenüber Platz.

„Darf ich fragen“, sagte er, „ob Sie einiges Vertrauen zu mir haben können?“

Er sagte das in arabischer Sprache, die er von seinem Vater gelernt hatte. Liama war freudig bewegt, so unerwartet die heimatlichen Laute zu hören, und antwortete:

„Alles, alles will ich Ihnen sagen.“

„Nicht wahr, Sie sind eine Tochter des Stammes der Ben Hassan?“

„Ja. Mein Vater Menalek war der Scheik desselben.“

„Sie kannten einen Angehörigen dieses Stammes, welcher Saadi hieß?“

Ihre Augen leuchteten auf.

„Er war mein Geliebter, mein Verlobter, mein Mann“, antwortete sie.

„Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?“

„Hier in Ortry.“

„Nicht damals, als er von Ihnen gerissen wurde als Gefangener der Franzosen?“

„Nein. Ich wollte ihn und den Vater retten, indem ich mit dem Fakihadschi Malek Omar und seinem Sohn Ben Ali fortging. Beide heißen jetzt Richemonte und Sainte-Marie.“

„Sie wurden aber von ihnen betrogen?“

„Ja. Die Unseren wurden trotzdem niedergemacht. Mein Vater war tot; aber als die Franzosen fort waren, zeigte es sich, daß in Saadi noch Leben sei. Er wurde geheilt und verließ sein Land, um nach mir zu suchen.“

„Da Sie ihn in Ortry gesehen haben, hat er Sie also gefunden?“

„Ich ging spazieren im Wald und begegnete ihm. Er wohnte bei mir auf dem Schloß, ohne daß es jemand wußte; er war mein Bräutigam; er wurde im stillen mein Gemahl. Er ist Marions Vater. Nie hat mich ein anderer Mann anrühren dürfen.“

„So ist also Marion nicht die Tochter des wahnsinnigen Barons de Sainte-Marie?“

„Nein.“

„Das ist mir eine große Beruhigung. Wo aber ist Saadi hingekommen?“

„Ich weiß es nicht. Er war eines Tages verschwunden. Ich habe ihn niemals wiedergesehen.“

„Später zwang man Sie, zu verschwinden, um das Leben Ihrer Tochter zu retten?“

„Der Kapitän wollte Marion töten, wenn ich nicht tun wollte, war er befahl.“

„Weiß die jetzige Baronin, daß Sie nicht wirklich gestorben sind?“

„Ich weiß es nicht.“

„Hat sie Sie einmal gesehen?“

„Mehrere Male. Sie besuchte, da sie noch eine Hirtentochter war, den Baron und den Kapitän auf Ortry; da hat sie mich gesehen.“

„Glauben Sie, daß dieselbe Sie jetzt wiedererkennen würde?“

„Sie kennt mich.“

„Fürchten Sie sich vor ihr?“

„Ja.“

„Aber wenn ich bei Ihnen bin?“

„Dann fürchte ich mich nicht.“

In diesem Augenblick entstand draußen ein außerordentliches Gepolter. Mehrere Türen öffneten sich, und auch Müller eilte hinaus.

„Was gibt es denn da?“ fragte er laut.

„Abermals eine Schlittenpartie!“ antwortete eine Stimme unten am Fuß der Treppe.

„Schlittenpartie? Wie denn?“

„Grad wie damals im Tharandter Wald, nur diesesmal auf dem Bauch anstatt auf der anderen Seite.“

Derjenige, welcher diese Worte sprach, kam eben herauf; Herr Hieronymus Aurelius Schneffke.

„Ach, Sie sind es! Was machen Sie denn da?“

„Na, man wird doch wohl noch zur Treppe herunterpurzeln dürfen, Herr Doktor.“

„Heruntergefallen sind Sie also?“

„Ja; das ist so Usus bei mir, wie Sie wohl wissen. Ich hatte Eile.“

„Sie sehen allerdings ganz danach aus. Sie haben wohl eine Neuigkeit?“

„Ja. Die wollte ich so schnell wie möglich bringen. Ich gedachte daher, die Treppe in zwei oder drei Sprüngen zu nehmen, da aber nahm die Treppe mich. Ein Glück ist es nur, daß sie nicht gebrochen hat!“

„Was haben Sie denn für eine Neuigkeit?“

„Ich trank auf dem Bahnhof ein Glas Bier. Der Zug kam an, und da ging ich. Draußen am Billettschalter standen zwei. Raten Sie, wer sie waren!“

„Besser ist's, Sie sagen es.“

„Das ist so richtig wie Pudding, denn Sie erraten es doch nicht. Der alte Kapitän war's – – –“

„Der? Unmöglich!“

„Na, ich werde ihn doch kennen! Ein Maler ist gar wohl imstande, sich so eine Physiognomie zu merken.“

„Und noch einer war dabei?“

„Ja. Er hatte ein zerschnittenes Gesicht.“

„Sapperlot! Rallion! Was taten sie?“

„Ich stand ganz nahe bei ihnen; sie aber hatten es so eilig, daß sie mich gar nicht beachteten. Der Alte bezahlte zwei Billets erster Klasse nach Paris.“

„Wirklich?“

„Glauben Sie, daß er sie nur zum Jux bezahlt?“

„Ah! Er fürchtet sich!“

„So ist er fort?“ fragte Marion den Maler.

„Ich sah ihn einsteigen, und dann ging der Zug ab. Wenn Ihnen das genügt, so ist er allerdings fort. Oder muß einer durch die Wolken fliegen, um fort zu sein?“

„Bitte, kommen Sie mit hier hinein!“ bat nun Müller Marion, indem er sie zu ihrer Mutter führte.

Dort bemerkte er:

„Jetzt gibt es die beste Gelegenheit, zu holen, was Sie zu der Reise brauchen. Sie kehren zu diesem Zwecke selbst mit nach Ortry zurück.“

„Das tue ich. Wer geht noch mit?“

„Ihre Mutter hier.“

„Wie! Darf sie gesehen werden?“

„Ich wünsche sogar, daß sie von der jetzigen Baronin gesehen wird. Auch ich gehe mit.“

„Auch Sie? Ich denke, Sie wollen Ortry nie mehr betreten!“

„Vielleicht komme ich später doch wieder hin. Übrigens möchte ich Sie um Ihretwillen begleiten.“

„Das ist dankenswert. Wenn Sie zugegen sind, haben wir nichts zu befürchten. Wann gehen wir?“

„Wir werden fahren, doch nicht gleich jetzt. Wie ich vermute, gnädiges Fräulein, haben Sie drüben unser heutiges Abenteuer erzählt?“

„Ja.“

„Haben Sie auch den Namen des unglücklichen langjährige Gefangenen genannt?“

„Zufälligerweise, nein.“

„Ich danke. Das ist mir lieb.“

Er suchte nun seinen Vater auf. Dieser hatte das Bad verlassen und Wäsche und Kleider von Doktor Bertrand angelegt, dessen Statur er hatte. Er saß ganz allein auf dem Sofa und hatte eine Tasse Boullion vor sich stehen.

Müller blickte nur zur Tür herein, schloß diese dann wieder und ging in das Familienzimmer, wo alle außer Marion und deren Mutter beisammen waren.

Schneffke erzählte sein Bahnhofsereignis noch einmal. Das gab Müller Gelegenheit, seine Schwester an das Fenster zu winken.

„Liebe Emma, ich muß dich auf ein wichtiges Ereignis aufmerksam machen, von welchem Marion noch nichts wissen darf“, sagte er.

„Was ist es?“

„Du wirst in Herrenbegleitung nach Berlin zurückkehren.“

„Natürlich! Du fährst doch wohl mit!“

„Noch einer.“

„Fritz!“

„Noch einer.“

„Schneffke?“

„Noch einer.“

„Du meinst Deep-hill?“

„Ja, aber noch einen.“

„Ich weiß weiter keinen.“

„Ich meine den, welchen ich heute befreit habe.“

„Auch er will nach Berlin?“