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„Ja. Ich wünsche, dich ihm vorzustellen. Hast du Zeit?“

„Jetzt gleich?“

„Ich möchte es nicht für später aufschieben.“

„So komm!“

Sie gingen. Als sie bei ihm eintraten, befand er sich noch auf seinem Sitz. Ein wohliges Lächeln schwebte auf seinem eingefallenen, leidenden Angesicht. Bart und Haar waren in Ordnung gebracht, und nun machte er einen ehrwürdigen und sogar vornehmen Eindruck. Als er die beiden erblickte, streckte er Müller die Rechte entgegen und sagte:

„Mein Retter! Nun ich mich von den schlimmen äußeren Anhängseln des Elends befreit sehe, fühle ich doppelt, was ich Ihnen zu danken habe. Wen bringen Sie mir da?“

„Eine Freundin dieses Hausen, Miß Harriet de Lissa, welche wünscht, Ihnen ihre herzliche Teilnahme zu erweisen.“

„Ich danke Ihnen, Miß. Es tut unendlich wohl, in ein gutes Menschenantlitz blicken zu dürfen, nachdem man über ein Dezennium hinaus nur die Züge eines teuflischen Schurken gesehen hat. Nehmen Sie Platz!“

Dabei war sein Auge mit sichtlichem Wohlgefallen auf das schöne Mädchen gerichtet.

„Sie meinen Kapitän Richemonte?“ fragte Emma.

„Ja. Ihm habe ich und haben all die Meinen unser ganzes Unglück zu verdanken.“

„Er scheint der Teufel mehrerer Familien zu sein. Ich lernte in Berlin eine Familie kennen, die er mit wirklich satanischer Lust verfolgt hat und auch wohl noch verfolgt.“

„In Berlin?“ fragte er, aufmerksam werdend. „Darf ich den Namen dieser Familie wissen?“

„Königsau.“

Sein Gesicht nahm fast eine rote Färbung an.

„Königsau!“ sagte er. „Sind Ihnen die Glieder dieser Familie bekannt?“

„Ja.“

„Es gab einen Königsau, welcher ein Schützling des berühmten Blücher war.“

„Ja, das ist Großvater Königsau.“

„Und sein Sohn?“

„Der ist spurlos verschwunden.“

„Hat man nicht nach ihm geforscht?“

„Oh, wie sehr! Leider aber vergeblich.“

„Lebt seine Frau noch?“

„Nein. Sie ist kürzlich gestorben.“

Er nagte eine Zeitlang an der Lippe, um nicht merken zu lassen, wie ihn diese Botschaft erschüttere. Dann sagte er:

„Vielleicht irren Sie sich, Miß? Sie war eine geborene Gräfin Ida de Rallion.“

„Ja, sie ist es doch, ich weiß es ganz genau“, antwortete sie traurig. „Auch Sie scheinen die Familien zu kennen?“

„Vor Jahren stand ich ihr sehr nahe. Ich glaube, Gebhard von Königsau hatte zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen?“

Sie nickte ihm bejahend zu. Darum fragte er weiter.

„Leben Sie noch?“

„Sie leben beide.“

„Ich möchte wohl wissen, was aus ihnen geworden ist.“

„Nun, Richard, der Sohn, ist Rittmeister bei den Gardeulanen.“

„Ah, das läßt sich hören!“ sagte er, indem sein Gesicht sich freudig aufhellte. „Hat er Aussicht auf Avancement?“

„Man sagt, daß er im höchsten Maß das Vertrauen seiner Vorgesetzten besitze.“

„Das freut mich herzlich. Und die Tochter? Hieß sie nicht Emma? Sie wird sich längst verheiratet haben.“

„Nein; sie ist noch unvermählt und wird es bleiben, falls ihr verschwundener Vater verschollen bleibt.“

„Das gute Kind. Sie braucht nicht zu entsagen, denn ihr Vater kehrt zurück.“

„Wie? Er kehrt zurück?“ fragte sie hastig.

„Ja“, lächelte er. „Ich bin überzeugt davon.“

„Mein Gott! Haben Sie Grund, dies zu sagen?“

Er nickte ihr lebhaft zu und antwortete:

„Sogar einen sehr guten Grund.“

Da sprang sie von ihrem Sessel auf und bat schnelclass="underline"

„Sagen Sie ihn! O bitte, sagen Sie ihn sogleich.“

„Sie scheinen dieser Familie eine sehr große Teilnahme zu widmen?“

„Oh, die größte, welche es gibt!“

„Das macht mich stolz und dankbar zugleich, da ich ein Glied derselben bin.“

„Sie?“ fragte sie erstaunt.

„Ja. Verzeihen Sie, daß ich Sie ausforschte, ohne Ihnen meinen Namen vorher zu nennen. Ich bin Gebhard von Königsau.“

Sie stand vor ihm in der höchsten, unbeschreiblichsten Überraschung. Ihre Augen waren weit geöffnet. Ihre Lippen ließen die weißen, blitzenden Zähne sehen; ihre Arme waren bewegungslos ausgestreckt.

„Was ist Ihnen, Miß?“ fragte er.

Das gab ihr die Sprache zurück.

„Gebhard von Königsau wären Sie?“ fragte sie.

„Ja.“

Da trat sie auf Müller zu, faßte ihn am Arm und fragte auch ihn:

„Ist es wahr, wirklich wahr?“

Er mußte seine ganze Kraft zusammennehmen, um nicht laut aufzuschluchzen.

„Ja“, nickte er.

„Vater, mein Vater! Mein teurer, teurer Vater!“

Mit diesem Ausruf flog sie auf ihn zu und schlang die Arme um ihn. Sie drückte ihn an sich, immer und immer wieder und küßte ihm dabei die Hände, die Augen, Mund, Stirn und Wangen.

Er wußte nicht, wie ihm geschah. Er war zu schwach, sich dieser stürmischen Liebkosungen zu erwehren. Er ließ sie über sich ergehen, ohne Widerstand leisten zu können. Aber ein unbeschreiblich seliges Gefühl wollte sein Herz fast sprengen.

„Vater, Vater! O du armer, lieber, guter Vater“, fuhr sie fort, ihn mit beiden Händen streichelnd. „Was hast du gelitten, und was haben wir uns um dich gesorgt! Nun aber ist alles, alles gut.“

Dabei drückte sie seinen Kopf an ihr Herz und küßte ihn abermals auf die Stirn.

„Aber, Miß de Lissa, was hat das zu – – –“

„Miß de Lissa!“ jubelte sie auf. „So heiße ich nur hier. Ich bin Emma von Königsau, dein Kind, deine Tochter!“

„Wirklich? Wirklich?“ jubelte nun auch er.

„Ja, ja; du kannst es glauben.“

Da schlang er die Arme um sie und schluchzte:

„Mein Kind, mein gutes, süßes, schönes Kind.“

Die Sprache versagte ihm. Er weinte, als ob ihm das Herz brechen wolle. Emma streichelte ihm die Tränen von den Wangen. Dabei fiel ihr Blick auf Müller, welcher, das Gesicht an den Kaminsims gelehnt, ebenso weinte wie sie beide. Warum gab er sich nicht zu erkennen? Hielt er den Vater für zu schwach, das doppelte Glück zu ertragen?

Auch diesem fiel trotz seiner Tränen die tiefe Bewegung seines Retters auf.

„Herr Doktor“, stammelte er, „Sie sehen, welch ein Glück Sie uns gebracht haben. Ich kann es Ihnen nie vergelten.“

„O doch, doch“, schluchzte Müller.

„Nein, nie.“

„Ja, Vater, er hat recht. Du kannst es vergelten, und wie leicht“, sagte Emma. „Welch eine Fügung, daß gerade er dich befreien mußte, er, er!“

„Wieso eine Fügung?“

„Sieh ihn doch an. Ahnst du nichts?“

„Ahnen? Mein Gott, was soll ich ahnen? Kenne ich eine Familie Müller, welche – – –“

„Und auch er heißt nicht so, auch er läßt sich nur so nennen.“

„Herrgott. Wären Sie – warst du etwa – Richard?“

Er breitete die Arme aus.

„Vater!“

Sie hielten sich umschlungen; sie sagten kein Wort mehr, diese drei; sie bildeten im Übermaß ihres Glücks eine still weinende Gruppe. Endlich, nach längerer Zeit schob der Vater seine Kinder sanft von sich, trocknete sich tief aufatmend die Tränen und fragte:

„Richard, hattest du meinen Namen da drunten im unterirdischen Gang nicht gehört?“

„O doch!“

„Du wußtest es, daß du deinen Vater befreitest?“

„Ja.“

„Warum verschwiegst du es? Warum gabst du dich nicht zu erkennen?“

„Es wollte mir zwar das Herz abdrücken; aber ich mußte schweigen, weil ich noch nicht wußte, ob du stark genug sein würdest, und weil Marion es nicht wissen durfte.“

„Warum nicht?“

„Sie darf nicht wissen, daß ich ein Deutscher bin.“