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„Ja, die habe ich, lieber Vater; du sollst sie hören und wirst sie anerkennen.“

„Gut, gut!“ meinte der Amerikaner. „Ich habe ganz dieselben Gründe gehört und auch anerkannt. Aber was Sie jetzt erzählt haben, das geht über alle Begriffe. Herr von Königsau, ich war ein Franzose, ein enragierter Deutschenfresser. Jetzt ziehe ich nach Berlin und bleibe dort bis an mein Ende. Ich bin cholerisch, ein Brausekopf, ein Tollkopf; aber ich habe ein Herz. Ich hatte zwei Kinder verloren; Ihr Herr Sohn hier hat sie mir wiedergegeben. Ich wollte gegen Deutschland agitieren und kämpfen; er ist ein Deutscher, und Sie sind sein Vater; mein braves Weib war trotz ihres französischen Namens eine Deutsche – ich kann nicht länger ein Feind Deutschlands sein. Ich möchte Frankreich besiegen helfen, geradeso wie ich diesen Richemonte zertreten möchte!“

Da wurde an die Tür geklopft. Der dicke Maler öffnete, steckte den Kopf herein und fragte:

„Ist es erlaubt, meine Herrschaften?“

„Ja“, antwortete der Rittmeister.

Und sich an seinen Vater wendend, fuhr er lächelnd fort, Schneffke heranwinkend:

„Das ist Herr – Herr – wie heißen Sie gleich?“

„Hieronymus Aurelius Schneffke, Tier- und Kunstmaler aus Berlin.“

„Dessen Schwiegervater du beinahe geworden wärst, lieber Vater“, ergänzte der Rittmeister.

„Wieso?“ fragte Gebhard von Königsau, den Maler lächelnd fixierend.

„Er hatte es auf Emma abgesehen.“

„Ach so!“

„Er hielt sie für eine Gouvernante und betete sie so an, daß er ihretwegen sogar zu Pferde stieg.“

„Es war ein dressiertes!“ lachte Schneffke. „Er setzte mich ganz regelrecht zu ihren Füßen ab. Später ward ich ihr Beschützer und Reisebegleiter, mußte aber bald auf das erwartete Glück verzichten, weil die angebetete Gouvernante unterdessen eine himmlische Engländerin geworden war.“

„Die sie aber auch nicht bleiben wird.“

„Nicht?“ fragte er erstaunt.

„Nein. Miß de Lissa ist eigentlich meine Schwester, Baronesse Emma von Königsau.“

Der Maler machte ein Gesicht wie eine Gans, wenn es wettert.

„Verdammt!“ entfuhr es ihm.

Alle lachten. Der Rittmeister fragte:

„Haben Sie etwas dagegen einzuwenden?“

„Hm! Wie lange bleibt sie denn Ihre Schwester?“

„Ich hoffe, für immer.“

„Das bezweifle ich. Bei dieser Dame wird kein Mensch klug, wer und was sie eigentlich ist. Heute halten Sie sie im Ernst für Ihre Schwester, und morgen stellt sich vielleicht heraus, daß sie die Tante von Ihrer Schwiegermutter ist. Ich bleibe zweifelhaft wie Pudding. Von jetzt an verliere ich die Gefühle meines Inneren nur an Damen, welche mittelst Geburts- und Impfschein nachgewiesen haben, wer sie sind. Eine andere hat nie wieder einen Fußfall von mir zu erwarten.“

Er lachte über sich selbst; die anderen stimmten ein, und der Rittmeister sagte zu seinem Vater:

„Trotz alledem ist Herr Schneffke ein sehr braver Mann, dem du übrigens sehr viel zu verdanken hast.“

„Wieso?“

„Er leidet an einer gewissen Art Fallsucht; er fällt sehr gern. Draußen im Wald stürzte er in ein Loch. Ich zog ihn heraus und fand dabei, daß dieses Loch zu dem unterirdischen Gang führte, in welchem du schmachtetest. Ohne ihn hätte ich dich schwerlich entdeckt.“

Gebhard von Königsau hielt dem Maler seine Hand hin und sagte:

„Ich danke Ihnen, mein wackerer Herr Schneffke! Geben Sie mir Gelegenheit, Ihnen für dieses Verdienst dankbar zu sein.“

„Diese Gelegenheit will ich Ihnen sogleich geben.“

„Nun?“

„Sprechen Sie nicht mehr von diesem Verdienst. Dies ist der beste Dank, den Sie spenden können. Übrigens kann ich mich mit dem stolzen Bewußtsein tragen, daß meine Fallsucht mir und anderen schon oft große Vorteile gebracht hat. Es versteht nicht ein jeder, wenn er fällt, gerade in das Glück zu fallen. Aber, nicht die Fallsucht führt mich zu ihnen, sondern Mademoiselle Marion schickt mich her.“

„Wohl zu mir?“ fragte der Rittmeister.

„Ja. Sie läßt nämlich den Herrn Doktor fragen, wann Sie sich zum Aufbruch fertigmachen soll.“

„Ich werde sofort nach dem Pferd sehen.“

Eine Viertelstunde später saß er auf dem Bock und fuhr Marion und Liama nach Ortry. Dort angekommen, übergab er dem Stallknecht die Zügel und begleitete die beiden Damen nach Marions Zimmer.

Die Erscheinung Liamas konnte nicht auffallen, da die Frau Doktor Bertrand ihr einen Regenmantel und Hut geliehen hatte.

Kaum waren sie in das Zimmer getreten, als ein Diener kam und meldete, daß die Frau Baronin das gnädige Fräulein bei sich erwarte.

„Ich bin beschäftigt“, antwortete Marion.

Der Diener ging, kehrte aber mit dem Befehl zurück, augenblicklich Folge zu leisten.

„Sagen Sie der Frau Baronin, daß sie mir nicht das geringste zu befehlen hat! Aber richten Sie das ja ganz wörtlich aus!“

Die Baronin wurde von der Dienerschaft gehaßt. Der Beauftragte richtete, um die stolze Frau zu ärgern, den Befehl sehr gern wörtlich aus. Sofort machte sie sich auf den Weg nach Marions Zimmer.

Diese hatte das vermutet und Liama gebeten, in das kleine Nebenkabinett zu treten, von welchem aus sie mit Müller die Entführung der Zofe beobachtet hatte.

„Was soll das heißen?“ fuhr die Baronin in das Zimmer. „Warum kamst du nicht?“

„Weil ich keine Zeit habe, wie ich sagen ließ.“

„Wenn ich befehle, hast du zu gehorchen!“

„Darauf habe ich dir sagen lassen, daß du mir nichts zu befehlen hast.“

„Also wirklich! Solche Frechheiten gestattest du dir!“

„Sei wählerischer in deinen Ausdrücken, sonst muß ich auf deine Entfernung dringen!“

„Was fällt dir ein – – – ah, wer ist denn das? Der Herr Doktor! Ich denke, Sie sind fort!“

„Wie Sie sehen, bin ich hier“, antwortete Müller ruhig.

„Was suchen Sie hier?“

„Die notwendige Bildung und Höflichkeit im Verhalten gegen andere!“

„Ah! Ist das etwa gegen mich gerichtet?“

„Jedenfalls.“

„Unverschämter! Entfernen Sie sich!“

Müller zuckte die Achsel.

„Ich befehle Ihnen, sich zu entfernen!“

„Sie haben auch mir nichts zu befehlen! Ich bin nicht mehr Ihr Hausgenosse.“

„Um so nachdrücklicher befehle ich Ihnen, zu gehen!“

„Ich habe nur auf den Wunsch des gnädigen Fräuleins zu hören!“

„Und ich bitte Sie herzlichst, zu bleiben, Herr Doktor!“ sagte Marion. Dann fuhr sie, zur Baronin gewendet, in kaltem Ton fort:

„Was ist's, was du mit mir zu sprechen hast?“

„In Gegenwart Fremder schweige ich natürlich!“

„Das ist mir lieb!“

Sie hatte den Schrank geöffnet und suchte nach denjenigen Dingen, welche sie mitzunehmen gedachte.

„Warum packst du ein?“ fragte die Baronin.

„Weil ich abreise.“

„Wohin?“

„Das ist Staatsgeheimnis.“

„Impertinent! Von wem hast du die Erlaubnis?“

„Ich denke, keine Erlaubnis nötig zu haben.“

„Da bin ich denn doch gezwungen, meine Rechte auf das energischste zu wahren. Du darfst dich ohne meine Einwilligung nicht entfernen!“

„Ich wüßte keinen Grund, aus welchem du ein solches Recht über mich herleiten könntest.“

„Es ist ein sehr natürlicher: Ich bin deine Mutter!“

„Aber eine sehr unnatürliche.“

„Willst du mich etwa veranlassen, dir zu beweisen, daß ich mir nötigenfalls Gehorsam erzwingen kann?“

„Wie willst du das anfangen?“

„Ich rufe die Dienerschaft herbei!“

„Ich befehle den Dienern, zu gehen, und das werden sie tun.“

„So schicke ich nach der Polizei.“