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„Ich verlange von ihr, dich zu arretieren, und sie wird es tun.“

Da trat die Baronin drohend auf sie zu und fragte:

„Mädchen, was willst du damit sagen?“

Marion wollte antworten; aber Müller winkte ihr zu und sagte an ihrer Stelle:

„Gnädiges Fräulein wollen jedenfalls damit andeuten, daß es jederzeit Veranlassung gibt, die einstige Hirtin Adeline Verdy in Arretur zu nehmen.“

Die Baronin erbleichte.

„Herr, welche Sprache wagen Sie!“ rief sie aus.

„Eine sehr begründete.“

„Ich verstehe Sie nicht, wenn ich Sie nicht für wahnsinnig halten soll.“

„Der Wahnwitz ist Ihr eigenes Feld, auf welchem Sie es zur Baronin gebracht haben, nämlich der Wahnwitz Ihres Mannes. Denken Sie an den Doppelmord bei der Kriegskasse.“

Sie wurde totenbleich.

„Ich begreife Sie wahrscheinlich nicht!“

„An die beiden, welche von Ihrem Mann mit der Hacke erschlagen wurden und an den, welchen der Kapitän fast erstach, den Sie aber pflegten, um ihn dann einzusperren und dadurch Baronin zu werden.“

„Sie phantasieren.“

„Pah! Sollten Sie Gebhard von Königsau nicht kennen?“

„Ich kenne ihn nicht!“

„Wollen Sie ihn sehen? Er ist entkommen.“

„Lüge!“

„Wahrheit! Wo ist der Kapitän?“

„Er scheint ausgegangen zu sein.“

„Entflohen ist er, aus Angst entflohen. Er hat den Grafen Rallion mitgenommen. Suchen Sie diese beiden!“

Sie fühlte sich wie zerschmettert; aber sie nahm sich zusammen; sie raffte sich auf und fragte:

„Was habe ich mit Ihnen zu schaffen? Was gehen mich andere an? Tun Sie, was Ihnen beliebt. Jetzt aber befehle ich Ihnen, sich zu entfernen. Ich bin die Herrin dieses Hauses!“

„Sie? Da irren Sie sich sehr.“

„Wer sonst?“ fragte sie stolz.

„Ich werde Ihnen die wirkliche Gebieterin von Ortry zeigen.“

Er öffnete die Tür zu dem Nebenkabinett.

„Hier! Kennen Sie diese Dame?“

Liama hatte Regenmantel und Hut abgelegt und trat in ihrer maurischen Gewandung ein, doch das Gesicht unverschleiert.

Die Baronin wich zurück. Sie war bis auf den Tod erschrocken und schlug die Hände vor das Gesicht.

„Liama!“ stieß sie hervor.

„Du kennst mich noch, Hirtin. Geh zu dem Wahnsinnigen. Hier bei uns hast du nichts zu schaffen! Komm, Marion, mein Kind, und kommen Sie, Doktor, ich werde Ihnen zeigen, wer hier Herrin ist.“

Sie nahm ihre Tochter bei der Hand und schritt voran – Müller folgte. Die Baronin wankte hinterher, von einem unbestimmten Impuls getrieben.

Es ging in den Speisesaal und von da in die Gemächer der Schloßherrin. Die Baronesse folgte, ohne ein Wort zu sagen. Im Boudoir blieb Liama stehen und deutete nach dem Kamin.

„Doktor, schrauben Sie dieses Bild heraus.“

Der Marmorkamin war mit einem Aufsatz gekrönt, in dessen Mitte sich ein Medaillon mit dem in Silber getriebenen Kopf der Venus befand. Müller faßte das Medaillon mit beiden Händen. Sollte es sich wirklich bewegen lassen? Er mußte alle seine Kräfte anwenden; der Rost hatte sich in das Gewinde gesetzt. Aber endlich gelang es. Und als das Medaillon entfernt war, sah man einen viereckigen Raum, in welchem sich ein Kästchen von nicht unbedeutender Größe befand.

„Nehmen Sie es heraus und öffnen Sie es!“ gebot Liama.

Müller gehorchte. Das Kästchen war aus Rosenholz gearbeitet, mit massivgoldenen Spangen und Riegeln; als diese letzteren zurückgeschoben waren, zeigte es sich, daß es mit allerlei Arten kostbaren Geschmeides angefüllt war.

„Das ist dein, Marion, mein Kind!“ sagte Liama.

Die Augen der Baronin ruhten auf den blitzenden Perlen und Steinen. Ihre Gier erwachte.

„Halt!“ sagte sie. „Dieses Etui gehört uns.“

„Wem?“ fragte Müller kalt.

„Mir und meinem Mann.“

„Haben Sie es ihm eingebracht?“

„Nein, ich nicht.“

„Können Sie nachweisen, daß es sein Eigentum ist, und auf welche Weise er es erworben hat?“

„Er wird es beweisen.“

„Nein. Das vermag er nicht“, sagte Liama. „Dieses Gold ist mein Eigentum, und ich schenke es Marion, meiner Tochter.“

„Lüge!“ stieß die Baronin hervor.

Liama würdigte sie keines Blickes, sondern sie fuhr, zu Müller gewendet fort:

„Es ist der Schatz der Beni Hassan; er gehört Liama, der einzigen Tochter des Scheiks Menalek. Saadi hat ihn mir gebracht und ihn hier im Kamin verborgen. Von jetzt an gehört er Marion, der Enkelin Menaleks.“

Die Baronin wollte abermals Verwahrung einlegen, aber sie wurde abgehalten. Hinter ihr hatte sich die Tür leise geöffnet; der irrsinnige Baron war eingetreten. Sein Auge schweifte ausdrucklos im Kreis umher und blieb zuletzt auf der Tochter der Beni Hassan haften.

„Liama!“ rief er aus.

Er tat einige Sprünge und warf sich ihr zu Füßen. Er umfaßte ihre Knie und rief in angstvollem Ton:

„Liama, Liama, rette mich!“

„Vor wem?“ fragte sie streng.

„Vor ihnen! Sie schuldigen mich an. Ich bin es gewesen; aber sage ihnen, daß ich es nicht gewesen bin. Dir glauben sie, mir aber nicht.“

„Wo sind sie denn?“

„Überall sind sie, überall. Sie verfolgen mich auf Schritt und Tritt. Rette mich!“

„Was sagen sie, was du getan haben sollst?“

Eben wollte er antworten, da aber fiel die Baronin schnell ein:

„Halt! Mein Mann ist krank. Niemand darf ihn aufregen. Niemand darf mit ihm sprechen.“

Sie trat hinzu, um ihn bei der Hand zu fassen und aus seiner knienden Stellung emporzuziehen. Er streckte ihr abwehrend die eine Hand entgegen, während er sich mit der anderen angstvoll an Liama klammerte, und rief in kläglichstem Ton:

„Fort mit ihr, fort mit der Schlange! Liama, laß sie nicht heran. Beschütze mich!“

„Er redet Unsinn!“ erklärte die Baronin. „Er muß fort auf sein Zimmer!“

Sie streckte die Hand nach ihm aus, um ihn zu erfassen. Müller sagte sich, daß er das nicht zugeben dürfe. Der Irrsinnige befand sich in einer Aufregung, welche erwarten ließ, daß man von ihm vieles erfahren könne, was bisher verschwiegen gewesen war. Darum nahm er die Baronin beim Arm und sagte in strengem Ton:

„Zurück hier, Madame! Sie werden diesen Unglücklichen nicht berühren!“

Da loderte in ihren Augen das Feuer des wildesten Hasses auf. Sie ballte die Fäuste, stampfte mit den Füßen und rief drohend:

„Noch ein solches Wort und ich lasse Sie hinauswerfen!“

„Pah“, lachte er. „Das Schäfermädchen hat das Zeug nicht dazu, mich hinauswerfen zu lassen!“

„Schäfermädchen?“ kreischte sie förmlich auf. „Glauben Sie, daß ich mich vor einem fortgejagten, buckligen Hauslehrer zu fürchten habe?“

„Ja, ganz gewiß; das glaube ich“, sagte er ruhig. „Daß Sie mich auf meine unverschuldete Mißgestalt aufmerksam machen, ist der sicherste Beweis, daß Sie vom Dorf stammen und in das Dorf gehören. Gehen Sie.“

Er zeigte bei diesen Worten nach der Tür.

„Nein, sondern packen Sie sich fort!“

Sie griff abermals nach dem Baron.

„Den lassen Sie hier“, gebot Müller.

„Gut, so werde ich klingeln.“

Während dieser Worte ging sie zur Tür, wo sich der Glockenzug befand.

„Ja, klingeln Sie!“ sagte Müller. „Aber den Diener, welcher hereintritt, werde ich nach der Polizei schicken.“

Sein Tonn klang so fest und sicher, daß sie den Schritt innehielt.

„Nach der Polizei? Wozu?“ fragte sie.

„Um Sie arretieren zu lassen.“

„Weshalb?“

„Wegen verbotener Doppelehe.“

„Ah!“

„Wegen rechtswidriger Gefangenhaltung des Barons Gebhard von Königsau.“