„Sie sind ein Teufel!“
„Wegen Ehebruchs mit dem jetzt toten Fabrikdirektor.“
„Herr“, brauste sie auf. „Was fällt Ihnen ein?“
„Pah. Ich weiß alles. Hat nicht der Alte Sie im Garten ertappt? Und war nicht auch ein fremder Offizier bei Ihnen? Gehen Sie augenblicklich, sonst bin ich es, welcher klingelt. Vorwärts.“
Er faßte sie am Arm und führte sie zur Tür hinaus, welche er hinter ihr verschloß. Sie war so verblüfft, daß sie gar nicht daran dachte, zu widerstreben.
Ihre Entfernung machte sichtlich auf den Baron einen beruhigenden Eindruck.
„Fort ist sie, fort“, sagte er. „Gott sei Dank!“
„Sprechen Sie mit ihm!“ flüsterte Müller Liama leise bittend zu.
Sie beugte sich zu dem noch immer vor ihr Knienden nieder, legte ihm die Hand auf den Kopf und sagte:
„Armer Henri!“
Das schien ihm wohlzutun. Er lächelte zu ihr auf und stieß stockend hervor:
„Nur du kannst mir helfen, willst du?“
„Ja.“
„Sie stehen alle da, rund um mich her, hier, da und dort, allüberall.“
„Wer?“
„Der Deutsche, den wir erschlagen haben.“
„Wo?“
„Im Wald. Wegen der Kriegskasse.“
„Wie hieß er?“
„Königsau.“
„Wo ist er jetzt?“
„Er ist tot, tot, tot.“
„Wirklich?“
„Ja. Aber sein Geist lebt noch.“
„Wo?“
„Unten in der Erde. In den tiefen Kellern des Schlosses Ortry.“
„Hast du ihn gesehen?“
„Ja.“
„Wann?“
„Das weiß ich nicht mehr. Der Alte hat ihn mir gezeigt. Der Mord lag mir auf der Seele, und er wollte mich beruhigen. Darum machte er mir weis, daß Königsau nicht tot sei, sondern noch lebe.“
„Er zeigte ihn Dir?“
„Ja. Aber es war nicht Königsau, sondern sein Geist. Und da, da steht noch Einer!“
Er zeigte mit der Hand angstvoll seitwärts. Seine Augen blickten starr und erschrocken nach einem Punkt.
„Wer?“
„Hadschi Omanah.“
„Oh, der fromme Marabut?“
„Ja.“
„Kennst du ihn denn?“
„Ich habe ihn ja begraben.“
„Wo?“
„Auf dem Berg, in seiner Hütte. Und da steht auch sein Sohn. Er droht mir mit der Hand. Er hat einen Totenkopf und zeigt mir die Zähne. Rette mich!“
Er befand sich in fürchterlicher Angst. Der Schweiß tropfte ihm förmlich von der Stirn. Es war derjenige Zustand, in welchem er von dem alten Kapitän nur durch Faustschläge zum Schweigen gebracht worden war.
„Hast du den Sohn des Marabuts denn auch gesehen?“ fragte sie auf die geflüsterte Aufforderung Müllers.
„Ja.“
„Wo denn?“
„Auch auf dem Berg. Ich habe ihn ja ermordet!“
Müller stand hinter Liama und raunte ihr zu, was sie sagen solle.
„Ermordet?“ fragte sie. „Du selbst?“
„Ja.“
„Warst du allein da?“
„Der Alte war mit. Er gebot mir, ihn zu töten.“
„Warum?“
„Weil ich Baron werden sollte.“
„Warst du denn nicht Baron?“
„Nein, o nein.“
„Was warst du denn?“
„Ich war ja Henri Richemonte, der Cousin und Pflegesohn des Kapitäns.“
„Und wer war der Baron?“
„Es waren zwei da.“
Er konnte sich sichtlich nur schwer auf die Einzelheiten besinnen. Es mußte alles sehr vorsichtig aus ihm herausgelockt werden.
„Zwei?“ fragte sie. „Wer war es?“
„Der Vater und Sohn.“
„Welcher war der Vater?“
„Der Marabut. Er lag im Sterben, als wir kamen, und den Sohn tötete ich.“
„Begrubt ihr sie?“
„Ja, in der Hütte. Die Papiere nahmen wir.“
„Was machtet ihr damit?“
„Ich bewies, daß ich der junge Sainte-Marie sei und sagte, mein Vater sei tot. Herrgott! Da steht noch einer und noch einer!“
„Wer?“
„Menalek, der Scheik der Beni Hassan.“
Sie legte die Hand an ihr Herz, als ihr Vater erwähnt wurde, bezwang sich aber und fuhr fort:
„Was will er von dir?“
„Er klagt mich an. Er fordert Rechenschaft.“
„Worüber?“
„Über seinen Tod. Wir haben ihn in die Hände der Franzosen gegeben. Und den andern auch.“
„Wer ist das?“
„Saadi. Er mußte sterben.“
„Weshalb?“
„Weil ich Liama haben wollte, seine Geliebte. Hast du mich denn nicht gekannt?“
„Wer warst du?“
„Ich war Ben Ali und der Alte war –“
Er hielt inne, um sich zu besinnen.
„Wer war er?“
„Er war Malek Omar, der Fakihadschi. Er machte den Spion der Franzosen und der Beduinen. Er verriet sie aber beide. Oh, errette mich!“
Er schauderte zusammen und versuchte, sich hinter ihr vor den Geistern zu verbergen, welche er zu erblicken wähnte. Sie hatte doch Mitleid mit ihm. Darum sagte sie in beruhigendem Tone:
„Sei still. Saadi ist nicht tot.“
„Nicht? Dort steht ja sein Geist.“
„Es ist Täuschung. Saadi lebt.“
„Ist es wahr?“
„Ja.“
„Er wurde doch erschossen!“
„Nein. Er war nur auf den Tod verwundet. Die Franzosen glaubten ihn tot und ließen ihn liegen. Dann aber wurde er gefunden und gepflegt.“
„Du sagst es, und du lügst nie.“
„Nein.“
„Ja, du hast recht. Sein Gesicht ist verschwunden. Mein Kopf schmerzt nicht mehr. Ich will gehen.“
Er erhob sich und wankte nach der Tür. Sie ließen ihn gehen, ohne ihn zurückzuhalten. Was sie jetzt erfahren hatten, wußten sie bereits zum großen Teil, Liama aus ihrer Vergangenheit und Müller aus den Aufzeichnungen, welche Marion von Hassan, dem Zauberer, empfangen und ihm anvertraut hatte. Manches aber erschien ganz neu und war wohl geeignet, sie in die höchste Bestürzung zu versetzen und ihnen Stoff zu den interessantesten und wichtigsten Kombinationen zu geben.
VIERTES KAPITEL
In Algier
Wenn man in der Stadt Algier von der Straße Bab el Qued nach der Kasbahstraße einbiegt und dann sich um die erste Ecke rechter Hand wendet, kommt man an eins der berühmtesten Kaffeehäuser der einstigen Seeräuberstadt. Aber dem Äußeren dieses Hauses sieht man diese Berühmtheit ganz und gar nicht an. Es ist schwarz und alt. Kein Stein scheint mehr auf dem anderen halten zu wollen, und der Eingang ist schmal und niedrig wie die Tür zu einer Hütte.
Durch ihn gelangt man zunächst in einen langen, dunklen Flur, dann aber in einen großen, offenen Hof, welcher mit prächtigen Säulenbogen umgeben ist, unter denen sich kleine, lauschige, nach dem Hof zu offene Gemächer rundum aneinander reihen.
Diese Gemächer sind für die Gäste bestimmt.
Inmitten des Hofes plätschert ein Brunnen, welcher von den vollen Wipfeln einer Sykomore überschattet wird. Hier sitzen des Abends, während die Ausländer unter den Säulenbogen trinken und rauchen, die Eingeborenen, in ihre weiten, weißen Gewänder gehüllt, ‚trinken‘ ihren Tschibuk, wie der Maure sich auszudrücken pflegt, und schlürfen einen Fingan Kaffee nach dem andern dazu.
Dabei lauschen sie dem Vortrag des Meda, des Märchenerzählers, der sie im Geiste nach Damaskus und weiter führt und ihnen jene phantastischen Bilder aus Tausendundeiner Nacht vor die Augen führt.
Doch nicht immer sind es Märchen, welche sie hören. Er berichtet auch von Mohammed dem Propheten, von den Kalifen, von dem großen Salah-ed-din, welchen die Christen Saladin nennen, von Tarik dem Eroberer, von dem spanischen Reich der Mauren. Er beschreibt die Pracht und Herrlichkeit des Altertums und schildert ebenso die Gegenwart.
Hat er Mekka, die heilige Stadt besucht, so beschreibt er seine Pilgerreise, und ist er weit in das Innere der Wüste gekommen, so entrollt er die Geheimnisse der Sahara vor ihren Augen. Er spricht vom Samum, von den Djinns, den bösen Geistern, vom Löwen, dem Beherrscher des Wüstenrandes, und während er spricht und erzählt, dichtet er: