„Ja, das ist wahnsinnig. Allah gebe, daß du deinen Verstand wiederfindest!“
„Ich habe ihn noch; ich habe ihn noch gar nicht verloren. Hadschi Omanah ist früher ein Christ gewesen und dann zu unserem Glauben übergetreten.“
„So meinst du, daß er kein Sohn der Araber gewesen sei?“
„Nein; er war ein Franke. Ich kenne sogar seinen Namen.“
„Willst du allwissend sein wie Gott selbst?“
„Ich denke nach; darum weiß ich es.“
„Nun, wie soll dieser Name lauten?“
„Baron de Sainte-Marie.“
Dem guten Hassan war der Tschibuk längst ausgegangen. Jetzt aber legte er ihn gar beiseite. Er öffnete den Mund und starrte seinen Verwandten an, als ob er ihn zum ersten Mal sehe.
„Sainte-Marie?“ wiederholte er.
„Ja.“
„Mensch, willst du auch mich um den Verstand bringen?“
„Nein. Denke nach. Hadschi Omanah war ein Baron de Sainte-Marie, der seinen Sohn bei sich hatte. Sie verbargen bei sich diese Papiere, welche Abschriften sind. Sie hatten auch die Originale bei sich.“
„Wozu die Abschriften, wenn sie die Urschriften hatten?“
„Aus Vorsicht, zu ihrer Sicherheit. In den Schluchten des Auresgebirges gibt es wilde Menschen. Geschah etwas, wobei von den Schriften entweder das Original oder die Kopie vernichtet wurde, so war doch wenigstens das andere noch vorhanden.“
„Aber sie können ja gar nicht Sainte-Marie geheißen haben.“
„Warum nicht?“
„Weil es einen Sainte-Marie gibt.“
„Oh, der ist unecht.“
„Du meinst, daß dieser Ben Ali – – –?“
„Ein Schwindler ist.“
„Allah!“
„Und nicht nur ein Schwindler, sondern ein Mörder. Und nicht er allein, sondern dieser Malek Omar mit ihm.“
„Der sich Richemonte nennt?“
„Ja. Sie haben den Hadschi Omanah, den richtigen, echten Sainte-Marie, und dessen Sohn ermordet und die Papiere an sich genommen.“
„Damit Ben Ali Baron werden solle?“
„Ganz gewiß.“
„Saadi, mein Bruder, wenn du recht hättest.“
„Ich habe recht.“
„Das wäre eine Rache an den beiden.“
„Wir werden uns rächen.“
„Aber wann und wie?“
„Das haben wir uns zu überlegen. Sie haben nicht geahnt, daß es noch Abschriften gibt. Mit diesen letzteren können wir beweisen, daß die wirklichen Sainte-Maries tot sind. Nun aber, wie ist es dir seit unsrer Trennung ergangen?“
„Ich habe still gearbeitet. Nun aber hat sich etwas ereignet, was uns auf baldige Rache hoffen läßt.“
„Was?“
„Frankreich wird mit Deutschland Krieg führen.“
„Ist das gewiß?“
„Ja. Deutschland soll überrascht werden. Hast du denn noch nichts gehört?“
„Nein.“
„Die ganze Provinz ist in Bewegung. Die Regimenter der Turkos und Spahis werden nach der Küste gezogen, um schnell eingeschifft werden zu können.“
„Allah sei Dank. Sind die Oasen dann von den Soldaten entblößt, so werden wir uns erheben.“
Hassan schüttelte den Kopf und meinte:
„Das ist eine trügerische Hoffnung. Die Stämme Algeriens werden sich nicht erheben.“
„Warum nicht?“
„Es fehlt ihnen ein Anführer.“
„Wir haben viele tapfere Scheiks.“
„Aber keinen Feldherrn.“
„Wir werden einen finden.“
„Aber keinen Abd el Kader. Nein, nicht hier in der Heimat können wir uns rächen.“
„Wo denn?“
„Drüben, jenseits des Meeres, wenn der Krieg begonnen hat. Diese Franzosen jauchzen bereits. Sie sind siegestrunken, bevor der Krieg noch erklärt worden ist. Aber hast du die blonden Männer der Fremdenlegion gesehen?“
„Ja, das sind die tapfersten und edelsten.“
„Das sind Deutsche. Hast du gehört, von wem Napoleon der Große vernichtet worden ist?“
„Von den Deutschen.“
„So wird es auch diesmal werden.“
„Allah gebe es!“
„Alle Gläubigen beten zu Allah, daß unsere Unterdrücker vernichtet werden. Und jeder Moslem ist bereit, das seinige dazu zu tun.“
„Und doch müssen unsere Brüder für Frankreich fechten.“
„Sie werden es nicht tun.“
„Oh, man wird sie zwingen.“
„Sie werden sich nicht zwingen lassen, sondern zum Feind überlaufen, wenn man sie gegen ihn führt. Es geht durch die Reihen der Spahis und Turkos eine heimliche Bewegung, von der du dich bald überzeugen sollst. Aber was kümmert das jetzt uns? Wir haben weit anderes zu tun. Ich weiß, wie wir uns persönlich an Frankreich rächen können.“
„Wie?“
„Indem wir Kapitän Richemonte vernichten.“
„Was sollte dies Frankreich schaden?“
„Habe ich dir nicht erzählt, daß ich drüben erfahren habe, er stehe an der Spitze einer Verschwörung gegen Deutschland?“
„Du sagtest es.“
„Nun, wenn wir ihn stürzen, so bricht der ganze Plan zusammen. Diese Abschriften müssen ihn verderben.“
„So willst du wieder nach Ortry, trotzdem du von diesem Ort geflohen bist, hinüber?“
„Ich floh vor dem Geist, den ich erblickte.“
„Hassan, weißt du genau, daß es ein Geist war?“
„Ja.“
„Kannst du es beschwören?“
„Ihr Körper kann es nicht gewesen sein.“
„Warum nicht?“
„Weil sie tot ist.“
„Sie könnte vielleicht noch leben.“
„Könnte da der Baron ein anderes Weib haben?“
„Da drüben gelten andere Gesetze.“
„Man hat nicht anders gewußt, daß Liama das christlich angetraute Weib des Barons sei.“
„So gibt es demnach noch eine Möglichkeit, daß sie noch lebt. Man hat sie nur beseitigt. Hast du ihren Geist genau betrachtet?“
„Ich habe ihn genau gesehen.“
„Wie war er gekleidet?“
„In die Tracht unseres Landes.“
„Verstandest du, was er sagte?“
„Jedes Wort.“
„In welcher Sprache redete er?“
„In französischer.“
„O Hassan, ich glaube, du täuschst dich. Ihr Geist hätte ganz sicher gewußt, daß du es bist, und dann hätte er arabisch gesprochen.“
„Ein Geist redet die Sprache desjenigen Landes, in welchem er erscheint. Liama erschien unter Donner und Blitz. Kann das ein Mensch?“
„Ja. Man hat Pulver.“
„Oh, das war kein Pulver. Die ganze Erde bebte und brannte. Ich bin davongestürzt.“
„Aber jene beiden Männer blieben?“
„Ich weiß es nicht.“
„Du bist zu eilig gewesen. Warum hast du dann nicht wenigstens in der Stadt gewartet? Du konntest erfahren, welchen Ausgang es genommen hatte.“
„Sollte ich mich als Leichenräuber festnehmen lassen?“
„Ich will dich nicht tadeln, daß du zu vorsichtig gewesen bist. Wir werden wieder hinübergehen, und dann suche ich das Grab selbst auf, um mich zu überzeugen, daß es die Überreste meiner Liama wirklich enthält.“
„Deiner Liama – – –? Sie war das Weib des Barons.“
„Nie.“
„Glaubst du ihrer Versicherung wirklich so fest?“
„Ich glaube an sie wie an mich selbst. Dieser falsche Baron hat nur sagen dürfen, daß sie wirklich sein Weib sei.“
„So ist ihre Tochter die deinige?“
„Sie ist es. Ich war mit Liama verlobt, und sie wurde vor Allah mein Weib, als ich sie fand und heimlich bei ihr wohnte. Da treten neue Gäste ein. Gehen wir, Hassan. In unserer Wohnung können wir ungestört weitersprechen.“
Sie bezahlten, was sie genossen hatten, und verließen dann das Kaffeehaus.
Es war Mondschein. Sie wandelten im Schatten der Häuser. Aber als sie um die Ecke bogen, kamen sie in den vollen Schein, ebenso auch ein Mann, welcher von der anderen Seite kam und fast mit ihnen zusammengerannt wäre.