Alle drei hielten ihre Schritte an und sahen einander unwillkürlich in die Gesichter.
„Hassan der Zauberer“, entfuhr es dem Mann.
„Vater Main!“ rief dagegen Hassan. „Mensch, wie kannst du wagen – – – Allah, Allah!“
Er stieß diese beiden Rufe aus, weil er vom Vater Main einen fürchterlichen Hieb in die Magengegend erhalten hatte, so daß er an die Mauer taumelte. Der einstige Pariser Wirt rannte davon. Saadi wollte ihm nach, hielt es aber doch für nötiger, nach dem Bruder zu sehen.
„Ist's gefährlich?“ fragte er ihn.
„Nein. Schon ist's vorüber. Dorthin rannte er. Schnell ihm nach.“
Beide eilten in die Richtung hin, in welche Main entflohen war. Sie kamen bis an das Ende der Straße, ohne ihn erblickt zu haben. Sie sahen nun nach rechts und links in die Querstraßen hinein, ohne ihn zu bemerken.
„Er ist fort“, meinte Saadi.
„Entkommen, der Schuft.“
„Du kennst ihn?“
„Freilich. Ich nannte ja seinen Namen.“
„Wer ist er?“
„Ein ganz gefährlicher Verbrecher, welcher aus Paris entflohen ist. Er wurde Vater Main genannt. In seinem Haus verkehrten nur böse Menschen. Er hatte ein sehr vornehmes Mädchen geraubt, um ein großes Lösegeld zu erlangen.“
„Hätte ich das gewußt!“
„Was hättest du getan?“
„Ihn sogleich festgehalten.“
„Man wird ihn ohnedies ergreifen, denn ich gehe gleich am Morgen zur Polizei, um zu melden, daß er sich hier befindet.“
Sie setzten ihren Weg fort, ohne zu ahnen, daß sich der, von welchem sie sprachen, ganz in ihrer Nähe befand. Das Nachbarhaus desjenigen, an welchem sie stehengeblieben waren, war nämlich, wie so manches in Algier, unbewohnt, weil es halb in Trümmern lag. Die Tür hing zwar noch in den Angeln, wurde aber nicht mehr verschlossen.
Hinter diese Tür war Vater Main geschlüpft und hatte sie so herangedrückt, daß es den Anschein hatte, als ob sie verschlossen sei. Er hörte ganz deutlich, was Hassan erzählte.
„Verräter!“ murmelte er, als sie fortgegangen waren. „Ich stoße dir das Messer in den Leib, sobald du mir wieder begegnest. Wie gut, daß diese beiden Menschen nicht wußten, welch ein prächtiger Schlupfwinkel dieses alte Seeräuberhaus ist.“
Er tappte sich im Finstern bis in den Hof und kletterte da an einer Mauer empor. Drüben sprang er in den Hof eines andern Gebäudes herab, schlich sich über denselben hin und gelangte an eine Tür, an welche er klopfte. Drinnen ertönte eine Stimme:
„Wer?“
„Ich selbst.“
„Gleich!“
Nach wenigen Augenblicken wurde geöffnet. Vater Main trat in einen jetzt ganz dunklen Raum.
„Warum hast du kein Licht?“ fragte er.
„Brauche keins.“
„Hast wohl geschlafen?“
„Ja.“
„Faulpelz!“
„Hm! Du schwitzt wohl vor lauter Arbeit?“
„Wenigstens bekümmere ich mich weit mehr als du um das, was uns von Nutzen ist.“
„Pah! Was brauchen wir jetzt? Eine Handvoll Datteln täglich; das ist genug. Warum soll man sich da übermäßig anstrengen?“
„Aber in Zukunft.“
„Warte nur ganz ruhig bis der Krieg losgeht; dann beginnt unsere Zukunft, eher aber nicht.“
„Na, wann wird denn Licht?“
„Ach, Licht willst du?“
„Natürlich! Ich denke, du bist aufgestanden, um welches anzuzünden?“
„Fällt mir nicht ein. Ich brauche keins. Ich bin doch nur aufgestanden, um dir zu öffnen.“
„Und dich dann gleich wieder aufs Lager zu werfen.“
„Ja. Kann man was besseres tun?“
Vater Main antwortete vorerst nicht. Er brannte eine alte Lampe an, welche er in eine Mauernische stellte. Nun erkannte man den kellerartigen Raum, welcher früher wohl einmal als Badestube benutzt worden war. Jetzt war er völlig kahl und leer. Nur in der einen Ecke lag eine alte Strohmatte. Daneben stand ein Krug. Lampe, Krug und Matte bildeten das einzige Mobiliar dieser Wohnung; auf der Matte aber lag kein anderer als – Lermille, der flüchtige Bajazzo, welcher in Thionville seine Stieftochter vom hohen Seil gestürzt hatte.
Vater Main brachte einen Zigarrenstummel aus der Tasche, brannte ihn an und setzte sich auf den Steinboden. Lermille zog den Duft des Krautes gierig ein und sagte:
„Donnerwetter! Das ist nicht Ordinäres. Wie kommst du zu so einer Exquisiten?“
„Ich sah den Stummel am Kai liegen.“
„Glückskind! Den hat kein Lump weggeworfen. Hast du sonst etwas mitgebracht?“
„Nichts, gar nichts.“
„Auch kein Geld?“
„Nein.“
„So bin ich gescheiter gewesen als du. Ich begebe mich lieber gleich gar nicht in die Gefahr, erkannt und erwischt zu werden. Ist nachher der Mond hinab, so gehe ich, um Wasser zu holen und einige Datteln zu stehlen; das reicht ganz gut bis morgen. Ich bin froh, die See zwischen Paris und mir zu haben, und will jetzt nicht gleich wieder verwegen sein, wie ein Leiermann.“
„Hast auch Ursache dazu.“
„Ich denke, du ganz ebenso.“
„Habe soeben erst den Beweis erlebt.“
„Ah! Wieso?“
„Ich hatte ein wunderbar hübsches Wiedersehen.“
„Mit wem?“
„Rate einmal!“
„Laß mich in Ruhe. Was man mir sagen kann, brauche ich nicht erst zu erraten. Ich habe meinen Kopf für nützlichere Dinge nötig. Also, wen hast du wiedergesehen?“
„Einen früheren Herrn Prinzipal von dir.“
„Welchen? Ich habe viele Prinzipale gehabt.“
„Es wird der letzte gewesen sein.“
„Doch nicht etwa Hassan der Zauberer?“
„Gerade dieser.“
„Alle Teufel.“
„Sieh, wie du dich freust!“ höhnte Vater Main.
Der Bajazzo war von seinem Lager aufgesprungen.
„Ist's wahr?“ fragte er.
„Ja.“
„Wann?“
„Vor zwei Minuten.“
„Wo?“
„Draußen auf der Straße.“
„Wie kommt dieser Kerl nach Algier?“
„Dumme Rede! Er kann ja viel eher nach Algier kommen als jeder andere deiner früheren Herren. Er ist ja ein Eingeborener.“
„Hat er dich früher gekannt?“
„Sehr gut.“
„Und dich wohl gar jetzt erkannt?“
„Sofort.“
„Donnerwetter! Was sagte er?“
„Er hatte noch einen bei sich. Diese beiden Kerls hätten mich höchstwahrscheinlich festgehalten; aber ich gab ihm eins auf den Leib, so daß er taumelte, und riß aus.“
„Verfolgten sie dich?“
„Höchst eifrig. Es gelang mir aber, drüben hinter die Tür zu kommen. Sie blieben in der Nähe stehen, und ich hörte, was sie schwatzten.“
„Was sagten sie?“
„Hassan will morgen gleich früh melden, daß er mich gesehen hat.“
„Verdammt!“
„Hast du Angst?“
„Lache nicht. Wir stehen bei der Polizei so gut angeschrieben, daß sie sich ganz außerordentlich nach uns sehnt.“
„Das ist eine große Ehre für uns.“
„Aber höchst unbequem. Erfährt man, daß wir hier in Algier sind, so wird sicher eine Razzia abgehalten. Wie wollen wir dieser entkommen?“
„Vielleicht sind wir dann bereits fort.“
„Wohin?“
„Weiß es noch nicht.“
„Weil wir überhaupt noch nicht fortkönnen.“
„Oho!“
„Wohin willst du ohne Geld?“
„Werden wir denn ohne Geld gehen?“
„Du sagst ja, daß du keines hast.“
„Das ist auch Wahrheit. Aber was nicht ist, das kann noch werden.“
„Ah! Sapperment! Du hast eine Gelegenheit erspürt?“
„Hm! Du tust so etwas nicht.“
„Du oder ich; das ist ganz egal. Ist nur erst einmal etwas gefunden, so bleibe ich bei der Ausführung sicherlich nicht zurück. Also, was ist's?“