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„Nun, diese Angelegenheit gehört nicht in mein Ressort. Gehen Sie eine Treppe hoch in das Anmeldezimmer!“

Dort erging es dem Bajazzo ebenso. Der Kammerdiener glaubte, ihn abweisen zu müssen. Er ging aber nicht und sagte endlich:

„Melden Sie, daß ich den gnädigen Herrn in Beziehung auf den Herrn Rittmeister zu sprechen habe!“

„Sie meinen den jungen Herrn?“

„Ja.“

„Sonderbar! Wie ist Ihr Name?“

„Den werde ich dem Grafen selbst nennen.“

Der Diener zuckte mit der Achsel, verschwand aber doch in der nächsten Tür. Dort befand sich das Rauchzimmer, und da saß – – – eben der junge Graf, welcher als Maler Haller in Berlin gewesen war.

„Was gibt es?“ fragte er den Kammerdiener.

„Ein fremder Mensch wünscht den gnädigen Herrn zu sprechen.“

„Meinen Vater?“

„Ja.“

„Vater hat keine Zeit. Er ist in der Bibliothek beschäftigt.“

„Die Person beharrt aber auf der Bitte.“

„Was will er?“

„Er behauptet, wegen Ihnen zu kommen.“

„Wegen meiner? Hm! Wer ist der Mann?“

„Er will seinen Namen nur dem gnädigen Herrn nennen.“

„Alle Wetter! Das klingt ja recht geheimnisvoll! Warte, ich werde ihn selbst empfangen. Er soll kommen!“

Der Diener öffnete, und der Bajazzo trat ein. Er hatte erwartet, den alten Grafen zu sehen; als er anstatt dessen den Chef d'Escadron erblickte, befiel ihn eine Verlegenheit, welche er vor Lemarch nicht zu verbergen vermochte. Dieser bemerkte es und fragte in einem hörbar mißtrauischen Ton:

„Was wollen Sie?“

„Ich bitte, den gnädigen Herrn Vater sprechen zu dürfen!“

„Er hat keine Zeit. Sagen Sie mir, was Sie zu sagen haben!“

„Das geht nicht an.“

„Warum nicht? Sie kommen meinethalben, wie ich gehört habe. So kann ich auch verlangen, zu erfahren, was Sie wollen. Also reden Sie!“

„Es geht wirklich nicht. Wenn der gnädige Herr nicht zu sprechen ist, so werde ich mir gestatten, ein anderes Mal wieder zu kommen.“

Er machte eine Bewegung, sich zu entfernen.

„Halt!“ sagte der Rittmeister. „Sie bleiben! Sie kommen mir verdächtig vor. Sie verschweigen Ihren Namen. Sie wollen mit Vater über mich sprechen, und zwar über einen Gegenstand, den ich nicht erfahren soll. Ich befehle Ihnen, Ihr Anliegen vorzubringen!“

„Es ist unmöglich.“

„Ah, das kennen wir! Ich werde nach der Polizei senden!“

Er tat einen Schritt nach dem Tisch, auf welchem die Klingel lag. Da bemächtigte sich des Bajazzos eine ungeheure Angst. Mit der Polizei durfte er auf keinen Fall zusammenkommen. Daher sagte er schnell in bittendem Ton:

„Verzeihung! Wenn ich lieber schweigen möchte, tue ich das nur um Ihretwillen.“

„So, so! Warum!“

„Weil ich nicht weiß, ob Sie davon wissen oder nicht!“

„Wovon?“

„Daß Sie nicht der Sohn des Grafen Lemarch sind!“

Da trat der Rittmeister einen Schritt zurück und sagte, indem sein Gesicht das größte Erstaunen ausdrückte:

„Ich bin nicht sein Sohn? Mann, sind Sie bei Sinnen?“

„Es ist so, wie ich sage.“

„Daß ich nicht der Sohn des Grafen bin?“

„Ja.“

„Ich habe wirklich große Lust, Sie als einen entsprungenen Tollhäusler festnehmen zu lassen!“

„Sie werden das nicht tun. Ich wollte Ihnen nichts mitteilen. Nun Sie mich aber gezwungen haben, bitte ich Sie, den gnädigen Herrn rufen zu lassen. Er wird bestätigen, was ich gesagt habe.“

Der Rittmeister betrachtete den Sprecher mit weitgeöffneten Augen. Dann sagte er:

„Sie sprechen wirklich im Ernst?“

„Ja.“

„Wer sind Sie?“

„Ich bin ein armer Teufel, ein Tischler, und heiße Merlin.“

Das war wieder ein falscher Name, den er sich gab.

„Gut! Kommen Sie!“

Bei diesen in entschlossenem Ton gesprochenen Worten faßte ihn der Rittmeister beim Arm, schob ihn durch eine Tür und dann durch eine zweite, worauf sie sich in der Bibliothek befanden. Dort saß der Graf am Studiertisch; er sah auf und richtete einen erstaunt fragenden Blick auf seinen Sohn.

„Pardon, Vater, daß ich störe!“ sagte dieser. „Ist dir vielleicht dieser Mann bekannt?“

Der Angeredete stand von seinem Stuhl auf, betrachtete den Bajazzo und antwortete:

„Nein. Ich habe ihn nie gesehen, wenigstens nie bemerkt.“

„Er scheint verrückt zu sein; er behauptet, daß ich nicht dein Sohn bin.“

Der Graf wechselte die Farbe, faßte sich aber schnell und sagte achselzuckend:

„Dann ist er allerdings geistig gestört. Laß ihn gehen.“

Er hatte in dieser Angelegenheit einen einzigen Vertrauten, nämlich Vater Main. Da dieser flüchtig war und nicht wiederkehren konnte, fühlte er sich seiner Sache sicher. Aber der Bajazzo meinte:

„Bitte, Herr Graf, mir zu glauben, daß ich im vollen Besitz meiner Sinne bin. Ja, Sie hatten einen Sohn. Er starb. Ihre Frau Gemahlin war schwach und kränklich; sie durfte den Tod des Kindes nicht erfahren. Um sie am Leben zu erhalten, taten Sie einen für Sie schweren Schritt. Sie verheimlichten ihr den Tod Ihres Sohnes und adoptierten einen anderen Knaben von demselben Alter. Dies war nur dadurch ermöglicht, daß Ihre Frau Gemahlin sich wegen ihrer leidenden Gesundheit für längere Zeit außer Landes befand.“

„Wer hat Ihnen dieses Märchen aufgebunden?“

Seine Stimme klang bei diesen Worten eigentümlich belegt. Er mußte sich alle Mühe geben, gleichgültig zu erscheinen.

„Es ist kein Märchen!“

„Was sonst?“

„Die Wahrheit. Sie gaben damals Ihrem Kammerdiener den Auftrag, nach einem geeigneten Kind zu suchen.“

„Was Sie sagen.“

„Sie schenkten diesem Mann Vertrauen. Später täuschte er Sie! Sie jagten ihn fort. Er wurde nachher unter dem Namen Vater Main bekannt und berüchtigt.“

„Alle Teufel! Woher haben Sie diese Geschichte?“

„Vom Vater Main.“

„Der Schurke lügt!“

„Oh, nein, denn ich bin es, der ihm damals den Knaben lieferte, gnädiger Herr.“

„Sie? Sie –!“

„Ja.“

Er nannte das Jahr, den Monat und den Tag ganz genau. Das war dem Grafen zu viel. Er griff sich an den Kopf. Er wußte nicht, was er sage sollte.

„Vater“, sagte der Rittmeister; „beweise diesem Manne, daß er sich irrt.“

Der Graf wendete sich ab. Er kämpfte mit sich selbst. Dann kehrte er sich wieder zu dem Bajazzo und befahl ihm:

„Treten Sie in das vorige Zimmer zurück, und warten Sie, bis ich Sie rufe.“

Der Bajazzo gehorchte. Vater und Sohn standen sich gegenüber, einer so erregt wie der andere.

„Vater, wie ist's? Er lügt! Er sagt die Unwahrheit!“

Der Graf schüttelte leise den Kopf und antwortete in gedämpftem Ton:

„Es kommt so plötzlich über mich. Ich kann nicht widerstreben. Bernard, er sagt die Wahrheit.“

Da lehnte sich der Offizier an den Tisch. Er hielt sich an demselben fest. Er zitterte.

„Mein Gott!“ stöhnte er. „Ich nicht – dein – Sohn! Ich – ich – – – o, mein Heiland!“

Da aber trat der Graf zu ihm, nahm seine beiden Hände und sagte in zärtlichem Ton:

„O doch, du bist mein Sohn; du bist und bleibst mein Kind. Du solltest nie erfahren, daß du von anderen Eltern seist. Nun aber dieser Mann gekommen ist, war es mir unmöglich, es zu verschweigen. Komm, setz dich nieder.“

Er zog ihn in einen Sessel nieder, nahm selbst auch Platz und erklärte ihm sodann:

„Es ist allerdings so, wie er sagte: Die Gräfin war durch die Geburt unseres einzigen Kindes außerordentlich angegriffen. Ihre Nerven litten; ihre Brust wurde krank. Sie mußte den Knaben mir überlassen, um ein anderes Klima aufzusuchen. Meine damaligen amtlichen Pflichten erlaubten mir nicht, sie zu begleiten. Da starb der Knabe. Ich wußte, daß sie seinen Tod nicht überleben werde, und mußte die Geliebte retten. Ich gab dem Diener Auftrag, mir einen anderen Knaben zu suchen.“