„Schneeberg.“
„Ein deutscher Name. Er war also ein Deutscher?“
„Ein Schweizer, glaube ich.“
„Wo befindet er sich gegenwärtig?“
„Ich weiß es nicht. Ich habe ihn entlassen.“
„Daran haben Sie sehr recht getan. Sodann hat man jenen Amerikaner Deep-hill bei Ihnen gesehen.“
„Hoffentlich soll das kein Vorwurf für mich sein!“
„Dieser Mensch war ein Feind Frankreichs.“
„Auch ihn lernte ich bei Ihnen kennen.“
„Er wurde mir empfohlen. Man hatte mich getäuscht. Also Sie weisen mein Anerbieten wirklich von der Hand?“
„Sie meinen das militärärztliche Engagement?“
„Ja.“
„Meine Pflicht gebietet mir, auf dem Posten, an welchem ich mich befinde, auszuharren.“
„Mögen Sie das nicht bereuen! Sie machen sich durch diese Weigerung verdächtig. Man wird ein sehr wachsames Auge auf Sie haben.“
„Soll das eine Drohung sein?“ erwiderte Bertrand.
„Nein, sondern eine Warnung. Und noch eins: Was ist Ihnen von dem Aufenthalt meiner Enkelin bekannt?“
„Sie meinen Baronesse Marion?“
„Ja, natürlich.“
„Der Aufenthalt derselben muß doch Ihnen am allerbesten bekannt sein, Herr Kapitän.“
„Hm! Ja freilich! Aber Sie kennen ihn auch?“
„Nein.“
„Man hat nicht davon zu Ihnen gesprochen?“
„Die Leute sprachen, Sie haben Ihre Enkelin an einen sichern Ort gebracht, weil Sie die Verwirrung der jetzigen Zeit bereits damals vorausgesehen hätten.“
„Wer das sagt, hat nicht so ganz unrecht. Ich verlasse Sie jetzt, gebe es aber noch nicht ganz auf, Sie als Feldarzt bei meiner Truppe zu sehen.“
Er ging von dem Arzt bis zur Haustür begleitet. Als dieser in sein Zimmer zurückgekehrt war, sagte er zu sich:
„Horchen wollte er; aber er soll nichts erfahren. Es war klug von ihm, sich den Anschein zu geben, als ob er Marions Aufenthaltsort kenne. Die ist sicher aufgehoben.“
Er hatte eben wieder zu der Zeitung gegriffen, als es abermals an die Tür klopfte.
„Herein!“
Ein fremder Mensch trat ein, hoch und stark gebaut; sein Alter schien über fünfzig Jahre zu sein.
„Der Doktor Bertrand?“ fragte er.
„Ja. Womit kann ich dienen?“
„Mit nichts. Ich danke! Ich habe Ihnen Grüße zu sagen.“
„Von wem?“
„Von Mister Deep-hill in Berlin.“
„Ah! Der Tausend“, sagte der überraschte Arzt.
„Ebenso von Miß de Lissa und Nanon und Madelon.“
„Sie kennen dieselben?“
„Ja.“
„Aber, Mann, Sie kommen von Berlin und wagen sich in diese Gegend?“
„Was ist dabei?“
„Sie trotzen da einer sehr großen Gefahr. Sie befinden sich inmitten einer fanatisierten Bevölkerung.“
„Ich bin vorsichtig.“
„Aber von einem grüßen Sie mich nicht.“
„Wen meinen Sie?“
„Herrn Doktor Müller.“
„Der hat nicht nötig, Sie grüßen zu lassen.“
„Nicht? Wieso?“
„Na, bester Doktor, weil er vor Ihnen steht.“
Diese letzten Worte sprach der Fremde allerdings mit Müllers Stimme. Aber sein Gesicht war doch ein ganz anderes.
Der Arzt trat ganz nahe zu ihm heran, um ihn zu betrachten.
„Welch ein Meisterstück!“ rief er aus. „Ja, Sie sind es, Herr Doktor, oder vielmehr, Herr Rittmeister. Aber, um Gottes willen, fast hätten Sie ihn hier bei mir getroffen.“
„Den Alten?“
„Ja.“
„Er hätte mich nicht erkannt.“
„Haben Sie ihn gesehen?“
„Ja. Ich sah ihn eintreten und wartete auf sein Fortgehen. Spricht er von seinen Familienverhältnissen?“
„Nein. Er ließ mich ahnen, daß er wisse, wo Fräulein Marion sich befinde.“
„Doch nur zum Schein.“
„Ja. Aber, Herr Doktor, so schnell hätte ich nicht erwartet, Sie wiederzusehen.“
„Ja, ich mußte zurück, und zwar direkt zu Ihnen.“
„In privater Angelegenheit?“
„Nein, obgleich ich von allen die herzlichsten Grüße auszurichten habe.“
„Also in – in dienstlicher Angelegenheit?“
„Ja.“
„Ich hoffe, daß Sie mir Vertrauen schenken!“
„Darf ich das wirklich?“
„Ja. Sie wissen es ja genau. Sie sind mein Lebensretter. Ich bin Deutscher durch und durch, wenn auch nur Deutsch-Österreicher. Die Provinz, in welcher ich jetzt wohne, wurde Deutschland geraubt; sie ist deutscher Boden; der Krieg richtet sich nicht gegen Preußen, sondern gegen ganz Deutschland; und so mache ich mich keiner Infamie schuldig, wenn ich Sie nach Belieben schalten lasse.“
„Hier meine Hand. Sie sind ein braver Mann.“
„Dank! Sehen Sie sich hier in der Gegend um, oder blicken Sie in die Zeitungen. Überall Überhebung, Übermut und doch dabei die größte Dummköpfigkeit. Ich habe das zum Ekel. Und dabei kommt dieser Kapitän zu mir, um mich zum Regimentsarzt zu machen. Denken Sie sich.“
„In welchem Regiment?“
„Pah! Bei den Franctireurs.“
„Im Ernst?“
„Allen Ernstes.“
„Was haben Sie geantwortet?“
„Ich habe natürlich abgelehnt und dafür von ihm allerlei Drohungen anhören müssen.“
„Sie Ärmster.“
„Nun, seit ich Sie kenne, fürchte ich ihn nicht. Ich habe ja sehr scharfe Waffen gegen ihn in den Händen.“
„Wenn er sich nach Ärzten umsieht, scheint er es sehr eilig zu haben.“
„Auf mich mag er verzichten.“
„Die Wahrheit zu sagen, liegt mir außerordentlich daran, zu erfahren, wann die Institution der Franctireurs in Kraft treten soll.“
„Das kann ich Ihnen glücklicherweise mitteilen. Das Heer soll schleunigst an die Grenze geworfen werden. Da wären die Herren Freischützen im Weg. Sie sollen aus diesem Grund erst hinter dem Heer aus der Erde wachsen. Bis das letztere die Grenze überschritten hat, wird ein jeder zu Hause bleiben.“
„Nun, da wird mir das Herz leicht, denn ich weiß, daß die hunderttausend Franctireurs, von denen die französische Fama prahlt, gar nicht zur Aktion kommen werden – einige wenige ausgenommen, deren man sich wohl erwehren wird.“
„Wirklich?“
„Ganz gewiß. Man spielt den Krieg in Feindes Land, das ist richtig. Aber ehe ein Franzose über die Grenze kommt, sind wir bereits über seine Schwelle.“
„Das sollte mich freuen, ist aber nach allem, was man hier liest und hört, ganz unmöglich. Preußen ist nicht gerüstet, und die anderen Deutschen sind es auch nicht, sagt man hier.“
„So sehen Sie doch gefälligst mich an. Bin ich nicht ein Preuße?“
„Ein sehr respektabler sogar.“
„Und stehe ich nicht bereits in Frankreich? Passen Sie auf, wie schnell das gehen wird. Durch unser schnelles Einrücken kommen wir nicht nur der feindlichen Absicht zuvor, sondern wir zertreten auch zugleich dem giftigen Gewürm der Franctireurs den Kopf.“
„Ich ahne, Sie kommen wegen der Vorräte, welche sich hier befinden, so schnell zurück?“
„Ja. Und da habe ich eine Bitte an Sie auszusprechen.“
„In Gottes Namen.“
„Es wird ein Freund von mir hier ankommen und sich Ihnen vorstellen.“
„Er ist mir willkommen. Wie heißt er?“
„Irgendwie; ich weiß es noch nicht. Ich bitte um Ihre Gastfreundschaft für ihn. Er wird höchst zurückgezogen bei Ihnen leben und höchstens des Abends oder des Nachts einen Spaziergang unternehmen.“
„Ganz recht. Er wird hier Ihre Stelle auszufüllen haben.“
„Ich will aufrichtig mit Ihnen sein; denn ich kann Ihnen ja Vertrauen schenken, und es ist besser, Sie wissen, woran Sie sind. Es gilt, die bedeutenden Vorräte, welche sich in den Gewölben von Ortry befinden, für uns unschädlich zu machen. Am liebsten wäre es uns natürlich, wenn wir so schnell herbei könnten, daß der Feind gar keine Zeit fände, sie zu benutzen.“