„Das ist höchst schwierig.“
„Gewiß. Eben darum wollen wir Vorkehrungen treffen, lieber alles zu zerstören als zuzugeben, daß man es gegen uns anwendet. Ich werde also mit dem erwarteten Freund die Gewölbe aufsuchen. Wir haben uns mit den nötigen Sprengstoffen versehen. Ich muß dann allerdings wieder fort. Er aber bleibt zurück und wird, sobald er sich überzeugt, daß es nötig ist, den ganzen Kram in die Luft sprengen. Es bedarf dazu nur einer brennenden Zigarre.“
„Das würde ein wahres Erdbeben ergeben.“
„Gewiß. Also, wollen Sie den Freund aufnehmen?“
„Ganz ohne Zweifel.“
„Trotzdem es für Sie gefährlich ist?“
„Man wird die Gefahr zu verhüten wissen. Wann kommt dieser Herr?“
„Voraussichtlich morgen abend. Ich werde die Muße, die mir bis dahin bleibt, zu einem Ausflug benutzen.“
„Ah! Weiß schon“, lachte der Arzt.
„Meinen Sie?“
„Ja. Nach Schloß Malineau natürlich?“
„Erraten. Haben Sie vielleicht Nachricht von Fräulein Marion erhalten!“
„Nein. Jedenfalls aber befindet sie sich wohl. Wie aber ist es in Berlin gegangen? Hat Deep-hill seinen Vater gefunden und sich mit ihm ausgesöhnt?“
„Ja. Das hat Szenen gegeben, welche ich Ihnen unbedingt schildern muß, aber doch ein anderes Mal. Mein Zug wird bald von hier abgehen.“
„Und der dicke Maler?“
„Der war bei dieser Aussöhnung Hahn im Korb. Er hat mich gebeten, nach Malineau zu gehen und seine dicke Marie Melac zu grüßen. So, das wäre es, was ich Ihnen mitzuteilen habe. Und nun bitte ich um die Erlaubnis, mich verabschieden zu dürfen.“
„Sie werden die Bahn in Metz verlassen?“
„Ja.“
„Und dann? Welche Gelegenheit benutzen Sie dann?“
„Hm, ich muß mir Geschirr mieten.“
„Da sind Sie zu abhängig. Wollen Sie nicht mein Pferd nehmen? Wenn Sie reiten, sind Sie Ihr eigener Herr!“
„Das würde mir freilich lieber sein; aber ich mag mit Ihrem Pferd nicht auf dem hiesigen Bahnhof auffällig werden.“
„Da ist bald geholfen. Ich reite hinaus, übergebe das Pferd und händige Ihnen das Billet ein.“
„Aber unauffällig, bitte ich.“
„Versteht sich. Es wird längst Nacht sein, wenn Sie nach Malineau kommen. Wie aber, wenn man Sie in Metz für verdächtig hält?“
„Das befürchte ich nicht.“
„Oh, das ist ein Waffenplatz ersten Ranges, es geht da jetzt zu wie in einem Bienenkorb, und man ist auf das Äußerste argwöhnisch.“
„Nun, ich bin auf alle Fälle vorbereitet. Man kann mir nicht das mindeste anhaben.“ – – –
Einige Stunden später verließ Doktor Müller in Metz die Bahn und bestieg das Pferd des Arztes. Er hatte sich als Franzose legitimieren können.
Es war dunkel geworden. Das Pferd war zwar für den Arzt ganz brauchbar, für einen Parforceritt aber nicht sehr geeignet. Hinter Kanflans zeigte es sich so ermüdet, daß Müller, in einem Dorf angekommen, dort im Gasthof einkehrte, um das Tier ein wenig ausruhen zu lassen.
Das Gastzimmer war gut besetzt, freilich nur von älteren Leuten, da die jüngeren eingezogen worden waren. An einem der hinteren Tische saßen vier Männer, welche augenscheinlich hier fremd waren. Vielleicht gehörte ihnen das leichte Wägelchen, welches, mit zwei Pferden bespannt, draußen im Hof hielt.
Müller verlangte ein Glas Wein und einen kleinen Imbiß. Während des Essens hörte er die vier miteinander sprechen.
„Wie weit ist es noch bis Schloß Malineau?“ fragte einer.
„Wir fahren noch zwei Stunden“, wurde ihm geantwortet.
Als Müller diese letzte Stimme hörte, blickte er schnell auf und warf einen scharfen, forschenden Blick auf den Sprecher. Dann nahm er eine sehr gleichgültige Miene an, fragte aber nach einiger Zeit:
„Die Herren wollen nach Malineau?“
Jetzt blickte der vorige Sprecher rasch auf, um ihn genau zu betrachten. Dann antwortete er:
„Ja, Monsieur.“
„Auch ich will dorthin. Ich kenne den Weg nicht. Dürfte ich mich anschließen?“
„Hm, eigentlich ist der Wagen bereits für uns vier zu klein, aber wir werden Rat schaffen.“
„Was das betrifft, so beruhigen Sie sich, ich bin beritten.“
„Noch besser. Bleiben wir also zusammen.“
Nach einer kleinen Weile stand der Sprecher auf und ging hinaus. Müller folgte ihm unauffällig. Der andere stand, seiner wartend, hinter der Ecke des Hauses.
„Donnerwetter, Königsau, Richard, bist du des Teufels?“ fragte er.
„Hohenthal. Dich hätte ich nicht erwartet. Bist du denn noch nicht heim?“
„Nein. Ich erhielt noch im letzten Augenblick Konterorder. Aber du warst schon fort?“
„Ja, bin aber wieder hier, wie du siehst. Dein Martin ist dabei, nicht?“
„Ja.“
„Und die beiden anderen?“
Arthur von Hohenthal legte ihm die Hand auf die Achsel und antwortete:
„Du, das ist gerade für dich eine Kapitalnachricht! Hast du die Kerls noch nicht gesehen?“
„Nein.“
„Wenigstens den einen, den Hageren?“
„Nein.“
„Ja, die Kerls sind sehr gut verkleidet. Weißt du, ich erzählte dir von meinem Pariser Erlebnisse: Die Komtesse von Latreau wurde geraubt –“
„Ja. Du machtest sie frei und liegst ihr nun zu Füßen.“
„Kannst du dich auch noch des Kerls besinnen, der die Untat ausgeheckt hat?“
„Ja. Ich habe auch in den Zeitungen davon gelesen. Es gelang ihm, zu entkommen. Vater Main nannte man ihn.“
„Richtig. Nun, ich habe den Kerl.“
„Was! Wirklich?“
„Ja, er ist's.“
„Welcher von beiden?“
„Der kleine Dicke.“
„Welch ein Fang!“
„Aber erst der andere!“
„Wer ist der?“
„Das ist der Kerl, den du haben willst.“
„Ich? Nicht, daß ich wüßte.“
„Freilich! Und dein Fritz sehnt sich ebenso nach ihm.“
„Mein Wachtmeister?“
„Ja, nämlich von wegen des Löwenzahns.“
„Meinst du etwa den verschwundenen Bajazzo?“
„Ja.“
„Das ist er nicht.“
„Natürlich ist er es! Aber famos maskiert.“
„Wenn er es wäre!“
„Er ist's, er ist's, sage ich dir! Ich gebe dir mein Ehrenwort, alter Junge!“
„Dann ist der heutige Tag ein Tag des Glücks für mich und meine Verwandten. Wie aber bist du zu den beiden Menschen gekommen?“
„Auf die einfachste Weise von der Welt. Ich heiße Melac; mein Vater ist Beschließer auf Schloß Malineau, und ich habe die beiden als Forstleute für uns engagiert.“
„Papperlapapp!“
„Auf Ehre, wiederhole ich! Laß dir erzählen.“
Er berichtete ihm in kurzen Worten, was er von seiner letzten Ankunft in Paris an bis heute erlebt hatte, und fragte dann:
„Glaubst du nun, daß er es ist?“
„Ja, nun glaube ich es. Gott sei Dank, daß wir den Kerl endlich haben. Aber nach dem, was du in dem Hausflur erlauscht hast, muß der junge Lemarch der Bruder meines guten Fritz sein.“
„Natürlich.“
„Wie nahe ist er da seinen Eltern gewesen, und wie sehr hat mich seine Ähnlichkeit mit Fritz frappiert. Er hat also einen Löwenzahn?“
„Ja; der Bajazzo hat ihn hergeben müssen.“
„Gut, sehr gut. Was aber gedenkst du mit den beiden Kerls in Malineau zu machen?“
„Nun, den Schankwirt wollte ich dem General Latreau zum Geschenk machen.“
„Er wird sich freuen. Und den anderen?“
„Mit dem hatte ich einen ganz eigenen Plan. Weißt du, wenn wir ihn der französischen Polizei überliefern, so wird er zwar wegen Unterschlagung der Kasse und fahrlässiger Tötung seiner eigenen Stieftochter bestraft, aber für dich geht er verloren, zumal bei den jetzigen Kriegsverhältnissen. Besser wäre es, es würde ihm in Preußen der Prozeß gemacht. Er hat doch die beiden Kinder geraubt. Ich wollte ihn auf irgendeine Weise über die Grenze locken. Das geht aber nicht, da er mich ja nun als denjenigen kennt, der ihn festgenommen hat.“