Die Männer traten hervor.
„Also, haben Sie sich alles gemerkt, Messieurs?“ fragte der Alte. „Sie speisen heute mit mir zu Abend, und Punkt zwölf Uhr begeben wir uns in das Gewölbe. Sie, Levers, können allerdings nicht mit am Mahl teilnehmen, da Sie die Versammelten hier zu erwarten und durch diesen Eingang zu dirigieren haben.“
Der Kapitän Richemonte unterbrach plötzlich seinen Vortrag, den er an die Führer der Franctireurs hielt. Es war ihm, als ob er von außerhalb ein Geräusch vernommen, er horchte aufmerksamer, es blieb aber still in der Umgebung.
Nach einigen Minuten fuhr er jedoch fort und verordnete, zu Levers gewandt:
„Sie verschließen den Zugang natürlich wieder und bringen die Leute alle in das große Gewölbe, in welchem die Garderobevorräte aufgestapelt liegen. Die Leute müssen zunächst eingekleidet werden, ehe sie Waffen bekommen. Jeder erhält seine Bluse und ein Käppi. Ich lasse dieses Gewölbe offen, und Sie können, falls ich nicht gleich erscheine, die Einkleidung immer beginnen lassen. So, das ist alles, was ich noch zu sagen hatte. Adieu, Messieurs!“
Er gab ihnen die Hand, und sie gingen. Nur zwei blieben bei ihm zurück, nämlich Berteu und Ribeau. Der erstere wartete, bis sich die anderen alle entfernt hatten. Dann sagte er:
„Wann darf ich erwarten, Sie in Fleurelle zu sehen, Herr Kapitän?“
„Möglichst bald. Auf dieser Seite der Mosel ist für uns nichts zu tun. Noch bleibt uns der Weg über Briecy offen, und den werden wir benutzen. Wir marschieren noch während der Nacht fort. Die Schnelligkeit unseres Marsches aber hängt von Umständen ab, die ich noch nicht kenne.“
„Und ich soll mich unter allen Umständen des Schlosses Malineau bemächtigen?“
„Ja. Auf alle Fälle.“
„Welchen Vorwand habe ich? Es gehört dem Grafen Latreau, der französischer General ist.“
„Pah! General außer Dienst.“
„Aber doch Offizier.“
„Nun, ein Grund ist sehr leicht gefunden. Sie haben gehört, daß die Deutschen sich des Schlosses bemächtigen wollen, und so kommen Sie, es zu verteidigen.“
„Hm, ja! Auf diese Weise bin ich der Beschützer des Schlosses und der Damen.“
„Diese letzteren brauchen, bis ich komme, nicht zu merken, daß sie Ihre Gefangenen sind.“
„Natürlich. Aber wie nun, wenn sich bereits reguläres Militär in der Nähe oder gar im Schloß selbst befindet? Dann kann ich doch nicht verlangen, daß das Kommando mir übergeben wird.“
„Allerdings nicht. In diesem Fall haben Sie nur zu beobachten, daß meine Enkelin und diese Liama sich nicht entfernen. Das Weitere werde ich bestimmen, wenn ich dann ankomme. Haben Sie sonst noch eine Frage oder eine Erkundigung?“
„Nein. Ich hoffe ja, daß wir uns bald wiedersehen.“
„Jedenfalls. Adieu für jetzt!“
„Adieu, Herr Kapitän!“
Die beiden Freunde gingen, und der Alte zog sich in das Innere des Ganges zurück.
Nun wand Königsau sich vorsichtig aus den Dornen hervor und begab sich zu den auf ihn wartenden Kameraden, denen er mitteilte, daß sie nun in den Talkessel zurückkehren könnten, da der Zweck der gegenwärtigen Rekognition erreicht worden sei.
Er schritt mit Schneeberg voran, da sie beide die Gegend kannten.
Ein Fehler ist es freilich, den braven Fritz noch Schneeberg zu nennen, denn er war von dem General von Goldberg als Sohn anerkannt worden. Königsau hatte mit dem gefangenen Seiltänzer eine förmliche Revolution in dem Familienleben seiner Verwandten hervorgerufen. Freilich war davon nicht viel in die Öffentlichkeit gedrungen. Die politischen und kriegerischen Ereignisse der Gegenwart hatten alles Interesse in der Weise absorbiert, daß das endliche Auffinden eines der verschollenen Söhne des Generals fast gar nicht beachtet worden war.
Desto größer allerdings war die Erregung im Kreis der Familie gewesen. Das einzige nach außen hin gehende Ereignis bestand in der Ernennung Fritz' zum Lieutenant.
Er sollte allerdings einen neuen Vornamen erhalten; da er aber an seinen bisherigen so gewöhnt war, hatte man beschlossen, denselben beizubehalten.
Königsau verkehrte mit ihm natürlich noch viel vertraulicher als früher. Sie durften sich nun du nennen, und es war dem für seine Dienste zum Major ernannten Rittmeister eine herzliche Genugtuung, den Freund, welchem er bereits früher zugetan war, auch jetzt noch bei sich haben zu können.
Während sie nun, gefolgt von den anderen, nebeneinander herschritten, fragte Fritz:
„Hast du deine Dispositionen für den Abend schon getroffen, Richard?“
„Ja. Wir werden ein wenig Komödie spielen.“
„Hm! Wieso?“
„Nun, der Alte kennt und – haßt dich.“
„Das ist freilich wahr.“
„Mich aber noch viel mehr.“
„Das ist ebenfalls zutreffend.“
„So bereiten wir ihm die freudige Überraschung eines Besuches.“
„Doch nicht etwa gerade dann, wenn er mit seinen sauberen Kameraden bei der Tafel sitzt?“
„Doch, gerade dann.“
„Hm! Wo wird er speisen?“
„Im Speisesaal keinesfalls. Diese Männer haben vieles zu besprechen. Er wird in seiner Wohnung servieren lassen.“
„Das wird allerdings eine sehr hübsche Überraschung werden.“
„Fast so groß wie die Überraschung, welche deine Nanon hatte, als ich dich als meinen Cousin vorstellte.“
„Das gute Kind! Wo wird sie sich befinden?“
„Irgendwo beim Heer. Ich achte den Entschluß, mit ihrer Schwester unseren siegreichen Truppen als Krankenpflegerin zu folgen. Du wirst mit diesem Mädchen jedenfalls glücklich sein.“
„Ich bin davon überzeugt. Sapperment, wenn ich daran denke! Da unten im Wald trafen wir uns. Ich sang: ‚Zieht im Herbst die Lerche fort!‘ Dann setzte sie sich auf meinen Pflanzensack und guckte mich mit so lieben Augen an, daß mir Hören und Sehen verging.“
„Beneidenswerter.“
„So? Bist etwa du zu beklagen?“
„Hm! Du hast ja gehört, in welcher Gefahr sich Marion befindet. Und ich bin nicht bei ihr!“
„Du machst dich aber schleunigst hin!“
„Werde ich Erlaubnis bekommen?“
„Allemal!“
„Ich habe morgen abend in St. Barbe einzutreffen. Ist es möglich, so bin ich eher dort. Und sollte ich ein Pferd totreiten, obgleich ich sonst kein Schinder bin.“
„Ich bin bei dir. Gibt man dir die Erlaubnis, wird man sie mir wohl nicht versagen. Du hast dich so verdient gemacht, daß man moralisch gezwungen ist, deine Bitte zu berücksichtigen.“
„Wenn unser linker Flügel weit genug vorgeschoben ist, wird man mir die Erlaubnis allerdings nicht verweigern. Und dann, dann –“
„Dann werden wir zwei ernste Wörtchen mit diesem Berteu und seinem Freund Ribeau sprechen“, fiel Fritz ein. „Diese Kerls haben es verdient!“ –
Der Tag verging, es wurde Abend. Neun Uhr vorüber; da regte sich ein eigentümliches, geheimnisvolles Leben in demjenigen Teil des Waldes, welcher in der Nähe des alten Klosters lag.
Aus dem schmalen Waldweg, welcher von Osten her auf die Ruine mündete, drangen zwei Schwadronen Ulanen und dann eine Kompagnie Jäger hervor. Die ersteren erhielten den Befehl, hier zu warten, dann aber zur geeigneten Zeit hervorzubrechen, so daß zehn Minuten nach zwölf Uhr Schloß Ortry von ihnen in der Weise umringt sei, daß niemand von dort entkommen könne.
Die Jäger aber folgten ihren Offizieren in das Innere der Ruine. Dort wurden die mitgebrachten Leuchten entzündet, und die braven Leute drangen nun durch den Gang ein, durch welchen sich Fritz damals in den Versammlungssaal gewagt hatte.
Nachdem sie diesen letzteren erreicht hatten, wurden sie von Königsau, welcher ja überall öffnen konnte, weiter in das Innere der Gewölbe geführt. Beim Kreuzpunkt der vier Gänge blieb er stehen. Die Offiziere standen hinter ihm.