„Meine Herren“, sagte er; „Sie sehen hier diese offene Tür. Sie führt in das Gewölbe, in welchem sich die fünfhundert Menschen ihre Blusen und Käppis holen sollen. Sie kommen ohne Waffen: sie sollen erst, nachdem sie eingekleidet sind, bewaffnet werden. Dazu aber dürfen wir es nicht kommen lassen. Wir nehmen sie, ehe sie diese Gewölbe verlassen, gefangen. Um das mit Sicherheit zu können, müssen wir sie einschließen. Ich öffne Ihnen die Türen der beiden Gewölbe, welche zu beiden Seiten des Garderobenmagazins liegen; dort verstecken Sie sich, Herr Hauptmann, Herr Oberlieutenant. – Ich werde zur rechten Zeit erscheinen, um das Signal zu geben. Sie halten Ihre Türen offen, aber so, daß man von außen nichts bemerkt. Ich werde, wenn ich komme, bei Ihnen, Herr Oberlieutenant, leise anklopfen und meinen Namen nennen. Jetzt kommen Sie!“
Er öffnete die beiden Türen, und die Gewölbe wurden besetzt, worauf man die Türen von innen zuzog.
Er hatte sich nur zehn Mann von der Kompagnie zurückbehalten; diese waren im Gang bei ihm und Fritz geblieben. Er gab einen Wink und führte sie nach dem Schloß. Unter dem Gartenhaus angekommen, zog er seine Uhr und warf einen Blick auf das Zifferblatt.
„Dreiviertel elf Uhr“, sagte er. „Wir haben länger gebraucht als ich dachte. Jetzt kannst du an die Oberwelt steigen. Ich werde alles hören.“
Fritz, der mit den Heimlichkeiten des Gartenhauses vertraut war, sieg hinauf, während Königsau mit den Soldaten den Weg fortsetzte.
Bei den geheimen Treppen angekommen, gab er strengen Befehl, jedes, auch das geringste Geräusch, zu vermeiden, und stieg mit ihnen empor.
Nur er hatte ein Licht. Die Leute trugen schwere Stiefel und übrigens auch ihre ganze Ausrüstung. Es war also für sie keine Kleinigkeit, ihm so geräuschlos, wie er es verlangte, zu folgen. Sie tasteten sich nur höchst langsam vorwärts, und als sie oben neben ihm standen, konnte es wohl schon halb zwölf Uhr sein.
Als sie nun so lautlos nebeneinander standen, hörten sie laute Stimmen.
„Sie sind da“, flüsterte der Major ihnen zu. „Ich werde zuerst allein eintreten: sobald ich aber Ihren Namen nenne, Sergeant, folgen Sie nach. Wer Widerstand leistet, bekommt eine Kugel. Nur den alten Graubärtigen schont mir; den muß ich lebendig haben.“ –
Fritz war durch den Park in den Garten gelangt und ging von da aus zunächst in das Freie, um die bestimmte Zeit abzuwarten. Er sah die Fenster des Kapitäns erleuchtet und flüsterte vor sich hin:
„Ganz genau so, wie Richard dachte. Bin doch neugierig, was der Alte sagen wird.“
Als halb zwölf Uhr vorüber war, begab er sich an das große Tor des Hofes. Es stand offen, jedenfalls auf besonderen Befehl des Kapitäns. Er trat ein, aber kein Mensch war zu sehen. Darum ging er über den Hof hinweg und stieg die breite Freitreppe hinauf. Erst oben trat ihm ein Diener entgegen, der ihn ganz erstaunt betrachtete.
„Was wollen Sie so spät?“ fragte er.
„Ich muß zum Herrn Kapitän.“
„Unmöglich! Jetzt ist keine Audienzzeit.“
„O doch! Der Herr Kapitän erteilt ja Audienz.“
„Das sind Herren, welche – welche –“
„Zu welchen auch ich gehöre.“
„Ach so! Da muß ich Sie anmelden.“
„Das ist nicht nötig. Ich bin für jetzt bestellt und habe strengen Befehl, mich nicht anmelden zu lassen.“
Er schob den Diener zur Seite und ging weiter. Der Lakai blickte ihm verdutzt nach und brummte:
„Sonderbar! War das nicht der Kräutermann des Doktor Bertrands? Der ist auch ein Vertreter des Kapitäns? Wer hätte das gedacht! Hm, hm!“
An der Tür des Kapitäns angekommen, klopfte er an und trat, als er die Antwort des Alten hörte, ein.
Dieser letztere mochte geglaubt haben, daß es der Diener sei, aber als er Fritz erblickte, machte er ein im höchsten Grad erstauntes Gesicht und sagte:
„Was! Wer hat Ihnen erlaubt, hier einzutreten?“
„Entschuldigung, Herr Kapitän“, sagte Fritz in höflichem Ton. „Ich habe Ihnen eine wichtige Botschaft zu bringen.“
„Sie mir! Sind Sie nicht der – der Kräutersammler des Doktor Bertrands?“
„Ja.“
„Und Sie wagen sich zu mir?“
„Warum sollte ich nicht?“
„Das ist stark! Was haben Sie mir zu sagen?“
„Ich komme in einer sehr freundlichen Absicht und verdiene den feindseligen Empfang nicht, den ich hier finde.“
„So lassen Sie mich Ihre freundliche Absicht kennenlernen.“
„Ich soll Sie warnen.“
„Ah! Vor wem oder was?“
„Vor einem gewissen Doktor Müller.“
„Sapperment! Was ist's mit diesem?“
„Er sinnt auf Rache.“
„Das weiß ich. Wissen Sie vielleicht, wo er sich befindet?“
„Er soll sich in der Nähe des Schlosses herumtreiben.“
„Oh, er wird wohl an einem ganz anderen Ort sein, an einem Ort, den ich kenne.“
„Schwerlich!“
„Pah! Ich weiß das besser als Sie. Er ist da, wo sich Mademoiselle Marion befindet. Aber wir werden ihn zu treffen wissen. Wie aber kommt es, daß Sie, gerade Sie mich warnen? Wer hat Sie geschickt?“
„Raten Sie.“
„Fällt mir nicht ein.“
Er war von seinem Stuhl aufgestanden, ging an Fritz vorüber nach der Tür, öffnete, zog draußen den Schlüssel ab und verschloß die Tür von innen. Den Schlüssel steckte er ein, zog ein höhnisch grinsendes Gesicht und sagte:
„Sie merken jetzt wohl, wie dumm Sie sind?“
„Ich? Dumm?“ fragte Fritz.
„Ja, riesig dumm! Sie sind geradezu in die Höhle des Löwen gelaufen, der Sie verschlingen wird.“
„Des Löwen? Habe keine Ahnung. Wer soll das sein?“
„Ich.“
„Sie?“ meinte Fritz in äußerst gemütlichem Ton. „Sie wollen mich verschlingen? Sehen Sie; dazu sind Sie viel zu gut und freundlich. Übrigens glaube ich nicht, daß ich so sehr appetitlich bin, daß es Ihnen nach mir gelüstet.“
„Oh, es gelüstet mir doch sehr nach Ihnen. Sie sind mir längst verdächtig gewesen. Ich bemächtige mich Ihrer Person, Sie sind mein Gefangener.“
„Was! Gefangener soll ich sein?“
„Sie hören es ja.“
„Das ist aber doch die höchst verkehrte Welt.“
„Ah! Wieso?“
„Sie sind ja mein Gefangener.“
„Ich? Der Ihrige? Mensch, sind Sie verrückt?“
„Das scheint Ihnen auch noch unglaublich? Sie denken, weil Sie den Schlüssel abgezogen haben, bin ich Ihr Gefangener? Oh, mir ist eben gerade recht, daß Sie die Tür verschließen. Da können Sie mir nicht entkommen.“
Der Alte stieß ein lautes, höhnisches Gelächter aus, in welches die anderen einstimmten.
„Der Mensch ist wirklich übergeschnappt“, sagte er. „Oder spielt er nur den Verrückten, um loszukommen. Aber da hat er sich verrechnet. Wir werden ihn einschließen.“
„Wohl da, wo die Zofe gesteckt hat?“ fragte Fritz.
Der Alte horchte auf.
„Welche Zofe?“ fragte er.
„Ich meine dasselbe Loch, in welches auch Deep-hill eingesperrt worden ist.“
„Hölle und Teufel! Was wissen Sie davon?“
„Oder meinen Sie das Loch, in welchem Herr von Königsau steckte, oder dasjenige, in welches einst ein kleiner, dicker Maler eingesperrt wurde?“
Da sprang der Alte auf ihn zu, faßte ihn bei der Brust und brüllte voller Wut:
„Ah, habe ich endlich den Kerl! Halunke, jetzt sollst du mir beichten, auf welche Weise –“
Er sprach nicht weiter. Fritz hatte ihn bei der Gurgel gepackt, hob ihn empor und setzte ihn auf den nächsten Stuhl. Das ging so schnell, daß die anderen gar nicht Zeit fanden, dem Alten beizuspringen.
„Armer Teufel! Mich bei der Brust zu fassen!“ sagte er. „So einen alten Gardekapitän drückt man ja mit einer einzigen Hand zu Sirup. Und Sie, meine Herren, bleiben Sie ruhig sitzen, sonst geschieht Ihnen etwas, was Sie auf die Dauer nicht vertragen können.“