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„Davor wollte ihn unser Herrgott in Gnaden behüten!“ sagte Frau Melac, indem sie die Hände faltete. „Sie aber, Monsieur Martin, sollen bei uns nach Kräften gepflegt werden. Ich gehe jetzt, um Ihnen das zweifenstrige Gaststübchen, welches gleich neben unserer Wohnung liegt, zu öffnen.“

„Ja, tue das, meine Liebe!“ sagte ihr Mann. „Wir werden einstweilen – – – ah, Monsieur Martin, das ist schade, jammerschade!“

„Was?“

„Daß Sie keinen Wein trinken dürfen.“

„Warum nicht?“

„Sie sind ja blessiert, und ich weiß, daß Verwundete sich vor Wein und ähnlichen Getränken hüten müssen.“

„Das liegt aber bei mir anders. Ich bin ja Weinhändler. Der Wein ist mir Notwendigkeit geworden. Der Regimentsarzt, welcher mich behandelte, hat mir streng befohlen, ja nicht etwa dem Wein zu entsagen. Er meinte, diese Abweichung von meinen Lebensgewohnheiten könne mir nur schaden. Wenn ich Wasser tränke, würden meine Säfte verderben; dann könne Blutvergiftung eintreten und ich wäre rettungslos verloren –“

„Herr Jesus!“ rief Alice, indem sie einen rührenden, bittenden Blick auf Melac warf.

Dieser nickte ihr beruhigend zu und sagte:

„Wenn so ein Arzt das sagt, so müssen Sie gehorchen. Ich werde also eine Flasche holen, und während wir trinken und dabei eine Zigarre rauchen, werden Sie die Güte haben, uns vom Krieg zu erzählen.“

Das geschah. Sie saßen noch lange Zeit beisammen. Martin schimpfte nach Herzenslust auf die verhaßten Deutschen und mußte fast gezwungen werden, endlich das Bett aufzusuchen.

Als die Familie Melac sich allein befand, fragte die Mama:

„Höre, meinst du, daß die Deutschen wirklich so schlecht sind, Vater?“

„Nein. Dieser Monsieur Martin zürnt ihnen, weil er von ihnen verwundet worden ist. Er ist ein Provenzale, und diese Südländer tragen immer in starken Farben auf. Ich hoffe zu Gott, daß die Deutschen siegen werden.“

Erst am anderen Morgen konnte dem Grafen gemeldet werden, daß sich ein Verwundeter im Schloß befinde. Als er erfuhr, wer dieser war, lobte er Melac, daß er ihn aufgenommen habe. Er ließ sogar Martin zu sich kommen und lud ihn zur Tafel ein, wo Alice ihn speisen mußte, wie eine Mutter ihr unbehilfliches Kindchen.

Nach der Mittagszeit ließ sich ein ununterbrochenes dumpfes Rollen vernehmen, fast so, als ob ein Erdbeben stattfinde. Als Ella fragte, erklärte der Graf:

„Das ist Kanonendonner, mein Kind.“

„Also eine Schlacht?“

„Ja, und zwar eine bedeutende, eine fürchterliche. Dieses Rollen wird hervorgebracht durch hunderte von Geschützen. Gott möge uns in Gnaden bewahren, daß das Morden nicht auch in diese Gegend komme.“

Der ganze Tag wurde in ängstlicher Erwartung verbracht. Der General sandte Boten aus, um Erkundigungen einzuziehen, konnte aber nichts Gewisses erfahren.

Wohl über neun Stunden lang hatte der Kanonendonner gewährt; da endlich schwieg er. Der General saß mit Ella, Marion und Alice beim Abendmahl. Liama war nicht zugegen; sie pflegte ihr Zimmer nur auf Minuten zu verlassen.

Die am ganzen Tag gehegte Besorgnis war gewichen. Man begann, sich freier zu unterhalten. Da trat der Diener ein und meldete Herrn Berteu.

„Berteu?“ fragte der Graf. „Welcher Berteu?“

„Der unserige, Exzellenz.“

„Der Sohn des toten Verwalters?“

„Ja.“

„Für ihn bin ich nicht zu sprechen.“

„Er behauptet, in einer höchst wichtigen Angelegenheit, die nicht aufgeschoben werden könne, zu kommen.“

„Und wenn sie für ihn noch so wichtig ist. Für mich kann nichts so wichtig sein, daß es mich veranlassen kann, einen solchen Menschen zu empfangen.“

Der Diener ging, kehrte aber sofort zurück.

„Verzeihung, Exzellenz! Er läßt sich wirklich nicht abweisen.“

„Wirf ihn hinaus!“

„Er sagt, daß – – – ah, da ist er!“

Der Diener zog sich durch die Tür zurück, durch welche Berteu eingetreten war. Er trug eine dunkle Bluse mit rotem Kragen und auf seinem Kopf ein Käppi mit goldener Tresse. Ein Säbel hing an seiner Seite.

„Ich höre, daß man mich nicht einlassen will“, sagte er in barschem Ton. „Wer hat diesen Befehl gegeben?“

„Ich“, sagte der General. „Gehen Sie.“

„Ich lasse mir einen solchen Befehl nicht – – –“

„Hinaus!“ rief der Graf, indem er sich erhob und nach dem Glockenzug griff.

Und als Berteu die Achsel zuckte, ohne zu gehorchen, schellte er, daß es im ganzen Schloß widerhallte. Die Diener kamen herbeigestürzt und Melac auch.

„Schafft augenblicklich diesen Menschen fort!“ befahl er.

Aber sein Befehl fand keinen Gehorsam.

„Nun?“ rief er drohend.

„Gnädiger Herr, es geht nicht“, sagte Melac.

„Was? Warum nicht?“ fragte der Graf zornig. „Seit wann gebe ich Befehle, welche nicht auszuführen sind?“

„Unten – – –“

„Nun, was ist unten?“

„Unten stehen seine Leute, über dreihundert Mann.“

„Was für Leute?“

Und als der Gefragte nicht sogleich antwortete, trat Berteu noch einen Schritt näher und sagte:

„Ja, das ist eine Überraschung. Wir kamen so leise, daß uns kein Mensch hörte. Jetzt aber wird man Ohren für uns haben müssen.“

„Was will dieser Mensch?“ fragte der General, sich abermals an Melac wendend. „Warum behält er die Mütze auf? Seit wann duldet ein Diener so ruhig, daß sein Herr beschimpft wird?“

„Von einer Beschimpfung ist keine Rede“, sagte Berteu. „Ich bin es, der hier Achtung zu verlangen hat. Ich erkläre, daß ich von jetzt an hier mein Hauptquartier aufzuschlagen gedenke, Herr von Latreau.“

„Hauptquartier? Verstehe ich recht?“

„Ja. Ich bin Kommandant eines ganzen Bataillons Franctireurs. Ich werde hier wohnen und verlange, daß meine Soldaten Pflege und Unterkommen finden.“

„Lächerlich!“

„Oho. Haben Sie nicht den Kanonendonner gehört? Unsere Armee ist in einer neun Stunden langen Schlacht abermals total aufs Haupt geschlagen worden. Die Truppen des Kronprinzen von Preußen sind in Chalons eingezogen. Zwei deutsche Armeen sind auf dem Marsch nach Paris. Thiers hat beantragt, den Kaiser abzusetzen. Man wird es genehmigen. Da haben Sie alles. Jetzt wird das Volk sich erheben. Der Arbeiter wird zu seinem Recht gelangen. Wir bilden Regimenter und Divisionen, unter deren Fußtritten die Erde erzittern wird. Wir werden den Erbfeind über die Grenze werfen, um ihn in seinem eigenen Land zu zermalmen. Dazu aber bedürfen wir wenigstens ebenso viel, wie die Heere gebraucht haben, welche nichts anderes konnten, als sich von den Deutschen schlagen zu lassen. Ich stehe hier als Kommandant meiner Truppen und verlange Quartier und Verpflegung.“

„Kein einziges Zimmer erhalten Sie!“

„Oho.“

„Und keinen Schluck Wasser. Ehrenhafte Soldaten muß und werde ich bei mir aufnehmen. Schurken aber jage ich fort.“

„Gut! Merken Sie sich, daß sie uns Schurken genannt haben! Was man uns nicht gibt, das werden wir uns nehmen. Übrigens verlange ich unbedingte Auslieferung zweier Frauenzimmer.“

„Welcher?“

„Einer gewissen Liama und einer gewissen Marion de Sainte-Marie.“

„Die befinden sich unter meinem Schutz.“

„Sie geben sie nicht heraus?“

„Nein.“

„Wir werden sie uns holen. Der Herr Kapitän Richemonte, unser Oberst, wird bald eintreffen. Ihm haben wir sie abzuliefern.“

„Er mag sie sich holen.“

„Ah! Tun Sie nicht so stolz, alter Mann! Wen haben Sie denn, der Ihnen helfen könnte? Zwei Diener und den Schließer. Die werden wir einfach mit dem Besen aus dem Schloß fegen, wenn sie sich nicht fügen.“