„Aus welcher Richtung?“ fragte er ganz unbefangen.
„Es scheint von Briecy her.“
„Wie weit von hier?“
„In zehn Minuten können sie hier sein.“
„Wie stark?“
„Zwei Schwadronen Gardekürassiere und eine Schwadron Gardedragoner!“
„Ah!“
Jetzt erhob er sich von seinem Stuhl. Der General mit all den Seinen war erbleicht. Sollte sein Retter einer so überlegenen Macht in die Hände fallen?
„Herr Rittmeister, ziehen Sie sich schleunigst zurück!“ sagte er. „Noch ist es Zeit. Die Truppen sind Ihnen an Zahl dreifach überlegen, und gar Gardekürrasiere!“
Wenn Hohenthal den Gedanken gehabt hatte, das Schloß zu verlassen, jetzt dachte er nicht mehr daran. Sollte er in Gegenwart der Heißgeliebten sich feig zeigen?
„Herr Premierlieutenant, was meinen Sie?“ fragte er.
„Ganz, das, was Sie meinen“, antwortete der Angeredete kalt, indem er die Gabel mit einem Schinkenstück zum Mund führte.
„Gut, so sind wir einig! Exzellenz, ein preußischer Husar flieht auch vor solcher Übermacht noch nicht – – –“
„Um Gottes willen!“
„Herr von Hohenthal, ich bitte Sie inständigst, schonen Sie sich“, fiel Ella ihrem Vater in die Rede.
Der Rittmeister warf ihr einen Blick wärmsten Dankes zu, sagte aber in gemessenem Ton:
„Ich darf nicht gegen Pflicht und Ehre handeln. Wachtmeister Tannert, es mögen sofort zwei Leute nach Trouville jagen und den Obersten um Verstärkung ersuchen. Ich halte mich bis dahin.“
Und als Martin sich entfernt hatte, fuhr er, zu dem General gewendet, fort:
„Exzellenz kennen den Kriegsbrauch und werden mir verzeihen. Ich erkläre Schloß Malineau im Belagerungszustand. Ich muß vor allen Dingen meine Pferde retten, denn ohne sie sind wir verloren. Dieselben werden im Schloß selbst untergebracht und sollte es im Salon oder hier im Speisesaal sein!“
„Parterre und Souterrain bieten Raum genug“, bemerkte der General, welcher sich über die kaltblütige Umsicht des Rittmeisters freute.
„Ich danke. Die Tafel ist aufgehoben. Gestatten Sie, daß ich meine Vorbereitungen treffe!“
Er verließ mit den Seinen den Saal.
„Das ist ein Soldat! Bei Gott!“ meinte der General.
Auch in den schönen Zügen seiner Enkelin wollte sich der Ausdruck des Stolzes mit dem der Besorgnis streiten. Sie fühlte jetzt, wie lieb sie diesen Mann hatte. –
Der alte Richemonte war auf seiner Flucht, die mehr Hindernisse fand, als er erwartet hatte, bis in die Gegend von Briecy gekommen. Er war zu Fuß, fühlte sich außerordentlich ermüdet und setzte sich, um auszuruhen, am Rande der Straße, welche durch ein Gehölz führte, nieder.
Er hatte noch nicht lange gesessen, so hörte er Hufschlag, und bald erblickte er ein Piquet Gardekürassiere, welches aus der Richtung kam, in welche er wollte. Als die Reiter ihn erreichten, blieben sie vor ihm halten. Es war ein Sergeant mit vier Soldaten.
„Wer sind Sie?“ fragte er.
„Mein Name ist Richemonte, Kapitän der alten Kaisergarde“, antwortete er stolz.
Sie salutierten, und der Sergeant fragte weiter:
„Entschuldigung, mein Kapitän, aber ich muß meine Pflicht tun! Woher kommen Sie?“
„Ich kenne Ihre Pflicht, Sergeant; aber ich sage Ihnen, daß ich mich freue, Sie zu treffen. Vielleicht finde ich dadurch einen Offizier, zu dem ich gern möchte. Stehen die Kürassiere in der Nähe?“
„Sie wissen, daß ich diese Frage nicht beantworten darf. Welchen Offizier meinen Sie?“
„Oberst Graf Rallion.“
„Zu ihm wollen Sie?“
„Ja.“
„Kürassier Lebeau, steigen Sie ab, lassen Sie den Herrn Kapitän aufsitzen und liefern Sie ihn richtig an den Herrn Obersten Rallion ab.“
Der Mann stieg ab, Richemonte setzte sich auf dessen Gaul; dann ging es fort, während das Piquet noch weiterritt.
Als das Gehölz zu Ende war, ritt der Alte über eine Anhöhe, von welcher aus man ein breites Tal überschaute, in dem es von Soldaten förmlich wimmelte. Nach einer Viertelstunde waren sie unten, und der Kürassier Lebeau hielt vor einem Haus und führte den Kapitän in das Innere desselben.
Wahrhaftig, da saß Rallion an einem Tisch, über mehrere Karten gebeugt. Als er den Eintretenden erblickte, sprang er auf und rief im Ton des Erstaunens:
„Kapitän! Ah, das ist wahrlich eine große Überraschung!“
„Ich glaube es!“
„Wie sehen Sie aus! Dieser Hut!“
„Geborgt.“
„Was, Sie borgen Hüte?“
„Von einem Bauersmann.“
„Alle Teufel! Wie kommt das?“
„Ich bin flüchtig. Die Preußen sind in Ortry und auch in Thionville.“
„Sie – sind – des – Satans!“ kam es nur stoßweise aus dem Mund des Obersten.
„Ja. Ich war bereits gefangen, bin aber entkommen.“
„Und unsere Vorräte?“
„Sind in den Händen des Feindes.“
„Unglaublich!“
„Dieser Doktor Müller – ah, er ist ein Königsau.“
„Sie machen mich starr! Erzählen Sie!“
Der Alte begann seinen Bericht. Er war nicht, wie der Ulanenrittmeister gesagt hatte, durch den Kordon geschlüpft, sondern er war zurückgewichen und hatte sich wieder in den Schloßhof geschlichen.
Dort hatten zufälligerweise ein paar Fässer gestanden, hinter welche er gekrochen war, um abzuwarten, bis der Kordon wieder aufgelöst sei. Die Fässer hatten sich ganz in der Nähe des eisernen Türchens befunden, durch welches er gekommen war, und so hatte es ihm glücken können, das Gespräch Königsaus mit Fritz und dann auch den Rittmeister zu belauschen.
Dann, erst im Morgengrauen hatte er entkommen können; aber die ganze Gegend, und auch das rechte Moselufer waren mit Posten besetzt gewesen, welche auf jeden Weg zu achten hatten. Ein Bauer, der ihm zu Dank verpflichtet war, hatte ihn aufgenommen, ihm einen Hut und Geld gegeben und dann erst, einen Abend später, über die Mosel gebracht.
Diese Erzählung machte einen tiefen Eindruck auf den Obersten. Er sagte in grimmigem Ton:
„Marion in Malineau, und dieser Müller will hin! Er ist ein Königsau! Alter, wir haben uns entsetzlich betrügen lassen! Er steht in Berlin; sie war in Berlin; sie sind Liebesleute.“
„Verdammt. Das ist möglich.“
„Darum also ließ sie sich so gern von ihm aus dem Wasser ziehen, und darum wollte sie von mir nichts wissen. Diese beiden haben unsere Geheimnisse belauscht! Oh, das muß gerächt werden, fürchterlich gerächt!“
„Wie denn?“
„Nun, wir reiten nach Malineau.“
„Herrlich! Das war es ja, was mich veranlaßte, Sie aufzusuchen. Wir finden fünfhundert Franctireurs dort.“
„Pah! Mit solchem Volk gibt sich ein Rallion nicht ab. Übrigens dürfen Sie nicht glauben, daß dieser kluge, durchtriebene Bursche ganz allein nach Malineau geht. Er nimmt sich ganz sicher ein Detachement Reiter mit. Wir müssen hin. Wir müssen hin!“
„Werden Sie Erlaubnis bekommen?“
„Sofort. Ich werde es schon zu Gehör zu bringen wissen. Übrigens kennen Sie den Einfluß meines Vaters. Man darf es mit mir nicht verderben. Ich gehe jetzt. Dort steht mein Koffer. Es befinden sich auch Zivilsachen darin. Nehmen Sie sich unterdessen heraus, was Sie bedürfen.“
„Und Marion? Was tun wir dann mit ihr? Wollen Sie sie etwa noch heiraten?“
„Heiraten? Pah! Aber rächen werde ich mich. Ich schwöre Ihnen, daß ich diesem buckligen, verkappten Deutschen mit dieser meiner eigenen Hand den Kopf spalten werde.“
Er stürmte fort. Es dauerte auch gar nicht lange, so kehrte er wieder zurück.
„Nun?“ fragte der Alte.
„Habe die Erlaubnis natürlich!“
„Wann geht es fort?“
„In einer Viertelstunde.“
„Wieviel Mannschaften haben wir?“