„So führt er sie hierher?“
„Ja. Wir jagten schleunigst zurück, um von ihnen in offener Gegend nicht gesehen zu werden. Nicht weit von hier, jenseits des Walds, sahen wir sie im Hintergrund der Gegend von der Höhe herabreiten.“
„Konntet ihr sie zählen?“
„Nein, aber einige Hundert sind es.“
„Hm! Wie weit von hier darf man sie jetzt noch schätzen?“
„Sie können in einer halben Stunde da sein.“
„Schön! Fertig?“
„Fertig!“
„Abtreten!“
Der Ulan ging. Der General hatte diese Unterhaltung oder vielmehr Meldung mit angehört. Er fragte:
„Herr Major, was werden Sie tun?“
„Hier bleiben.“
„Ich darf mir nicht zumuten, auf Ihre Entschließungen bestimmend einzuwirken; aber meinen Sie nicht, daß Sie sich in Gefahr begeben?“
„Ich habe jetzt nur zu bedenken, daß ich die Bewohner des Schlosses nicht gewissen Eventualitäten preisgeben darf. Übrigens scheint Schloß Malineau bestimmt zu sein, kriegerische Wichtigkeit zu erlangen. Der Kronprinz von Preußen befindet sich weit im Westen von hier. Wenn ein feindlicher Truppenkörper sich unserer Verbindungslinie nähert, muß das eine gewisse Veranlassung haben, die ich kennenlernen möchte.“
„Aber es wird wieder zum Kampf kommen.“
„Möglich.“
„Ihre Kräfte sind geschwächt. Die zersprengten Franctireurs und Reiter können sich sammeln und mit den Spahis den Angriff erneuern.“
„Wir werden sie empfangen.“
„Ganz gewiß“, meinte Hohenthal. „Ich bin noch nicht veranlaßt worden, dir zu sagen, daß ich Verstärkung erwarte.“
„Woher?“
„Aus Trouville. Ich sandte zwei Boten ab, als ich von der Ankunft der Reiter hörte.“
„Sehr schön. Wann können diese Leute kommen?“
„Vielleicht bereits am Abend, jedenfalls aber noch während der Nacht.“
„Nun, so ist ja ganz und gar nichts zu befürchten. Die Sonne ist hinab; in einer Viertelstunde ist es dunkel. Die Außenposten sind bezogen und werden den Spahis beweisen, daß wir auf unserer Hut sind. Das weitere werden wir ruhig abwarten.“
Er traf seine Vorkehrungen, und diese erwiesen sich als ganz vortrefflich.
SIEBENTES KAPITEL
Entscheidung in Sedan
Es war kaum dunkel geworden, so hörte man auf der Seite, von welcher der Feind erwartet wurde, ein ziemlich lebhaftes Gewehrfeuer, und es kam die Meldung, daß die Spahis versucht hätten, sich dem Schloß zu nähern. Als aber das Feuer auf sie eröffnet wurde, zogen sie sich zurück.
Sie versuchten es dann auf der anderen Seite, doch auch da waren die Deutschen wachsam. Man hörte bald hier, bald dort einen Schuß fallen. Königsau, dessen Vorposten einen Kreis um das Schloß bildeten, zog dieselben mehr an sich, um keine Lücken zu bilden, zwischen denen die Angreifer einzudringen vermochten. Die Spahis folgten, und als später der Major auskundschaften ging, konnte er sich überzeugen, daß außerhalb seiner Vorposten sich ein feindlicher Kreis gebildet hatte, der es ihm unmöglich machen sollte, zu entkommen.
Es fiel ihm gar nicht ein, an Flucht zu denken, vielmehr freute er sich darüber, daß der Feind ihn hier festhalten wolle. Die Verstärkung war ihm ja von Hohenthal bestimmt in Aussicht gestellt worden.
Es gab keinen Mondschein, und man vermochte selbst im freien Feld kaum einige Schritte weit zu sehen. Hinter dem Dorf zogen sich ein Erbsen- und ein Kartoffelfeld nebeneinander hin. Sie waren durch einen mit Gras bewachsenen Rain voneinander getrennt. Ein aufmerksamer Beobachter hätte, wenn er sich in der Nähe befand, hier eine Bewegung bemerken können. Zwei menschliche Körper schoben sich mit äußerster Vorsicht längs des Rains hin.
Da fiel vom Wald her ein Schuß.
„Wieder einer!“ flüsterte eine der beiden Gestalten.
Der, welcher vorankroch, hielt inne, richtete den Kopf zurück und antwortete ebenso leise:
„Es ist ganz gewiß so, wie ich sagte, unsere Husaren sind eingeschlossen. Nicht?“
„Ganz meine Meinung, Herr Feldwebel.“
„Schön! Aber mir sollen sie doch keinen Riegel vorschieben; das ist so gewiß wie Pudding. Vorwärts!“
Sie verfolgten ihre Richtung, bis sie an das Ende des Rains gelangten. Dieser stieß an den Wald.
„Jetzt links am Waldrand hinauf!“ kommandierte der, welcher Feldwebel genannt worden war.
Er war von sehr kurzer, außerordentlich dicker Gestalt, schien aber trotzdem eine ungemeine Behendigkeit zu besitzen.
Es dauerte eine ziemliche Weile, bis der Wald eine Spitze bildete, hinter welcher sich eine Straße vom Schloß her verlor. Es war dieselbe, auf welcher heute Oberst von Rallion mit seinen Gardereitern gekommen war. Eben waren die beiden Geheimnisvollen hier angekommen, so ließ sich der Huftritt eines Pferdes vernehmen.
„Halt! Nicht weiter!“ flüsterte der Dicke. „Duck dich ganz an die Erde; da sehen sie uns nicht.“
Das Geräusch kam näher.
„Es sind Leute dabei. Man hört es“, bemerkte der andere mit ganz leiser Stimme.
„Dummkopf! Das versteht sich ganz von selbst, daß ein Pferd nicht allein spazieren geht. Schweig jetzt!“
Zwei Männer nahten. Einer hatte einen weißen Paletot umhängen. Der andere war dunkel gekleidet und führte das Pferd am Zügel.
„So! Hier können Sie aufsteigen“, sagte der erstere. „Die Vorpostenkette dieser verfluchten Deutschen zieht sich dort nach rechts hinüber. Hier nun merken sie also nicht, daß sich jemand entfernt. Haben Sie den Brief gut versteckt? Das ist die Hauptsache.“
„Ja. Er steckt im Stiefelfutter.“
„Ganz wie bei mir. Mac Mahon ist ein Schlaukopf. Er gab mir zwei gleichlautende Schreiben. Kommt das eine nicht an das Ziel, so daß es vernichtet werden muß, so wird wenigstens das andere in Bazaines Hände kommen. Sie glauben also, daß Sie den Weg zu ihm noch völlig frei finden?“
„Ganz bestimmt! Ich bin überzeugt, daß der Feind heute zurückgedrängt wurde. Und selbst, wenn das nicht der Fall wäre, so würde ich mich durchzufinden wissen.“
„Gerade deshalb vertraue ich Ihnen diesen einen Brief an. Sie kennen hier ja alle Wege. Also Sie wissen nicht, ob Oberst Rallion entkommen ist?“
„Nein. Ich war so klug, den Kampf gar nicht abzuwarten. Freilich hatte ich keine Ahnung, daß Sie, Oberst, so nahe seien.“
„Machen Sie sich keine Sorge. Wenn er gefangen ist, so werden ihn die Deutschen herausgeben müssen. Mit Tagesanbruch greife ich den Feind an; dann setze ich den Ritt weiter fort, um den Brief zu übergeben. Jetzt, gute Nacht, Herr Kapitän.“
„Gute Nacht, Oberst.“
Der Reiter stieg auf; ehe er aber fortritt, meinte er:
„Und Sie halten Wort in Beziehung auf das Mädchen?“
„Gewiß.“
„Sie liefern es ab.“
„Ich gab Ihnen mein Wort. Diese Mademoiselle de Sainte-Marie werde ich mir nicht entgehen lassen.“
Der Weiße kehrte zurück, und der Reiter trabte die Straße entlang in den Wald hinein.
Die beiden Lauscher verhielten sich einige Minuten lang ruhig. Dann flüsterte der Dicke:
„Verdammt! Den Kerl sollte ich kennen!“
„Den Weißen?“
„Nein. Das war ein afrikanischer Menschenfresser. Ich meine den anderen. Er wurde Kapitän genannt und hatte ganz die Stimme eines Mannes, an dem ich meinen Narren gefressen habe. Also ein Brief von Mac Mahon an Bazaine! Sehr hübsch! Höre, hier wartest du. Bin ich in zwei Stunden noch nicht wieder da, so haben sie mir den Kopf auf den Rücken gedreht und mich einbalsamiert. Dann schleichst du dich zurück und sagst, daß bei Tagesanbruch der Tanz losgehen soll.“