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Er wendete sich ab und schritt steif zur Tür hin, unten würdigte er die Ulanen und Husaren keines Blickes. Er klopfte bei Melac an und hörte die Stimme Mariens antworten. Als er eintrat, sah er, daß Vater und Mutter zugegen waren; trotzdem aber stieß Marie einen lauten Freudenschrei aus und flog an seinen Hals.

Droben aber, im Salon, sagte der General, indem sich in seinem Gesicht ein eigentümliches Lächeln zeigte:

„Es ist wirklich wunderbar, wie diese preußische Armee sich rekrutiert! Doktoren der Philosophie werden Majore; Weinhändler werden Rittmeister und Wachmeister, und aus dem dicksten Maler wird immer noch ein höchst brauchbarer Feldwebel der Landwehr.“

Die beiden Offiziere zuckten lächelnd die Achseln.

Der General zog sich später zurück, ebenso seine Tochter. Sie war aber noch nicht fünf Minuten lang in ihrem Zimmer, als es leise klopfte. Sie glaubte, daß es die Zofe sei und sagte „Herein“, errötete aber bis in den Nacken herab, als sie Hohenthal erkannte.

„Gestatten Sie, Komtesse?“ fragte er, unter der Tür stehen bleibend.

„Treten Sie näher!“ antwortete sie, allerdings erst nach einer ziemlichen Weile.

Er zog die Tür hinter sich zu, blieb in ehrerbietiger Haltung an derselben stehen und sagte:

„Die gegenwärtigen Verhältnisse mögen mich entschuldigen, wenn ich wage, unangemeldet bei Ihnen zu erscheinen, Komtesse!“

Sie war sehr ernst; das sah man ihr an.

„Der Verteidiger dieses Hauses hat das Recht, Zutritt zu nehmen, wenn es ihm beliebt“, meinte sie. „Bitte, nehmen Sie Platz!“

Er setzte sich, und sie ging zu einem Sessel, der in weiter Entfernung von dem seinigen stand. Er mußte diese Absichtlichkeit merken. Er blickte einige Augenblicke lang wie verlegen vor sich nieder; dann begann er:

„Ich bin durch die Verhältnisse gezwungen gewesen, gegen Sie unwahr zu sein, gnädiges Fräulein. Es liegt mir sehr am Herzen, zu erfahren, ob Sie mir dies verzeihen können oder nicht.“

„Sie taten Ihre Pflicht, oder vielmehr Sie gehorchten der Ihnen gewordenen Weisung!“

„So allerdings ist es gewesen. Darf ich also annehmen, daß Sie mir nicht zürnen?“

„Ich habe kein Recht dazu.“

„Ich danke Ihnen! Ihre Freundlichkeit nimmt mir eine schwere Last vom Herzen. Sie haben mich für einen Franzosen gehalten und mich nun so plötzlich als einen Deutschen, als einen Feind Ihres Vaterlandes kennengelernt. Es ist mir, als ob meine Gegenwart eine Beleidigung für Sie sein müsse, als ob ich die heilige Pflicht habe, Ihre Nähe für jetzt und für immer zu meiden, und doch ist mir das eine Unmöglichkeit. Ich stehe als Sieger im Feindesland, und dennoch bin ich heute nicht siegesfroh. Komtesse, ich weiß nicht, ob ich morgen um diese Zeit noch unter den Lebenden weile; bitte, geben Sie mir ein Wort mit hinaus in den Kampf, ein Wort, welches mich glücklich machen wird!“

Er hatte sich wieder erhoben und sich ihr einige Schritte genähert. Auch sie stand auf.

„Welches Wort meinen Sie?“ fragte sie.

„Die Versicherung, daß Sie mich nicht als Ihren Feind betrachten!“

Er streckte ihr seine Hand entgegen. Sie legte die ihrige hinein und versicherte:

„Sie waren wiederholt mein Retter; Sie können niemals mein Gegner sein.“

„Darf ich das wirklich glauben?“

„Ja.“

„Und wenn der Krieg beendet ist, und die Erbitterung, welche Deutsche und Franzosen trennt, gewichen ist, darf ich dann, wenn ich in Ihre Nähe komme, Sie aufsuchen mit der Überzeugung, daß es zwischen uns beiden nie nötig war, Frieden zu schließen?“

„Kommen Sie, Herr Rittmeister. Sie werden mir und Papa stets willkommen sein.“

„Ich danke Ihnen.“

Er zog ihr Händchen an seine Lippen und wendete sich ab, um zu gehen. Ihr Blick folgte ihm; es kam eine Angst über sie, als ob sie ihn verlieren werde, wenn sie ihn so gehen lasse. Aber, konnte sie ihn halten? Er hatte ja nur beinahe gleichgültiges gesagt!

Schon hatte er die Tür in der Hand. Da war es ihm, als ob es ihn mit einem kräftigen Ruck herumdrehe. Sein Auge fiel auf sie; er sah das ihrige in voller Angst auf sich gerichtet. Rasch kehrte er zurück, erfaßte ihre beiden Hände und fragte:

„Soll, muß ich so gehen, Komtesse?“

Was sollte sie antworten? Ihr Blick schimmerte feucht und feuchter zu ihm empor; eine Träne hing sich an ihre Wimper. Da zog er sie an sich, legte die Hände auf ihr Haupt und sagte, beinahe selbst weinend:

„Herrgott! Wie lieb, wie unendlich lieb habe ich Sie, Ella! Ich könnte Sie vom Himmel herabholen, könnte tausend Leben für Sie opfern, wenn das möglich wäre. Wie selig war ich, wenn ich Sie in der Oper erblickte. Welche Wonne, wenn ich mir dachte, daß auch Sie vielleicht einmal an mich denken könnten! Es wäre mir kein Opfer und keine Tat zu groß, Sie zu erringen. Und nun ich vor Ihnen stehe, will es mir scheinen, daß ich doch bin, wofür ich mich nie gehalten habe – ein Feigling. Der Besitz, nach welchem ich meine Hand ausstrecken möchte, ist zu herrlich, zu köstlich für mich. Habe ich recht, Ella?“

Sie antwortete nicht, aber sie legte ihren rechten Arm um ihn, ergriff mit der Linken seine Hand, blickte in inniger Liebe zu ihm auf und flüsterte dann:

„Arthur!“

Da zog er sie an sich und küßte sie, sich zu ihr niederbeugend, wieder und immer wieder auf den Mund.

„Ist's wahr?“ fragte er jubelnd. „Du sagst meinen Namen? Du liebst mich?“

„So sehr!“

„Wirklich? Wahrhaftig?“

„Glaube es!“

„Dann sei der Tag gesegnet, an welchem ich in feindlicher Abwehr dein Vaterland betrat. Du sollst ein anderes finden, ein Vaterland, ein Vaterhaus, in welchem du die Königin bist, welche angebetet und verehrt wird, wie keine andere auf Erden.“

Und unten bei Papa Melac hatte das Gespräch auch eine innigere Wendung genommen, nämlich zwischen Marie und ihren Hieronymus. Der alte Schließer aber befand sich nicht mehr in den Jahren, in denen man Liebe speist und Mondschein trinkt. Er meinte:

„Also, mein bester Herr Schneffke, Sie sagen, daß Sie unsere Marie liebhaben?“

„Fürchterlich!“ beteuerte der dicke Feldwebel, indem er seine Rechte wie zum Schwur erhob.

„Gehören Sie zu den Menschen, bei denen ein solches Gefühl von längerer Dauer ist?“

„Ich pflege ewig zu lieben!“

„So! Nun, ich sage Ihnen ganz aufrichtig, daß Sie mir gleich im ersten Augenblick gefallen haben. Aber jetzt sind Sie Soldat; da dürfen Sie nicht an die Erfüllung privater Wünsche denken.“

„Warum nicht? Wenn ich zum Beispiel Appetit zu einem Glas Wein habe, so ist das wohl jedenfalls auch ein privater Wunsch. Oder nicht, Monsieur Melac?“

„Ja, gewiß.“

„Nun, wer will etwas dagegen haben, wenn ich mir diesen Wunsch erfülle, Monsieur?“

„Ich nicht.“

„Schön! Warum sind Sie denn da so streng in Beziehung meines ersten Wunsches?“

„Weil das eine ganz andere Sache ist. Ich will Ihnen sagen, mein bester Herr Schneffke: Glauben Sie, daß die Deutschen so fortsiegen werden, wie jetzt?“

„Ja, gewiß!“

„Nun, dann seien Sie getrost. Kommen Sie an dem Tag, an welchem Napoleon fortgejagt worden ist, zu mir, um Marie von mir zu verlangen, so werde ich Sie nicht fortjagen.“

„So ist mir Mariechen sicher; denn fortgejagt wird der Napoleon.“

„Etwa von Ihnen?“

„Ja, auch mit. Er soll nicht etwa mit mir besonders anfangen, sonst ist ihm sein Brot gebacken. Wir brauchen hier in Europa keinen Napoleon und in Frankreich keinen Neffen des Onkels. Er muß abdanken, damit ich eine Frau bekomme; das ist so sicher wie Pudding. Also, Sie geben mir Ihr Wort, Monsieur Melac?“

„Ja, mein Wort und meine Hand. Hier!“

Sie schlugen ein; dann verabschiedete sich der Maler.

Er mußte natürlich den Weg wieder zurücklegen, auf welchem er gekommen war. Einer der Unteroffiziere brachte ihn zu dem betreffenden Posten. Bei demselben angekommen, legte er sich auf die Erde nieder, um seine Kriechpartie zu beginnen. Noch aber war er nicht weit gekommen, so war es ihm, als ob er hart vor sich zwei ganz eigenartige Punkte erblickte.