„Sehr leicht. Er selbst sieht nach, ob die Posten wachsam sind. Wenn er kommt, bringen wir ihn zu dir.“
„Gut. Gehe jetzt, und hole deinen Bruder! Feldwebel, bringen Sie ihn wieder dahin, wo Sie ihn festgenommen haben! Sie haben es sehr gut gemeint; aber ein Spion ist dieser Mann ebensowenig wie Sie.“
„Hm!“ meinte Schneffke zu sich selbst, indem er sich mit Hassan entfernte. „Ein Spion also nicht. Aber was denn sonst? Na, er wurde ins Regiment gezwungen. Kein Wunder, wenn er es eigenmächtig wieder verläßt.“
Als sie bei dem Posten ankamen und der Feldwebel nicht wieder umkehrte, flüsterte Hassan ihm zu:
„Du gehst nicht wieder in das Schloß?“
„Nein; ich muß weiter.“
„Hinaus, über die Wächter hinaus?“
„Ja.“
„Du brauchst nicht so zu schleichen, wie vorhin. Kannst aufrecht gehen, wie ich. Mein Bruder wird dich nicht anhalten. Komm, folge mir.“
Schneffke wagte es, sich ihm anzuvertrauen und hatte es nicht zu bereuen. Er wurde durch die Kette der Vorposten gebracht und traf seinen Kameraden an derselben Stelle, an welcher er ihn verlassen hatte.
Fast eine Stunde war vergangen, da erkannte der Posten, welcher an der betreffenden Stelle stand, eine Gruppe von zwei oder drei weißen Männern, die sich auf ihn zu bewegten. Es war nicht der frühere Posten, sondern der, welcher diesen abgelöst hatte; aber er hatte seine Instruktionen erhalten.
Er fragte weder nach der Losung, noch nach dem Feldgeschrei; er legte das Gewehr schußfertig an, um im Falle eines Verrates gerüstet zu sein.
Sie gingen geräuschlos an ihm vorüber. Zwei Männer trugen einen dritten. Sie schafften ihn nach dem Schloß.
Am Eingang zu demselben stand der Wachtmeister Martin Tannert. Er hatte mit Spannung auf diesen Augenblick gewartet.
„Ist's gelungen?“ fragte er.
„Dem Sohn der Wüste mißlingt kein Überfall“, entgegnete Hassan der Zauberer.
„Bringt ihn herein.“
Er wurde in die Wachtstube gebracht. Sie hatten ihm die Gurgel zugeschnürt und, als er den Mund öffnete, einen Knebel hinein gesteckt. Die Hände waren mit einer Schnur gefesselt, und um den Kopf hatten sie ihm ein Turbantuch gewunden. Im übrigen war ihm nichts geschehen. Er trug sogar alle seine Waffen noch.
Diese wurden ihm natürlich abgenommen. Man ließ Hassan und Saadi in ein Nebengemach treten, damit er sie nicht sofort erblicken möge; dann nahm man ihm die Fesseln ab. Er holte erst sehr tief Atem, blickte sich dann um und stieß einen grimmigen Fluch aus.
„Wo bin ich?“ fragte er.
„Im Schloß Malineau.“
„Donnerwetter! Wer waren die Halunken, welche es wagten, sich an mir zu vergreifen?“
„Das interessiert uns nicht, Herr Oberst. Uns interessiert vielmehr der Besuch, welchen Sie uns machen.“
„Besuch? Ja. Denn ich hoffe doch nicht, daß man die Kühnheit haben wird, mich als Gefangenen zu betrachten.“
„Wir betrachten Sie zunächst als einen Mann, welchen der Herr Major von Königsau zu sprechen wünschte. Bitte, folgen Sie uns.“
„Zu einem Major? Schön. Aber wo ist mein Degen? Her mit ihm. Ich muß ihn haben.“
„Später, später.“
„Nein, nicht später, sondern jetzt.“
„Bitte, verkennen Sie nicht Ihre Lage. Ich handle nach dem mir gewordenen Befehl, und diese Kameraden hier sind bereit, dem was ich sage, Nachdruck zu geben.“
„Verdammnis über euch. Also, vorwärts zu diesem Major von Kö – Königsau. Dummer Name!“
Königsau empfing ihn höflich, aber kalt. Es befanden sich nur die Offiziere bei ihm.
„Herr Kamerad“, begann der Oberst, „ist es in Deutschland Brauch, Menschen zu stehlen?“
„Wohl schwerlich. Sind Sie gestohlen worden?“
„Ja.“
„Dann scheinen Ihre Freunde keinen großen Wert auf Sie zu legen, sonst hätte man Sie besser bewacht.“
„Herr Major!“ rief der Franzose drohend.
„Schon gut. Spione und ähnliche Leute weiß man zu behandeln, Monsieur.“
„Halten Sie mich etwa für einen Spion?“
„Ja.“
„Donnerwetter.“
„Pah! Vielleicht sind Sie sogar noch mehr als das! Was haben Sie mit Kapitän Richemonte in Beziehung auf Mademoiselle de Sainte-Marie besprochen?“
Der Oberst erschrak; aber er antwortete:
„Nichts, gar nichts.“
„Wo ist der Kapitän gegenwärtig?“
„Ich weiß es nicht.“
„Ach so! Sie haben ihn nicht nach Metz zu dem Marschall Bazaine geschickt?“
„Wie käme ich dazu?“
„Sie haben ihm keinen Brief anvertraut?“
„Nein.“
„Aber vielleicht besitzen Sie selbst einen solchen Brief an den Marschall?“
„Herr Major, ich verstehe und begreife Sie nicht. Von wem sollte ich einen solchen Brief haben?“
„Von dem Marschall Mac Mahon.“
Der Franzose wurde sichtlich unruhig. Er gab sich die möglichste Mühe, dies zu verbergen, und antwortete:
„Wie kommen Sie zu dieser Vermutung?“
„Das ist Nebensache. Ich habe Grund, zu behaupten, daß Sie von Marschall Mac Mahon einen Brief an Bazaine haben. Wollen Sie dies bestreiten?“
„Und wenn ich einfach sage, daß ich Ihnen gar nicht zu antworten brauche, Herr Major?“
„So würde dies ein Zugeständnis sein. Machen wir es kurz! Können Sie mir Ihr Ehrenwort geben, daß Sie einen solchen Brief nicht bei sich haben?“
Der Offizier schwieg.
„Gut“, fuhr Königsau fort, „Sie sind also im Besitz eines solchen Schreibens. Ich muß Sie ersuchen, es mir auszuhändigen.“
„Das würde ich auf keinen Fall tun, selbst wenn ich es hätte.“
„So zwingen Sie mich, Sie durchsuchen zu lassen.“
„Tun Sie das. Aber ich protestiere auf das energischste gegen eine solche Behandlung eines Staboffiziers, welcher nicht einmal das Unglück hat, Ihr Gefangener zu sein.“
„Ach, darf ich vielleicht fragen, was Sie sonst sind?“
„Haben Sie mich etwa gefangen genommen?“
„Wie Sie in unsere Hände geraten sind, darauf kommt es nicht an. Sie befinden sich eben in unserer Gewalt.“
„Ich bin Offizier. Ich trage die Uniform meines Kaisers. Ich kann nur durch den Sieg Ihrerseits in Ihre Hände geraten.“
„Nicht durch Arretur?“
„Nein; denn ich bin mir keiner Tat bewußt, welche eine solche polizeiliche Maßregel rechtfertigen könnte.“
„Sie sind uns als Spion eingeliefert.“
„Von wem? Etwa von einem Ihrer Leute?“
„Sie sind mir eingeliefert worden auf meine Veranlassung. Das ist genug. Werden Sie mir den Brief geben?“
„Nein.“
„Nun wohl. Ich werde Sie also aussuchen lassen. Ob sich dies mit Ihrer Offiziersehre verträgt, das ist mir nun sehr gleichgültig; ich habe Ihnen Gelegenheit gegeben, die Durchsuchung zu vermeiden.“
Er klingelte, und eine Ordonnanz erschien.
„Holen Sie einen Stiefelknecht!“ befahl er. „Dieser Herr wünscht, es sich bei uns bequem zu machen.“
Der Oberst erbleichte. Das hatte er nicht erwartet. Er mußte erkennen, daß Königsau nur zu gut unterrichtet sei. Aber er sagte kein Wort. Er preßte die Lippen zusammen und wartete, was man beginnen werde. Noch immer glaubte er, daß man sich hüten werde, einem französischen Oberst Gewalt anzutun.
Der Soldat brachte den Stiefelknecht.
„Bitte“, meinte Königsau zu dem Franzosen.
„Tausend Donner!“ antwortete dieser. „Meinen Sie wirklich, daß ich die Stiefel ausziehen werde?“
„Ja, gewiß. Ich meine, daß Sie so klug sein werden, mich nicht zu Gewaltmaßregeln zu zwingen.“
„Die werden Sie unterlassen.“
„Pah. Meine Zeit ist bemessen. Wollen Sie, oder wollen Sie nicht?“
„Fällt mir nicht ein.“
„Holen Sie noch zwei Mann“, befahl Königsau der Ordonnanz. „Sie ziehen diesem Herrn die Stiefel aus.“