„Nein. Es gehört ganz Ihnen.“
„Das würde ja eben zu prüfen sein. Bis dahin aber ist es Ihr rechtmäßiges Eigentum, und da Sie es nicht behalten wollen, so müssen wir es eben deponieren. Großvater, Vater, ist das nicht auch eure Meinung?“
„Ja, ganz und gar!“ lautete die Antwort.
„Ich darf Ihnen nicht widersprechen“, sagte sie. „Aber ich darf Ihnen sagen, daß ich getröstet von Ihnen gehe. Sie haben mir und dem Vater verziehen.“
Sie stand auf. Emma hielt sie fest.
„Gehen Sie noch nicht“, sagte sie. „Sie sind ohne Mittel. Wohin wollen Sie sich wenden?“
„Ich werde im ersten besten Kloster, welches am Weg liegt, Aufnahme finden.“
„Was und wie denken Sie von uns! Haben Sie Verwandte oder Freunde in Paris?“
„Keinen Menschen. Ich habe sehr einsam gelebt.“
„Sie würden die Hauptstadt auch nicht mehr erreichen. Nein. Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Bleiben Sie hier bei uns. Beteiligen Sie sich an unserem gegenwärtigen Beruf. Wir gehören zur Krankenpflege. Dieses fromme, schöne Werk wird Ihr Herz beruhigen und Ihr Gemüt entlasten.“
„Ja, tun Sie das“, stimmte Richard bei. „Es ist das Beste, was Sie tun können.“
Da leuchteten ihre Augen freudig auf, und sie fragte:
„Wird man es mir denn erlauben? Wird man mich auch wirklich annehmen?“
„Ganz gewiß, Mademoiselle. Sie bleiben bei meiner Schwester und deren Freundinnen, welche sich auch hier befinden. Ist der Krieg zu Ende, so werden Sie ja wohl eine Heimat finden, welche nicht hinter finsteren Mauern liegt. Die Ereignisse der letzten Zeit haben Ihr Gemüt umdüstert. Es werden auch wieder helle Tage kommen, und dann werden Sie sich freuen, unserem Rat gefolgt zu sein.“
„O mein Gott! Ich habe nicht erwartet, eine solche Freundlichkeit bei denen zu finden, an welchen unsererseits so schwer gesündigt worden ist. Nehmen Sie meinen Dank, meinen herzlichsten und innigsten Dank!“
Kaum getraute sie sich, Emma die Hand entgegen zu strecken. Diese aber drückte ihr dieselbe mit freundlicher Bereitwilligkeit, und auch die drei Männer bekräftigten durch einen Druck ihrer Hände, daß in ihrem Herzen die Versöhnung wohne. –
Bereits am nächsten Tag konnte Agnes sich ihrem neuen, schwere Beruf widmen, denn das war der Tag der Schlacht von Gravelotte und Saint Privat.
Eisern fielen die Würfel, und wieder fielen sie zum Vorteil der Deutschen. In blutigem Ringen wurden Bazaines Heersäulen zurückgedrängt bis unter die Kanonen von Metz und dort vollständig eingeschlossen. Im voraus sei bemerkt, daß ein am ersten September unternommener Durchbruchsversuch vom ersten preußischen Armeekorps und der Division Kummer unter General von Manteuffel in der Schlacht von Noisseville zurückgeschlagen wurde. Dann fanden nur noch kleinere Gefechte statt, bis Metz kapitulierte.
Das Ergebnis dieser Kapitulation war ein noch nie dagewesenes. Drei Marschälle, fünfzig Generäle, sechstausend Offiziere, hundertdreiundfünfzigtausend Mann und zwanzigtausend in den Lazaretten befindliche Militärpersonen mußten sich den Deutschen ergeben. In der Festung wurden vorgefunden: dreiundfünfzig Adler, Sechsundsechzig Mitrailleusen, fünfhunderteinundvierzig Feld- und achthundert Festungsgeschütze, Material für fünfundachtzig Feldbatterien, zweitausend Militärfahrzeuge, dreihunderttausend Infanteriegewehre und große Vorräte an Ausrüstungsgegenständen und Munition.
Vor dieser Kapitulation aber war bereits eine andere Festung gefallen; Sedan nämlich.
Während der blutigen Schlachten vor Metz hatte Mac Mahon sich mit seinem bei Wörth geschlagenen Korps und demjenigen de Faillys nach Chalons zurückgezogen, wo eigentlich seine Vereinigung mit Bazaine erfolgen sollte. Da dieser letztere aber bei Metz zurückgehalten wurde, so sollte Mac Mahon, wie bereits erwähnt, sich mit ihm durch einen über Sedan und Thionville gehenden Flankenmarsch vereinigen.
Dieser Plan war kühn, und bei nur einiger Versäumnis deutscherseits war zu erwarten, daß er gelingen werde. Gelang er aber nicht, so stand nicht nur eine schwere Niederlage, sondern eine völlige Vernichtung der Armee Mac Mahons zu befürchten.
Nach der Schlacht von Gravelotte waren von der ersten deutschen Armee das Garde-, vierte und zwölfte (sächsische) Armeekorps abgezweigt und zu einer vierten deutschen Armee vereinigt worden, über welche der Kronprinz von Sachsen den Oberbefehl erhielt.
Diese hatte dieselbe Bestimmung wie die vom Kronprinzen von Preußen befehligte dritte Armee, über Verdun auf Chalons und auf der Straße von Nancy nach Toul zu gehen.
Eigentlich wäre bei Chalons eine Schlacht zu erwarten gewesen, zumal das bei Grand Mourmelon, etwa zwei Meilen von dieser Stadt gelegene stehende Lager außerordentlich befestigt sein sollte. Als aber die Führer der beiden genannten deutschen Armeen bemerkten, daß die direkt nach Paris führende Straße preisgegeben worden sei, wurden sofort Auskundschaften eingeleitet. Diese ergaben, daß Mac Mahon eine Marschrichtung ungefähr auf Stenay und La Chêne genommen hatte. Er wollte also die Absicht ausführen, welche er in dem aufgefangenen Brief ausgesprochen hatte.
Natürlich wurde den beiden deutschen Armeen sofort eine Direktion gegeben, welche es ermöglichte, die von dem Feind ins Auge genommenen Marschpunkte noch vor ihm zu erreichen.
Dieser rasche Entschluß und die ohne irgendeine Verwirrung oder den geringsten Verzug bewirkte Ausführung desselben müssen als eine der bewundernswertesten Leistungen der deutschen Truppen und ihrer Heeresleitung betrachtet werden. Die Verwirklichung des feindlichen Planes konnte damit als vereitelt gelten.
Bereis am Abend des 31. Augusts hielten die Deutschen den Feind in einem weiten Halbkreis umspannt, und es war nur noch nötig, diesen in seinem Rücken zu schließen, so war er verloren, denn er konnte dann nicht auf das neutrale belgische Gebiet übertreten, um sich zu retten.
Aus diesem Grund erhielt das sächsische Korps seine Stellung in Pouru Saint Remy und Pouru aux Bois, dem Feind zunächst. Das vierte preußische Korps war zur Unterstützung bestimmt, und das Gardekorps erhielt die Aufgabe, sich hinter diesen beiden Heeresteilen gegen Norden hinaufzuziehen, um die von Sedan über La Chapelle zur belgischen Grenze führende Hauptstraße zu besetzen.
Am Morgen des ersten Septembers verhüllte ein dichter Nebel jede Fernsicht und breitete über die Niederung der Maas und ihre Seitentäler einen undurchsichtigen Schleier. Dennoch zögerte man nicht, die Schlacht zu beginnen.
Nun kam es, wie der Dichter sagt:
„Nun gibt's ein Ringen um den höchsten Preis,
Ein heißes Wogen und ein heißes Wagen,
Und manch ein Herze schwitzt purpurnen Schweiß
Und schlägt nur, um zum letzten Mal zu schlagen.“
Und auch hier wieder fielen die Würfel zugunsten der Deutschen. Der von ihnen um Sedan gebildete, erst nach Norden zu offene Ring wurde geschlossen. Zusammengehauen und zusammengeschossen, wurde die französische Armee am Nachmittage nach vergeblichem Ringen von einer wahren Panik ergriffen. Zu Tausenden ließen sich die an jeder Rettung verzweifelten Franzosen gefangen nehmen, und in wahnsinniger Flucht strebten ihre aufgelösten Haufen Sedan zu erreichen, wohin sämtliche Trümmer der geschlagenen Armeekorps zurückgeworfen wurden.
Gleich am Beginn der Schlacht war Mac Mohan verwundet worden. Sein Nachfolger hatte nicht vermocht, das Glück an seine Fahnen zu fesseln.
Nur in Daigny und Balan hatten sich zwei Korps lange Zeit behauptet, doch ein konzentrischer Vorstoß der kämpfenden Deutschen entschied auch hier. Von den tapferen Sachsen in der Front durchbrochen und von den preußischen Garden und dem vierten Armeekorps an beiden Flanken umfaßt, sahen sich die Franzosen mit unwiderstehlicher Gewalt nach Sedan hineingeworfen.
Zu diesem Schlag waren die preußischen Garden über das Bois de Garenne und durch das Tal der Givonne vorgerückt. Bei ihnen stand Königsau, welcher, da der Oberst und der Oberstwachtmeister verwundet waren, das Regiment befehligte.