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Timur Vermes

ER IST

WIEDER DA

DER ROMAN

Anmerkung

Sämtliche Handlungen, Charaktere und Dialoge in diesem Buch sind rein fiktiv. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und/oder ihren Reaktionen, mit Firmen, Organisationen etc. sind schon deshalb zufällig, da unter vergleichbaren Umständen in der Realität andere Vorgehens- und Verhaltensweisen der handelnden Figuren nicht vollständig ausgeschlossen werden können. Der Autor legt Wert auf die Feststellung, dass Sigmar Gabriel und Renate Künast nicht wirklich mit Adolf Hitler gesprochen haben.

Erwachen in Deutschland

Das Volk hat mich wohl am meisten überrascht. Nun habe ich ja wirklich das Menschenmögliche getan, um auf diesem vom Feinde entweihten Boden die Grundlagen für eine Fortexistenz zu zerstören. Brücken, Kraftwerke, Straßen, Bahnhöfe, ich habe die Zerstörung all dessen befohlen. Und inzwischen habe ich es auch nachgelesen, wann, das war im März, und ich denke, ich habe mich in dieser Beziehung ganz klar ausgedrückt. Alle Versorgungseinrichtungen sollten vernichtet werden, Wasserwerke, Telefonanlagen, Produktionsmittel, Fabriken, Werkstätten, Bauernhöfe, jegliche Sachwerte, alles, und damit meinte ich auch: alles! Da muss man sorgfältig vorgehen, da darf bei so einem Befehl kein Zweifel bestehen bleiben, das kennt man ja, dass dann vor Ort der einfache Soldat, dem verständlicherweise in seinem Frontabschnitt der Überblick, die Kenntnis der strategischen, taktischen Zusammenhänge fehlt, dass der dann kommt und sagt: »Ja, muss ich denn wirklich auch diesen, diesen, sagen wir einmal Kiosk hier anzünden? Kann der nicht dem Feind in die Hände fallen? Ist das denn so schlimm, wenn dem Feind der Kiosk in die Hände fällt?« Das ist natürlich schlimm! Der Feind liest ja auch eine Zeitung! Er treibt Handel damit, er wird den Kiosk gegen uns wenden, alles, was er vorfindet! Man muss alle, und ich unterstreiche es nochmals, alle Sachwerte zerstören, nicht nur Häuser, auch Türen. Und Türklinken. Und dann auch die Schrauben, und nicht nur die großen. Die Schrauben muss man herausdrehen und sie dann unbarmherzig verbiegen. Und die Tür muss man zermahlen, zu Sägemehl. Und dann verbrennen. Denn der Feind wird sonst unnachsichtig selber durch diese Tür ein und aus gehen, wie es ihm gerade beliebt. Aber mit einer kaputten Klinke und lauter verbogenen Schrauben und einem Haufen Asche, da wünsche ich dem Herrn Churchill viel Vergnügen! Jedenfalls sind diese Erfordernisse die brutale Konsequenz des Krieges, das ist mir immer klar gewesen, insofern konnte mein Befehl auch gar nicht anders gelautet haben, auch wenn der Hintergrund meines Befehles ein anderer war.

Jedenfalls ursprünglich.

Es war nicht mehr zu leugnen, dass sich das deutsche Volk zuletzt im epischen Ringen mit dem Engländer, mit dem Bolschewismus, mit dem Imperialismus als das unterlegene erwiesen hatte und damit seine Fortexistenz selbst auf dem primitivsten Stadium eines Jäger- und Sammlertums, ich sage es schlicht: verwirkt hatte. Von daher hat es auch jegliches Anrecht auf Wasserwerke, Brücken, Straßen verspielt. Und auch auf Türklinken. Deshalb gab ich den Befehl, und ein wenig auch der Vollständigkeit halber, denn natürlich habe ich damals auch gelegentlich ein paar Schritte vor und um die Reichskanzlei getan, und man muss es da unwiderruflich zur Kenntnis nehmen: Der Amerikaner, der Engländer, sie hatten uns mit ihren Fliegenden Festungen in Hinsicht auf meinen Befehl schon großflächig eine beträchtliche Menge Arbeit abgenommen. Ich habe die Umsetzung dieses Befehls in der Folgezeit natürlich nicht in allen Einzelheiten kontrolliert. Man kann sich vorstellen, ich hatte viel zu tun, die Niederringung des Amerikaners im Westen, die Abwehr des Russen im Osten, die städtebauliche Weiterentwicklung der Welthauptstadt Germania und so weiter, aber mit den übrigen Türklinken hätte die deutsche Wehrmacht meiner Einschätzung nach fertigwerden müssen. Und insofern hätte es dieses Volk eigentlich nicht mehr geben dürfen.

Es ist aber, wie ich jetzt feststelle, noch immer da.

Das ist mir einigermaßen unbegreiflich.

Andererseits: Ich bin ja auch da, und das verstehe ich genauso wenig.

i.

Ich erinnere mich, ich bin erwacht, es dürfte früher Nachmittag gewesen sein. Ich öffnete meine Augen, ich sah über mir den Himmel. Er war blau, leicht bewölkt, es war warm, und mir war sofort klar, dass es für April zu warm war. Man konnte es fast heiß nennen. Es war vergleichsweise still, über mir war kein Feindflieger zu sehen, kein Geschützdonner zu hören, keine Einschläge in der Nähe, keine Luftschutzsirenen. Ich registrierte auch: keine Reichskanzlei, kein Führerbunker. Ich wandte den Kopf, ich sah, ich lag auf dem Boden eines unbebauten Grundstücks, umgeben von benachbarten Häuserwänden, aus Ziegeln gemauert, teilweise von Schmutzfinken beschmiert, ich ärgerte mich sofort und beschloss spontan, Dönitz herbeizuzitieren. Ich dachte zuerst gar, wie in einem Halbschlummer, ja liegt denn Dönitz auch hier irgendwo herum, dann siegte die Disziplin, die Logik, ich erfasste rasch die Eigenwilligkeit der Lage. Ich kampiere üblicherweise nicht unter freiem Himmel.

Zuerst überlegte ich: Was hatte ich am Vorabend getan? Über unmäßigen Alkoholkonsum brauchte ich mir keine Gedanken machen, ich trinke ja nicht. Ich erinnerte mich, zuletzt mit Eva auf einem Sofa gesessen zu haben, auf einem Plumeau. Ich erinnerte mich auch, dass ich oder wir dort in einer gewissen Sorglosigkeit saßen, ich hatte meines Wissens beschlossen, die Staatsgeschäfte einmal ein wenig ruhen zu lassen, wir hatten keine weiteren Pläne für den Abend, Essen gehen oder Kino oder dergleichen kam selbstverständlich nicht infrage, das Unterhaltungsangebot der Reichshauptstadt war zu diesem Zeitpunkt, nicht zuletzt auch meinem Befehl gemäß, bereits erfreulich ausgedünnt. Ich konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob in den folgenden Tagen Stalin in die Stadt kommen würde, es war zu diesem Zeitpunkt des Kriegsverlaufs nicht vollständig auszuschließen. Was ich aber mit Sicherheit sagen konnte, war, dass er hier so vergeblich nach einem Lichtspieltheater gesucht haben dürfte wie in Stalingrad. Ich glaube, wir hatten dann noch ein wenig geplaudert, Eva und ich, und ich hatte ihr meine alte Pistole gezeigt, weitere Details waren mir bei meinem Erwachen nicht geläufig. Auch weil ich unter Kopfschmerzen litt. Nein, die Erinnerung an den Vorabend brachte mich hier nicht weiter.

Ich entschloss mich also, das Heft des Handelns zu ergreifen und mich mit meiner Situation näher auseinanderzusetzen. In meinem Leben habe ich gelernt, zu beobachten, zu betrachten, auch oft kleinste Dinge wahrzunehmen, die mancher Studierte gering schätzt, ja ignoriert. Ich hingegen kann dank jahrelanger eiserner Disziplin von mir ruhigen Gewissens sagen, ich werde in der Krise kaltblütiger, noch überlegter, die Sinne werden schärfer. Ich arbeite präzise, ruhig, wie eine Maschine. Ich fasse methodisch zusammen, was ich an Informationen habe: Ich liege auf dem Boden. Ich sehe mich um. Neben mir lagert Unrat, es wächst Unkraut, Halme, hier und da ein Busch, auch ein Gänseblümchen ist dabei, Löwenzahn. Ich höre Stimmen, sie sind nicht zu weit entfernt, Schreie, das Geräusch fortgesetzten Aufprallens, ich sehe in die Richtung der Geräusche, sie rühren von einigen Buben her, die dort Fußball spielen. Es sind keine Pimpfe mehr, für den Volkssturm wohl noch zu jung, sie sind vermutlich in der HJ, aber offensichtlich derzeit nicht im Dienst, der Feind scheint eine Ruhephase eingelegt zu haben. Ein Vogel bewegt sich im Geäste eines Baumes, er zwitschert, er singt. Für manchen ist das nur ein Zeichen heiterer Laune, aber in dieser ungewissen Lage, angewiesen auf jede Information, und mag sie noch so klein sein, kann der Kenner der Natur und des alltäglichen Überlebenskampfes daraus folgern, dass keine Raubtiere anwesend sind. Direkt neben meinem Kopfe befindet sich eine Pfütze, sie scheint im Schrumpfen begriffen, es hat wohl vor längerer Zeit geregnet, seither aber nicht mehr. An ihrem Rand liegt meine Schirmmütze. So arbeitet mein geschulter Verstand, so arbeitete er auch in diesem irritierenden Momente.