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Ich setzte mich auf. Es gelang mir problemlos, ich bewegte die Beine, die Hände, die Finger, ich schien keine Verletzungen zu haben, der körperliche Zustand war erfreulich, ich war wohl vollständig gesund, von den Kopfschmerzen einmal abgesehen, sogar das Zittern meiner Hand schien fast völlig nachgelassen zu haben. Ich sah an mir herab. Ich war bekleidet, ich trug die Uniform, den Rock des Soldaten. Er war etwas schmutzig, wenn auch nicht zu sehr, verschüttet war ich also nicht gewesen. Erde befand sich darauf, wie mir schien auch Krumen von Gebäck, Kuchen oder dergleichen. Der Stoff roch stark nach Treibstoff, vielleicht Benzin, es mochte daher rühren, dass Eva möglicherweise versucht hatte, meine Uniform zu reinigen, allerdings mit übertriebenen Mengen Reinigungsbenzin, man hätte meinen können, sie hätte einen ganzen Kanister über mich gekippt. Sie selbst war nicht da, auch sonst schien mein Stab derzeit nicht in der Nähe. Ich klopfte den gröbsten Schmutz von meinem Rocke, von meinen Ärmeln, als ich eine Stimme vernahm.

»Ey, Alter, kiek ma!«

»Ey, wat’n det für’n Opfa?«

Ich schien einen hilfsbedürftigen Eindruck zu machen, das hatten die drei Hitlerjungen vorbildlich erkannt. Sie beendeten ihr Fußballspiel, näherten sich respektvoll, das war verständlich, den Führer des Deutschen Reiches plötzlich in unmittelbarer Nähe zu erleben, auf einer Brachfläche, die gemeinhin zu Sport und körperlicher Ertüchtigung genutzt wird, zwischen Löwenzahn und Gänseblume, das ist auch für den jungen, noch nicht voll gereiften Mann eine ungewöhnliche Wendung in seinem Tagesablauf, dennoch eilte die kleine Schar herbei, dem Windhunde gleich, bereit zu helfen. Die Jugend ist die Zukunft!

Die Buben versammelten sich mit einem gewissen Abstand um mich, musterten mich, woraufhin der größte unter ihnen, offenbar der Kameradschaftsführer, sich an mich wandte:

»Allet klar, Meesta?«

Bei aller Besorgnis kam ich nicht umhin, das vollständige Fehlen des Deutschen Grußes zu registrieren. Gewiss, die reichlich formlose Ansprache, die Verwechslung von »Meister« und »Führer« mochte der Überraschung geschuldet sein, in einer weniger verwirrenden Situation hätte sie womöglich ungewollt Heiterkeit hervorrufen können, wie sich ja oft selbst im erbarmungslosen Stahlgewitter des Schützengrabens die bizarrsten Possen ereignen, dennoch muss der Soldat freilich auch in ungewohnten Situationen bestimmte Automatismen zeigen, das ist der Sinn des Drills – wenn diese Automatismen fehlen, dann ist die ganze Armee keinen Pfifferling wert. Ich richtete mich auf, es fiel nicht ganz leicht, ich schien schon länger gelegen zu haben. Dennoch rückte ich den Rock gerade, reinigte notdürftig mit einigen wenigen, leichten Schlägen die Hosenbeine. Dann räusperte ich mich und fragte den Kameradschaftsführer:

»Wo ist Bormann?«

»Wer is’n ditte?«

Es war nicht zu fassen.

»Bormann! Martin!«

»Kenn ick nich.«

»Nie jehört.«

»Wie siehta’n aus?«

»Wie ein Reichsleiter, zum Donnerwetter!«

Irgendetwas war hier absolut ungewöhnlich. Ich befand mich zwar offenbar noch immer in Berlin, war jedoch augenscheinlich des gesamten Regierungsapparats beraubt. Ich musste dringend zurück in den Führerbunker, und, so viel schien mir klar, die anwesende Jugend konnte dabei keine große Hilfe sein. Zunächst galt es, den Weg zu finden. Das gesichtslose Areal, auf dem ich mich befand, konnte überall in der Stadt sein. Aber ich musste ja nur hinaus auf die Straße treten, in dieser anscheinend schon länger andauernden Feuerpause würden wohl Passanten, Berufstätige, Droschkenfahrer genug unterwegs sein, um mir den Weg zu weisen.

Vermutlich wirkte ich den Hitlerjungen nicht hilfsbedürftig genug, sie machten den Eindruck, als wollten sie ihr Fußballspiel wieder aufnehmen, jedenfalls wandte sich der größte nun zu seinen Kameraden um, wodurch ich seinen Namen lesen konnte, den ihm seine Mutter auf das geradezu grellbunte Sportleibchen gewirkt hatte.

»Hitlerjunge Ronaldo! Wo geht es zur Straße?«

Die Reaktion war dürftig, ich muss leider sagen, dass die Truppe so gut wie nicht aufmerkte, einer der beiden Kleineren zeigte jedoch im Gehen schwunglos mit dem Arm auf einen Winkel des Grundstücks, in dem sich bei näherer Betrachtung tatsächlich ein Durchgang andeutete. Ich machte mir im Geiste einen Vermerk im Sinne von »Rust entlassen« oder »Rust entfernen«, seit 1933 war der Mann im Amt, und gerade im Bildungswesen ist kein Platz für eine derart bodenlose Schlamperei. Wie soll ein junger Soldat den siegreichen Weg nach Moskau finden, in das Herz des Bolschewismus, wenn er nicht einmal seine eigenen Befehlshaber erkennt!

Ich bückte mich, hob meine Mütze auf und lief, sie aufsetzend, mit festem Schritte in die gewiesene Richtung. Es ging um eine Ecke, dann folgte ich einem schmalen Durchweg zwischen hohen Wänden, an dessen Ende das Licht der Straße leuchtete. Eine scheue Katze drängte sich an der Wand an mir vorbei, sie war bunt gefleckt und ungepflegt, dann tat ich noch vier, fünf Schritte und trat hinaus auf die Straße.

Mir stockte der Atem angesichts des gewaltigen Ansturms von Licht und Farbe.

Ich erinnerte mich, die Stadt zuletzt sehr staub- oder auch feldgrau wahrgenommen zu haben, auch mit erheblichen Trümmerbergen und Beschädigungen. Doch vor mir lag nichts dergleichen. Die Trümmer waren verschwunden oder zumindest sauber entfernt, die Straßen geräumt. Stattdessen standen an den Straßenrändern zahlreiche, ja zahllose bunte Wagen, die wohl Automobile sein mochten, aber sie waren kleiner, und dennoch schienen bei ihrem Entwurf überall die Messerschmitt-Werke federführend mitgewirkt zu haben, so fortschrittlich muteten sie an. Die Häuser waren sauber gestrichen, in unterschiedlichen Farben, die mich mitunter an Zuckerwerk in meiner Jugend erinnerten. Ich bekenne, mir wurde ein wenig schwindelig. Mein Blick suchte nach Vertrautem, ich sah eine schäbige Parkbank auf einem Grünstreifen jenseits der Fahrbahn, ich machte einige wenige Schritte, und ich schäme mich nicht zu sagen, dass sie womöglich etwas unsicher gewirkt haben können. Ich hörte ein Läuten, das Bremsen von Gummi auf Asphalt, und dann schrie mich jemand an.

»Sachma, geht’s noch, Alter! Biste blind?«

»Ich – ich bitte um Entschuldigung…«, hörte ich mich sagen, erschrocken und erleichtert zugleich. Neben mir stand ein Radfahrer, wenigstens dieser Anblick war mir vergleichsweise vertraut, doppelt zumal. Wir hatten nach wie vor Krieg, er trug zum Schutze einen von vorherigen Angriffen wohl stark beschädigten, eigentlich völlig durchlöcherten Helm.

»Wie läufst’n du überhaupt rum!«

»Ich – Verzeihung – ich… ich muss mich hinsetzen.«

»Du solltest dich eher mal hinlegen. Und zwar für länger!«

Ich rettete mich auf die Parkbank, ich werde wohl etwas blass gewesen sein, als ich mich darauf fallen ließ. Auch dieser jüngere Mann schien mich nicht erkannt zu haben. Es gab hier schon wieder keinen Deutschen Gruß, die Reaktion sah aus, als habe er nur fast einen x-beliebigen, herkömmlichen Passanten gerammt. Und dieser Schlendrian schien die allseits geübte Praxis zu sein: Ein älterer Herr ging an mir vorbei, kopfschüttelnd, eine voluminöse Dame mit einem futuristischen Kinderwagen – ein weiteres vertrautes Element, doch auch dies vermochte meine desperate Lage nicht auswegreicher zu gestalten. Ich hatte mich erhoben, war mit um Festigkeit bemühter Haltung an sie herangetreten.

»Verzeihung, es mag Sie überraschen, aber ich… benötige sofort den kürzesten Weg zur Reichskanzlei.«

»Sind Sie vom Stefan Raab?«

»Bitte?«

»Oder der Kerkeling? Einer von Harald Schmidt?«

Es mag an meiner Nervosität gelegen haben, dass ich etwas ungehalten wurde und sie am Arm packte.