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»Können Sie sich das Adlon leisten?«

Da hatte er wohl recht. Ich sah betreten zu Boden.

»Sie sehen mich – praktisch mittellos…«, gab ich zu.

»Na also. Ist ja auch kein Wunder, wenn Sie sich mit Ihrem Können nicht nach draußen wagen. Sie dürfen sich nicht verstecken.«

»Ich habe mich nicht versteckt!«, protestierte ich. »Das lag am Bombenhagel!«

»Jaja«, winkte er ab, »also noch maclass="underline" Sie bleiben ein, zwei Tage hier, und ich spreche mal ein, zwei Kunden von mir an. Die neue ›Theater heute‹ ist gestern gekommen und eines von den Filmblättern, das holen die jetzt nach und nach alle ab. Vielleicht kriegen wir was hin. Ehrlich, eigentlich müssten Sie nicht mal was können, die Uniform allein haben Sie schon super hinbekommen…«

»Das heißt, ich bleibe jetzt hier?«

»Fürs Erste. Tagsüber bleiben Sie bei mir, falls jemand kommt, kann ich Sie gleich vorstellen. Und wenn niemand kommt, hab ich wenigstens was zu lachen. Oder haben Sie was anderes zum Unterkommen?«

»Nein«, seufzte ich, »das heißt, bis auf den Führerbunker…«

Er lachte. Dann hielt er inne.

»Sagen Sie, Sie räumen mir doch den Kiosk nicht aus?«

Ich sah ihn empört an: »Sehe ich aus wie ein Verbrecher?«

Er sah mich an: »Sie sehen aus wie Adolf Hitler.«

»Eben«, sagte ich.

iii.

Die nächsten Tage und Nächte sollten für mich zu einer schweren Prüfung werden. Unter unwürdigsten Umständen, notdürftig beherbergt zwischen fragwürdigen Veröffentlichungen, Tabakwaren, Naschwerk und Getränkedosen, nachts auf einem leidlich, aber nicht übermäßig sauberen Sessel gekrümmt, musste ich die Ereignisse der letzten sechsundsechzig Jahre nachholen, ohne dabei ungünstige Aufmerksamkeit zu erregen. Denn während andere sich wohl stundenlang, tagelang fruchtlos den Kopf zermartert hätten mit naturwissenschaftlichen Verständnisfragen, mit der vergeblichen Lösung des Rätsels über diese ebenso fantastische wie unerklärliche Zeitreise, war mein methodisch denkender Verstand zuverlässig in der Lage, sich den Gegebenheiten anzupassen. Statt wehleidigen Lamentierens nahm er die neuen Fakten hin und erkundete die Lage. Zumal – um den Ereignissen kurz vorzugreifen – die veränderten Bedingungen erheblich mehr und bessere Möglichkeiten zu bieten schienen. So sollte sich etwa herausstellen, dass innerhalb der letzten sechsundsechzig Jahre die Anzahl sowjetrussischer Soldaten auf deutschem Reichsgebiet und insbesondere im Großraum Berlin beträchtlich zurückgegangen war. Man ging nun von einer Zahl zwischen etwa dreißig und fünfzig Mann aus, worin ich blitzartig für die Wehrmacht eine außerordentlich verbesserte Erfolgsaussicht erkennen konnte verglichen mit der letzten Schätzung meines Generalstabs von etwa 2,5 Millionen gegnerischen Soldaten allein an der Ostfront.

So spielte ich auch nur für einen kurzen Moment mit dem Gedanken, Opfer eines Komplotts geworden zu sein, einer Entführung, im Verlauf derer der feindliche Geheimdienst mir möglicherweise einen aufwendigen Streich spielte, um mir so gegen meinen eisernen Willen wertvolle Geheimnisse zu entlocken. Allein die technischen Erfordernisse, eine völlig neue Welt zu schaffen, in der ich mich ja auch noch frei bewegen konnte – diese Variante der Realität war schier noch undenkbarer als die Wirklichkeit, die ich in jeder Sekunde vorfand, mit Händen greifen, mit Augen sehen konnte. Nein, in diesem bizarren Hier und Jetzt galt es den Kampf zu führen. Und der erste Schritt zum Kampfe ist noch stets die Aufklärung.

Man kann sich unschwer vorstellen, dass die Beschaffung verlässlicher neuester Informationen ohne die nötige Infrastruktur beträchtliche Probleme bereitete. Die Voraussetzungen dazu waren denkbar schlecht: In außenpolitischer Hinsicht standen mir weder die Abwehr noch das Auswärtige Amt zur Verfügung, innenpolitisch war ein Kontakt zur Geheimen Staatspolizei vorerst nicht leicht umzusetzen. Auch der Besuch einer Bibliothek schien mir in der allernächsten Zeit zu riskant. Insofern war ich auf die Inhalte zahlreicher Publikationen angewiesen, deren Vertrauenswürdigkeit ich freilich nicht überprüfen konnte, sowie auf Äußerungen und Gesprächsfetzen von Passanten. Zwar hatte der Zeitungskrämer mir freundlicherweise den Betrieb eines Radioapparates ermöglicht, der aufgrund der zwischenzeitlichen Fortschritte der Technik zu unfassbar geringem Umfange geschrumpft war – allein, es hatten sich die Gepflogenheiten des Großdeutschen Rundfunks seit 1940 erschütternd geändert. Direkt nach dem Einschalten ertönte ein infernalischer Lärm, häufig unterbrochen von unfassbarem, vollkommen unverständlichem Geschwätz. Am Inhalt änderte sich in der Fortdauer nichts, allein die Häufigkeit des Wechsels zwischen Getöse und Geschwätz nahm zu. Ich entsinne mich minutenlanger vergeblicher Versuche, den Lärm des technischen Wunderwerks zu entschlüsseln, dann schaltete ich entsetzt ab. Ich saß wohl eine Viertelstunde reglos, beinahe schockstarr, bevor ich beschloss, meine Rundfunkbemühungen fürs Erste zurückzustellen. Insofern blieb ich letzten Endes auf die verfügbaren Presseerzeugnisse zurückgeworfen, deren vorrangigstes Ziel eine wahrhafte geschichtliche Aufklärung nie gewesen ist und selbstverständlich auch heute nicht sein konnte.

Eine erste Bestandsaufnahme, die zweifellos unvollständig bleiben musste, sah wie folgt aus:

1. Der Türke war uns offenbar doch nicht zu Hilfe gekommen.

2. Angesichts der siebzigsten Wiederkehr des Unternehmens Barbarossa wurde mehrfach vor allem über diesen Aspekt deutscher Geschichte berichtet. Dabei wurde die Operation in einem insgesamt negativen Lichte gezeigt. Es wurde allgemein behauptet, der Feldzug sei nicht siegreich gewesen, ja der gesamte Krieg sei nicht gewonnen worden.

3. Ich selbst galt tatsächlich als tot. Es wurde mir unterstellt, ich hätte Selbstmord begangen. Und gewiss, ich erinnere mich, diese Möglichkeit theoretisch im Kreise der Vertrauten erörtert zu haben, und sicher fehlten mir in der Erinnerung einige Stunden einer gewiss schweren Zeit. Aber letzten Endes musste ich nur an mir herabsehen, um die Tatsachen zu erkennen.

War ich denn tot?

Aber man weiß ja, was man von unseren Zeitungen zu halten hat. Da notiert der Schwerhörige, was ihm der Blinde berichtet, der Dorftrottel korrigiert es, und die Kollegen in den anderen Pressehäusern schreiben es ab. Jede Geschichte wird von Neuem aufgegossen mit demselben abgestandenen Lügensud, um dann anschließend das »herrliche« Gebräu dem ahnungslosen Volke zu kredenzen. Wenn ich auch in diesem Falle bereit war, durchaus so etwas wie Nachsicht walten zu lassen. Dass das Schicksal derart bemerkenswert in sein eigenes Räderwerk hineingreift, das kommt so selten vor, dass es selbst für die klügsten Köpfe schwer zu begreifen sein muss, geschweige denn für den durchschnittlichen Vertreter unserer so genannten Meinungsveröffentlicher.

4. Was aber alle anderen Sachverhalte anging, galt es, dem Gehirn den Magen eines Wildschweins angedeihen zu lassen. Die militärischen, militärhistorischen, politischen und ganz allgemein jegliches Thema bis hin zu Wirtschaft betreffenden Fehleinschätzungen der Presse, unterlaufen aus Ahnungslosigkeit oder Böswilligkeit, galt es zu ignorieren, ein denkender Mensch musste sonst schlichtweg wahnsinnig werden angesichts von so viel gedruckter Dummheit.

5. Oder ein Magengeschwür bekommen, so gottlos verblödet schmierten die syphilitisch degenerierten Gehirne der offenbar von jeder staatlichen Kontrolle befreiten Hetzpresse sich ihr zusammenphantasiertes Weltbild zurecht.

6. Das Deutsche Reich schien einer sogenannten »Bundesrepublik« gewichen, deren Leitung allem Anschein nach einer Frau oblag (»Bundeskanzlerin«), allerdings auch schon anderen Herren anvertraut worden war.

7. Es gab wieder Parteien und freilich das damit unfehlbar einhergehende unproduktive Gezänk. Die schier unausrottbare Sozialdemokratie trieb erneut ihr fruchtloses Unwesen auf dem Rücken des leidgeprüften deutschen Volkes, andere Vereine schmarotzten vom Volksreichtum wiederum auf ihre Weise, eine Wertschätzung ihrer »Arbeit« blieb – was verblüffen mag – sogar in der sonst so wohlgesinnten Lügenpresse größtenteils aus. Aktivitäten der NSDAP fanden hingegen nicht mehr statt, es war möglich, dass angesichts einer nicht auszuschließenden Niederlage in der Vergangenheit die Siegermächte die Parteiarbeit erschwert hatten, wenn nicht die Organisation sogar in die Illegalität gedrängt worden war.