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Sie dachte einen Augenblick nach und sah mich unverwandt an.

»Erzähle mir noch einmal, Wanja«, sagte sie, »wie der Großvater gestorben ist! Erzähle alles, und laß nichts fort!«

Ich war sehr verwundert über ihr Verlangen, begann aber doch, alles in größter Ausführlichkeit zu erzählen. Ich vermutete, daß sie irrerede oder wenigstens ihr Kopf nach dem Anfall noch nicht ganz klar geworden sei. Sie hörte meine Erzählung aufmerksam an, und ich erinnere mich, wie ihre schwarzen, in krankem, fieberhaftem Glanz schimmernden Augen mich während meiner Erzählung starr und unverwandt ansahen. Im Zimmer war es schon dunkel.

»Nein, Wanja, er ist nicht gestorben«, sagte sie mit aller Bestimmtheit, nachdem sie alles angehört und noch einmal ein Weilchen nachgedacht hatte. »Mama spricht mit mir häufig vom Großvater, und als ich gestern zu ihr sagte: ›Aber der Großvater ist doch gestorben‹, da wurde sie sehr traurig, fing an zu weinen und sagte mir, das wäre nicht wahr; das hätte man mir absichtlich vorgeredet; er gehe jetzt auf den Straßen umher und bettle, ›so wie du und ich früher gebettelt haben‹, sagte Mama; ›und er geht immer an der Stelle umher, wo ich und du ihn das erstemal getroffen haben, als ich ihm zu Füßen fiel und Asorka mich erkannte...‹ «

»Das ist ein Traum, Nelly, ein krankhafter Traum, weil du selbst krank bist«, entgegnete ich.

»Das habe ich auch selbst gedacht, daß es ein Traum sei«, erwiderte Nelly, »und darum habe ich es niemandem gesagt. Nur dir allein wollte ich es erzählen. Aber heute, als du nicht zum Mittagessen gekommen warst und ich dann eingeschlafen war, da sah ich im Traum auch den Großvater selbst. Er saß in seiner Wohnung und wartete auf mich und sah so unheimlich und so mager aus und sagte, er habe seit zwei Tagen nichts gegessen und Asorka auch nicht, und er war sehr böse auf mich und machte mir Vorwürfe. Er sagte mir auch, er habe gar keinen Schnupftabak, und ohne den könne er nicht leben. Das hat er auch wirklich früher einmal zu mir gesagt, Wanja, nachdem Mama schon gestorben war, als ich noch zu ihm ging. Damals war er ganz krank und verstand fast gar nichts mehr, was man zu ihm sagte. Als ich das nun heute von ihm hörte, da dachte ich: ›Ich will hingehen und mich auf eine Brücke stellen und betteln, und für das, was ich bekomme, will ich ihm Brot und gekochte Kartoffeln und Tabak kaufen.‹ Und da stand ich nun auch schon auf der Brücke und bettelte und sah, daß der Großvater in der Nähe auf und ab ging und ein Weilchen wartete und dann zu mir herantrat und sah, wieviel ich zusammenbekommen hätte, und es an sich nahm. ›Das‹, sagte er, ›ist für Brot; jetzt bettle für Tabak!‹ Ich brachte wieder etwas zusammen, und er kam wieder heran und nahm es mir weg. Ich sagte ihm, ich würde ihm auch ohne das alles abliefern und nichts heimlich für mich behalten. ›Nein‹, sagte er, ›du bestiehlst mich; auch die Bubnowa hat mir gesagt, daß du eine Diebin bist; darum werde ich dich auch niemals zu mir nehmen. Da war doch noch ein Fünfkopekenstück; wo hast du das gelassen?‹ Ich fing an zu weinen, weil er mir nicht glaubte; aber er hörte nicht auf mich und schrie immer: ›Du hast mir ein Fünfkopekenstück gestohlen!‹ Und dann schlug er mich, gleich dort auf der Brücke, und so, daß es mir sehr weh tat. Und ich weinte sehr... Siehst du, Wanja, darum habe ich jetzt gedacht, daß er bestimmt noch lebt und irgendwo allein umhergeht und darauf wartet, daß ich zu ihm komme...«

Ich begann von neuem, beruhigend auf sie einzureden und ihr zu versichern, daß ihr Großvater wirklich tot sei, und zuletzt schien es, als ob sie sich habe überzeugen lassen. Sie antwortete, sie fürchte sich jetzt einzuschlafen, weil sie von dem Großvater träumen werde. Zum Schluß umarmte sie mich herzlich...

»Aber verlassen kann ich dich trotzdem nicht, Wanja!« sagte sie zu mir und schmiegte sich mit ihrem Gesichtchen an mein Gesicht. »Wenn auch der Großvater nicht mehr am Leben wäre, ich würde mich doch nicht von dir trennen.«

Im Hause waren alle über Nellys Anfall erschrocken. Ich erzählte dem Arzt heimlich alle ihre Träume und fragte ihn ernstlich, was er über ihre Krankheit denke.

»Es ist noch nichts erkennbar«, antwortete er überlegend; »vorläufig stelle ich nur Hypothesen auf, ich überlege und beobachte; aber zu erkennen ist noch nichts. Nur soviel läßt sich sagen: eine völlige Genesung ist unmöglich. Sie wird sterben. Ich habe es der Familie nicht gesagt, weil Sie mich so darum baten; aber die Kleine tut mir leid, und ich schlage vor, daß wir gleich morgen auch noch andere Ärzte hinzuziehen. Vielleicht nimmt die Krankheit dann eine andere Wendung. Aber dieses Mädchen tut mir so leid, als ob sie meine Tochter wäre... Ein liebes, liebes Kind! Und was für einen lebhaften Geist sie hat!«

Nikolai Sergejewitsch war in besonderer Erregung.

»Hör mal, Wanja«, sagte er, »was ich mir ausgedacht habe; sie hat ja Blumen so gern. Weißt du was? Wir wollen ihr morgen, wenn sie aufwacht, einen ebensolchen Empfang mit Blumen bereiten, wie sie und dieser Heinrich es für ihre Mama getan haben; du weißt ja, was sie heute erzählt hat... Sie war in solcher Aufregung, als sie das erzählte...«

»Das ist es eben, daß sie in Aufregung war«, antwortete ich. »Aufregungen sind ihr jetzt schädlich...«

»Ja, aber angenehme Aufregungen, das ist eine andere Sache! Glaube mir nur, Wanjuscha, verlaß dich auf meine Erfahrung: angenehme Aufregungen tun dem Menschen nichts; angenehme Aufregungen können einen sogar kurieren, heilsam auf den Gesundheitszustand wirken...«

Kurz, der Alte war von seinem Einfall so entzückt, daß er ordentlich in Begeisterung geriet. Es ihm auszureden war ein Ding der Unmöglichkeit. Ich fragte den Arzt um Rat; aber ehe dieser noch hatte eine Ansicht äußern können, griff der Alte schon nach seiner Mütze und schickte sich an, wegzulaufen, um die Sache ins Werk zu setzen.

»Weißt du was?« sagte er zu mir, als er schon auf dem Sprunge stand; »hier ganz in der Nähe ist eine Gärtnerei, mit Treibhäusern, großartigen Treibhäusern. Die Inhaber verkaufen jetzt ihre Blumen aus; da kann man welche bekommen, und billig. Sogar ganz erstaunlich billig!... Teile du das nur meiner Frau so unterderhand mit; sonst wird sie gleich ärgerlich wegen der Ausgaben... Na also, das wollen wir machen... Ja, noch eins, lieber Freund; wo willst du jetzt hin? Du bist ja mit deiner Arbeit fertig; also hast du keine Eile, nach Hause zu kommen. Schlafe doch bei uns, oben in der Giebelstube: du weißt noch, wie früher manchmal. Dein Bett und deine Matratze, alles ist da noch am früheren Fleck; kein Mensch hat es angerührt. Du wirst da schlafen wie der König von Frankreich. Ja? Bleib hier! Morgen stehen wir recht früh auf; dann werden die Blumen gebracht, und um acht Uhr schmücken wir zusammen das ganze Zimmer. Auch Natascha wird uns helfen; sie hat ja doch mehr Geschmack als ich und du... Na, einverstanden? Bleibst du die Nacht hier?«

Ich willigte ein, und der Alte ordnete das Erforderliche an. Der Arzt und Masslobojew empfahlen sich und gingen fort; denn bei Ichmenews legte man sich früh schlafen, um elf Uhr. Beim Weggehen war Masslobojew sehr nachdenklich und wollte mir etwas sagen, schob es dann aber doch auf ein andermal auf. Als ich aber den alten Leuten gute Nacht gesagt hatte und nach meiner Giebelstube hinaufgestiegen war, sah ich ihn dort zu meiner Verwunderung wieder. Er saß, auf mich wartend, an einem Tischchen und blätterte in einem Buch.

»Ich bin unterwegs wieder umgekehrt, Wanja; denn es ist doch besser, wenn ich es dir gleich erzähle. Setz dich hin! Siehst du, es ist eine so dumme, verdrießliche Geschichte...«

»Aber was gibt es denn?« »Dein Schurke von Fürst hat mich geärgert, schon vor zwei Wochen, und zwar dermaßen, daß ich noch jetzt wütend bin.«

»Was ist denn los? Stehst du denn mit dem Fürsten immer noch in Verbindung?«

»Na, siehst du wohl, da schreist du nun gleich: ›Was ist denn los?‹, als ob Gott weiß was passiert wäre! Du bist darin, lieber Freund Wanja, genauso wie meine Alexandra Semjonowna und wie dieses ganze unerträgliche Weibervolk überhaupt... Ich kann dieses Weibervolk gar nicht ausstehen!... Wenn eine Krähe schreit, dann heißt es gleich: ›Was ist denn los?‹«