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»Na, sei nur nicht böse!«

»Ich bin auch gar nicht böse; aber man muß doch alle Dinge mit bloßen Augen ansehen und nicht durch ein Vergrößerungsglas... Siehst du wohl!«

Er schwieg ein Weilchen, als ob er immer noch auf mich böse wäre. Ich unterbrach ihn nicht.

»Siehst du, lieber Freund«, begann er wieder, »ich bin da auf eine Spur geraten... das heißt, eigentlich bin ich gar nicht darauf geraten, und es war auch gar keine Spur da; aber es schien mir so... das heißt, ich habe aus gewissen Erwägungen beinahe geschlossen, daß Nelly... vielleicht... Na, kurz, daß sie die legitime Tochter des Fürsten ist.«

»Was sagst du?«

»Na, nun schreist du gleich: ›Was sagst du?‹ Mit solchen Leuten ist doch überhaupt gar nicht zu reden!« schrie er wütend mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Habe ich dir etwa etwas Positives gesagt, du leichtfertiger Mensch? Habe ich dir gesagt, sie sei bewiesenermaßen die legitime Tochter des Fürsten? Habe ich dir das gesagt?«

»Hör mal, mein Bester«, unterbrach ich ihn in starker Erregung, »schrei nur nicht so und sprich in bestimmten, klaren Ausdrücken! Dann werde ich dich schon verstehen. Du mußt dir doch selbst sagen, welche Wichtigkeit das haben würde, und welche Folgen...«

»Na ja, Folgen; aber woraus? Wo sind die Beweise? Ohne Beweise läßt sich nichts machen, und ich sage dir das alles jetzt nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Warum ich aber mit dir darüber zu reden angefangen habe, das werde ich dir später erklären. Es war eben notwendig. Schweig still und höre zu und vergiß nicht, daß ich dir das alles nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit sage... Also die Sache ist diese. Schon im Winter, noch ehe der alte Smith starb, begann der Fürst, gleich nach seiner Rückkehr aus Warschau, in dieser Angelegenheit Schritte zu tun. Das heißt, begonnen hatte er damit schon viel früher, schon im vorigen Jahr. Aber das Ziel seiner Nachforschungen war damals ein anderes gewesen als jetzt. Die Hauptsache war, daß er die Spur verloren hatte. Vor dreizehn Jahren hatte er sich in Paris von Smith' Tochter getrennt und sie im Stich gelassen; aber diese ganzen dreizehn Jahre über hatte er sie unaufhörlich im Auge behalten; er hatte gewußt, daß sie mit jenem Heinrich zusammen lebte, von dem Nelly heute erzählte; er hatte gewußt, daß sie Nelly bei sich hatte; er hatte gewußt, daß sie selbst krank war; na, kurz gesagt, er hatte alles gewußt; aber auf einmal hatte er die Spur verloren. Das war ihm, wie es scheint, bald nach Heinrichs Tod passiert, als Smith' Tochter nach Petersburg reiste. In Petersburg hätte er sie selbstverständlich bald ausfindig gemacht, unter welchem Namen auch immer sie nach Rußland zurückgekehrt sein mochte; aber die Sache war die, daß seine ausländischen Agenten ihn durch eine falsche Angabe irregeführt hatten; sie hatten ihn in den Glauben versetzt, sie wohne in irgendeinem abgelegenen süddeutschen Städtchen; sie hatten sich nämlich selbst aus Nachlässigkeit geirrt und eine Personenverwechselung begangen. So verging ein Jahr oder noch mehr. Nach Verlauf des Jahres kamen dem Fürsten Zweifeclass="underline" auf Grund einiger Tatsachen hatte es ihm schon früher so geschienen, als ob jenes nicht die richtige Person sei. Nun entstand die Frage: wo war die wirkliche Tochter Smith' geblieben? Und da schoß ihm der Gedanke durch den Kopf (so ganz von selbst, ohne jeden äußeren Anhalt), ob sie auch nicht in Petersburg sei. Während nun im Ausland die eine Nachforschung noch im Gange war, stellte er hier bereits eine andere an; aber er wollte sich offenbar nicht eines allzu offiziellen Weges bedienen und trat daher mit mir in Beziehung. Man hatte mich ihm empfohlen: ›Soundso‹, hatte man ihm über mich gesagt; ›er befaßt sich mit allerlei Geschäften; es ist eine besondere Liebhaberei von ihm‹, na und so weiter und so weiter...

Na, da setzte er mir denn nun die Sache auseinander; aber bei dieser Auseinandersetzung ließ der raffinierte Patron absichtlich vieles dunkel und undeutlich. Es kamen darin viele Fehler vor; manches wiederholte er mehrmals; einige Tatsachen stellte er gleichzeitig in verschiedener Weise dar... Na, natürlich, wenn einer auch noch so schlau ist, alle Fäden kann er doch nicht verbergen. Ich begann selbstverständlich damit, eine sklavische Ergebenheit und Herzenseinfalt zu fingieren; aber zufolge eines Grundsatzes, den ich mir ein für allemal zu eigen gemacht habe, und zugleich auch nach einem Naturgesetz (denn ein Naturgesetz ist es) fragte ich mich, erstens: hat er mir auch sein wirkliches Motiv ausgesprochen?; und zweitens: verbirgt sich nicht hinter dem ausgesprochenen Motiv ein anderes, unausgesprochenes? Denn im letzteren Fall (und das kannst wahrscheinlich auch du, lieber Sohn, mit deinem Dichterkopf begreifen) bestahl er mich geradezu; denn wenn die Erfüllung seines Wunsches bei dem einen Motiv, sagen wir einmal, einen Rubel wert war und bei dem anderen vier Rubel, so wäre ich doch ein Narr gewesen, wenn ich ihm für einen Rubel die Auskunft verschafft hätte, die in Wirklichkeit vier Rubel wert war. Ich begann aufzumerken und zu kombinieren und kam allmählich auf eine Spur. Das eine erfuhr ich von ihm selbst, das andere von diesem und jenem Unbeteiligten, wieder anderes brachte ich durch eigenes Nachdenken heraus. Du fragst vielleicht, was mich eigentlich auf den Gedanken gebracht habe, so zu verfahren. Ich antworte: schon allein der Umstand, daß der Fürst sich gar zu sehr interessiert zeigte und vor irgend etwas große Angst hatte. Denn in der Tat: was hatte er für Grund, ängstlich zu sein, hätte man meinen sollen. Er hatte seine Geliebte ihrem Vater entführt; sie war in andere Umstände gekommen, und er hatte sie sitzenlassen. Na, was war daran Ungewöhnliches? Das war ein hübscher, vergnüglicher Streich, weiter nichts. Deswegen braucht ein solcher Mensch wie der Fürst noch keine Furcht zu haben! Aber doch hatte er Furcht. Das war's, was mich argwöhnisch machte. Und da, lieber Freund, geriet ich auf einige sehr interessante Spuren, unter anderem durch jenen Heinrich. Er war ja allerdings gestorben; aber von einer seiner Cousinen (sie ist jetzt hier in Petersburg mit einem Bäcker verheiratet), die früher leidenschaftlich in ihn verliebt gewesen ist und ihn fünfzehn Jahre lang weitergeliebt hat, trotz ihres Gatten, des dicken Bäckers, dem sie ganz unversehens acht Kinder geboren hat − also von dieser Cousine erfuhr ich glücklich mittels verschiedener komplizierter Manöver eine wichtige Tatsache. Heinrich hatte ihr nach deutscher Gewohnheit lange, tagebuchartige Briefe geschrieben und ihr vor seinem Tod allerlei ihm gehörige Papiere übersandt. Das dumme Frauenzimmer hatte das, was diese Briefe Wichtiges enthielten, nicht verstanden; verstanden hatte sie darin nur die Stellen, an denen vom Mond, von ›meinem lieben Augustin‹ und ich glaube auch noch von Wieland die Rede war. Ich aber erhielt auf diese Weise wichtige Nachrichten und kam durch diese Briefe auf eine neue Spur. Ich erfuhr zum Beispiel etwas über den alten Smith, über das Kapital, das ihm seine Tochter entwendet hatte, und über die Art, wie es der Fürst in seine Hände zu bringen gewußt hatte; endlich trat mir unter all den Ausrufen, Weitläufigkeiten und schwärmerischen Redensarten in diesen Briefen der eigentliche Hauptpunkt entgegen; das heißt, Wanja, du verstehst: nichts Positives! Der verdrehte Heinrich hatte das absichtlich verheimlicht und sich nur Andeutungen entschlüpfen lassen; aber aus diesen Andeutungen, aus allem zusammengenommen, ergab sich für mich eine himmlische Harmonie: der Fürst war mit der Tochter Smith' verheiratet! Wo er sie aber geheiratet hat, wie und wann, im Ausland oder hier, wo die Dokumente darüber stecken, das blieb völlig im dunkeln. Ich riß mir vor Ärger die Haare aus, Wanjuscha, und suchte und suchte, Tag und Nacht.

Endlich machte ich den alten Smith ausfindig; aber da starb er plötzlich. Ich habe ihn nicht mehr lebend zu sehen bekommen. Da erfuhr ich auf einmal durch einen reinen Zufall, daß auf der Wassili-Insel eine Frau, die ich schon auf dem Strich hatte, gestorben sei; ich forschte nach − und da kam ich auf die richtige Spur. Ich eilte nach der Wassili-Insel und traf da, wie du dich erinnern wirst, mit dir zusammen. Damals brachte ich ziemlich viel heraus; in vieler Hinsicht half mir dabei auch Nelly...«