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»Höre mal«, unterbrach ich ihn, »glaubst du wirklich, daß Nelly weiß...«

»Was soll sie wissen?«

»Daß sie die Tochter des Fürsten ist?«

»Aber das weißt du ja selbst, daß sie die Tochter des Fürsten ist«, antwortete er, indem er mich ärgerlich und vorwurfsvoll ansah. »Wozu stellst du denn so unnütze Fragen, du Hohlkopf? Das ist nicht die Hauptsache; sondern die Hauptsache ist, daß sie nicht bloß einfach die Tochter des Fürsten, sondern seine legitime Tochter ist, verstehst du wohl?«

»Das ist unmöglich!« rief ich.

»Anfangs habe auch ich mir gesagt: »Das ist unmöglich!« und auch jetzt noch sage ich mir manchmaclass="underline" »Das ist unmöglich!« Aber das ist ja eben die Sache, daß es doch möglich und aller Wahrscheinlichkeit nach sogar wahr ist.«

»Nein, Masslobojew, das ist nicht so; da hat dich deine Phantasie zu weit geführt!« rief ich. »Sie weiß das nicht nur nicht, sondern sie ist auch tatsächlich keine legitime Tochter. Hätte denn die Mutter, wenn sie irgendwelche Dokumente in Händen gehabt hätte, ein so jammervolles Dasein, wie sie es hier in Petersburg hatte, ertragen und überdies ihr Kind als bettelarme Waise zurückgelassen? Wie kannst du das glauben? Das ist nicht möglich!«

»Das habe ich ebenfalls gedacht, das heißt, das ist mir auch jetzt noch ein reines Rätsel. Aber es ist doch wieder zu erwägen, daß Smith' Tochter das unverständigste, verrückteste Frauenzimmer der ganzen Welt war. Sie war ein ganz eigentümliches Wesen; vergegenwärtige dir doch nur alle Umstände: das ist eben bei ihr Romantik, eine dumme Verstiegenheit im tollsten, sinnlosesten Maß. Nimm nur das eine: Zuerst hat sie von einem Himmel auf Erden geträumt, die Menschen für Engel gehalten, sich unsinnig verliebt und grenzenlos vertraut; und ich bin überzeugt, sie hat nicht darüber den Verstand verloren, daß er aufhörte, sie zu lieben, und sie im Stich ließ, sondern darüber, daß sie sich in ihm getäuscht hatte, daß er fähig gewesen war, sie zu täuschen und im Stich zu lassen, darüber, daß ihr Engel sich in ein schmutziges Subjekt verwandelt und sie gemein und unwürdig behandelt hatte. Ihre romantische, unverständige Seele ertrug diese Verwandlung nicht. Und dazu kam nun noch die Beleidigung: du verstehst, welche Beleidigung ich meine? Erschrocken und vor allen Dingen von Stolz und grenzenloser Verachtung erfüllt, sagte sie sich von ihm los. Sie zerriß alle Bande, die sie an ihn knüpften, zerriß auch möglicherweise alle Dokumente; sie ließ geringschätzig das Geld fahren, vergaß dabei sogar, daß es nicht ihr, sondern ihrem Vater gehörte, und verzichtete darauf, als wenn es Schmutz oder Staub wäre, um den Menschen, der sie betrogen hatte, durch ihre Seelengröße zu erdrücken, um ihn für einen Dieb erklären zu können und das Recht zu haben, ihn lebenslänglich zu verachten; und wahrscheinlich hat sie damals auch gesagt, sie halte es für eine Schande, seine Frau zu heißen. Es gibt bei uns keine Ehescheidung; aber de facto waren sie geschieden; und da hätte sie ihn nachher um Hilfe anflehen sollen? Erinnere dich, daß sie in ihrer Geistesgestörtheit noch auf dem Totenbett zu Nelly gesagt hat:

»Geh nicht zu ihnen hin, arbeite, geh lieber zugrunde; aber geh nicht zu ihnen hin, wer auch immer dich ruft!« Also dachte sie auch da noch, daß man ihre Tochter rufen und diese somit Gelegenheit haben werde, sich noch einmal zu rächen, indem sie den Rufenden durch ihre Verachtung zu Boden drücke; kurz gesagt, sie nährte sich statt von Brot von ihren haßerfüllten Träumereien. Vielmals habe ich auch Nelly auszufragen versucht, lieber Freund; selbst jetzt probiere ich es noch manchmal. Gewiß, ihre Mutter war krank, sie hatte die Schwindsucht, und das ist eine Krankheit, die in besonderem Maße die Eigenschaft besitzt, Erbitterung und Reizbarkeit zu erzeugen und zur Entwicklung zu bringen; aber doch weiß ich durch eine Gevatterin bei der Bubnowa bestimmt, daß sie einen Brief an den Fürsten geschrieben hatte: jawohl, an den Fürsten, an den Fürsten selbst...«

»So hat sie einen Brief geschrieben! Und ist der Brief in seine Hände gelangt?« rief ich ungeduldig.

»Das ist es ja eben, daß ich nicht weiß, ob er in seine Hände gelangt ist! Einmal hatte Smith' Tochter mit dieser Gevatterin eine Verabredung getroffen (du erinnerst dich wohl, bei der Bubnowa, das geschminkte Mädchen? Jetzt ist sie im Arbeitshaus) und wollte durch sie diesen Brief hinschicken; sie hatte ihn auch schon geschrieben und dem Mädchen eingehändigt, ließ ihn sich dann aber wieder zurückgeben; das war drei Wochen vor ihrem Tod... Das ist eine bedeutsame Tatsache: Wenn sie sich einmal bereits dazu entschlossen hatte, ihn abzusenden, so kann sie ihn, wenn sie ihn auch damals zurücknahm, doch ein andermal abgesandt haben. Und so weiß ich denn nicht, ob sie den Brief abgesandt hat oder nicht; aber ich habe einen bestimmten Grund zu der Annahme, daß sie ihn nicht abgesandt hat, weil der Fürst, wie es scheint, sichere Kenntnis davon, daß sie sich in Petersburg befinde und wo genauer, erst nach ihrem Tod erlangt hat. Darüber hat er sich gewiß sehr gefreut!«

»Ja, ich erinnere mich, daß Aljoscha von einem Brief sprach, über den sein Vater sich sehr gefreut habe; aber das war erst vor kurzem, erst vor ungefähr zwei Monaten. Nun, erzähle doch weiter; wie stehst du dich denn mit dem Fürsten?«

»Wie ich mich mit dem Fürsten stehe? Sieh maclass="underline" ich habe die vollste moralische Überzeugung und keinen positiven Beweis, keinen einzigen, wie sehr ich mich auch abgemüht habe. Eine kritische Lage! Ich müßte im Ausland Nachforschungen anstellen; aber wo im Ausland? Das ist mir ganz schleierhaft. Ich sagte mir natürlich, daß mir ein Kampf bevorstehe, daß ich den Fürsten nur durch Andeutungen einschüchtern könne, indem ich so täte, wie wenn ich mehr wüßte, als ich tatsächlich weiß...«

»Nun, und das Resultat?«

»Er ließ sich nicht täuschen; aber er bekam es doch mit der Angst, und zwar so sehr, daß er auch jetzt noch ängstlich ist. Wir haben mehrere Zusammenkünfte gehabt: er stellte es so dar, als sei ihm viel Leid widerfahren! Einmal begann er von selbst, mir in freundschaftlicher Weise alles zu erzählen. Das war damals, als er dachte, ich wüßte alles. Er erzählte sehr geschickt, offenherzig und mit Gefühl − natürlich log er schamlos. Eben daran konnte ich ermessen, wie sehr er mich fürchtete. Ich stellte mich ihm gegenüber eine Zeitlang so an, als sei ich der schrecklichste Einfaltspinsel, der sich dabei einbilde, wunder wie schlau zu manövrieren. Ich machte ungeschickte Einschüchterungsversuche, das heißt absichtlich ungeschickte, warf ihm absichtlich Grobheiten an den Hals, fing an, ihm zu drohen − alles, damit er mich für einen Einfaltspinsel halten und infolgedessen unachtsamerweise ein Wort zu viel über die Lippen springen lassen möchte. Aber er durchschaute mich, der Schuft! Ein andermal stellte ich mich betrunken; aber es kam wieder nichts Gescheites dabei heraus: er ist eben zu schlau! Mach dir das nur klar, Wanjuscha: ich mußte vor allen Dingen in Erfahrung bringen, in welchem Grad er mich fürchte, und zweitens bei ihm die Vorstellung erwecken, daß mir mehr bekannt sei, als tatsächlich der Fall war.«

»Nun, und was war schließlich das Resultat?«

»Das Resultat war Null. Ich brauchte Beweise, und Beweise hatte ich keine. Nur eines sah er ein: daß ich ihn doch zum Mittelpunkte eines öffentlichen Skandals machen konnte. Ein solcher Skandal war das einzige, wovor er sich fürchtete; und davor fürchtete er sich um so mehr, da er hier Beziehungen anzuknüpfen begonnen hat. Du weißt doch wohl, daß er sich verheiraten will?«

»Nein...«

»Im nächsten Jahr! Eine Braut hat er sich schon im vorigen Jahr ausgesucht; sie war damals erst vierzehn Jahre alt; jetzt ist sie schon fünfzehn; ich glaube, sie geht noch im Kinderschürzchen, das arme Ding. Die Eltern sind darüber selig! Begreifst du nun, wieviel ihm daran gelegen war, daß seine Frau starb? Die Braut ist eine Generalstochter und schwerreich; es ist ein gehöriger Batzen Geld vorhanden! Du und ich, Wanjuscha, werden niemals solche Partien machen... Aber was ich mir in meinem ganzen Leben nicht verzeihen werde«, rief Masslobojew und schlug dabei heftig mit der Faust auf den Tisch, »das ist, daß er mich eingewickelt hat, vor vierzehn Tagen... der Schurke!«