Выбрать главу

— Na, daß du dich ehrlich freuen kannst. Was das Mechanische anlangt, sind deine Zähne nach nahezu dreißig Jahren noch immer tadellos. Wir könnten uns glücklich schätzen, wären wir nur halb so unsterblich.

— So ein Quatsch. Ich finde, ich hätte mir wünschen dürfen, daß sie noch ein paar Jahre halten.

Alma versuchte ihm nüchtern und in kurzen Worten beizubringen, einerseits was es mit den Furchen, andererseits was es mit den diversen Belägen auf sich habe, bräunlichen Ablagerungen in allen Schattierungen, die vorne wie Korrosionsflecken aussahen und sich in den hinteren Regionen mit den Stockzähnen zu einer einzigen Masse verklumpt hatten. Ihren Widerwillen hielt sie aus dem, was sie sagte, heraus. Trotzdem trugen ihr ihre Deutungen mitleidige Blicke, abschätzige Handbewegungen und gönnerhafte Repliken ein, die alle auf dasselbe hinausliefen, daß in ihrem Kopf nicht allzuviel los sein könne.

Das ist überhaupt so eine fixe Idee von ihm. Alles, was sie sagt, ist am Ende lächerlich oder banal oder überdreht. Davon verstehst du nichts, hört sie dann meistens. Und dazu dieses siebengescheite Minister-Getue. Immer das gleiche. Wie oft schon. Sie reagiert gar nicht mehr darauf, denn jede Widerrede wird mit dem unweigerlichen Standardargument quittiert, daß sie (Alma) an Verfolgungswahn leide. Was soll’s. Es lohnt sich nicht. In so eine Rolle wächst man mit der Zeit hinein. Sie begnügt sich damit, es sich selbst zu erklären, daß Richards Haltung eine Spezialität der Männer ist, die noch vor dem ersten Krieg geboren sind, nicht nur von denen, aber von denen ganz besonders. Es hat mit dem zu tun, was diese Männer als Buben in den sogenannten guten Häusern und in der Schule gelernt haben: Daß Frauen haushalten sollen, ab und zu im Bett funktionieren (aber nicht zu oft und wenn, dann im Schweinsgalopp) und daß zum Kinderkriegen und — großziehen Intelligenz nicht erforderlich ist, weil das nötige Hirnschmalz durch die sporadische Anwesenheit des Haushaltsvorstandes eingebracht wird. Oder durch reine Gedankenübertragung, da der Mann mit den Kindern ja ohnehin nicht redet. Was aber Entscheidungen, Finanzen und technische Dinge anbelangt, haben Frauen das Maul zu halten, ja. Klappe. Daß Alma das viel zu oft getan und damit mehr als nur einen Fehler begangen hat, merkte sie erst, als es zu spät war. Das erste Mal 1938, kurz nach dem Anschluß, als Richard aus nie ganz klargewordenen Gründen das Wäschegeschäft ihrer Mutter an eine Handelskette abgab und den Namen Arthofer aus dem Register streichen ließ, obwohl zur selben Zeit auch die vielen jüdischen Geschäfte zur Übernahme gestellt wurden und das Gerangel um die besseren Lagen begann. Daß Richard weder zu den neuen Herren noch zur reichsdeutschen Strumpfindustrie wechseln wollte, hat Alma ihm nicht so recht abgenommen. Hinter eventuelle andere Gründe ist sie allerdings auch nie gekommen. Was da bloß dahintersteckte? Irgendein verschwiegener Ausdruck von Eigensinn, der sich mit einer beeindruckenden Zeitverzögerung von fast zehn Jahren wenigstens für Richard bezahlt gemacht hat. Spät, aber doch. Richard mußte nie für die Jahre vor 1945 Rechenschaft ablegen, als es um seine Karriere ging. Lediglich Almas Interessen blieben auf der Strecke, wenn auch der Verkauf des Wäschegeschäfts durch den fast gleichzeitigen Erwerb von Dr. Löwys Bienenhaus teilweise kompensiert wurde, eine neue Beschäftigung für die Gattin, ohne besondere Ansprüche und noch dazu im eigenen Garten.

— Diese Zähne sind gebrochen, das ist schade, sie sind erledigt, sagte Richard mit wichtiger Miene.

— Sind sie nicht. Aber von mir aus kannst du sie trotzdem gerne der Mission vermachen.

— Dein Spott ist genau das, was mir fehlt. Gib sie mir zurück. Ich werde mich selbst drum kümmern.

— Warum kommst du zu mir, wenn dich meine Meinung nicht interessiert?

— Weil ich, wie die Dinge liegen, keine guten Ratschläge, sondern einen Termin beim Zahnarzt brauche.

— Der wird dir auch keinen anderen Bescheid geben als ich. Es gibt keine Sprünge. Zeig mir, wo sind sie?

— Sprünge halt.

Richard streckte weit die offene Hand aus, während er die andere, wie schon die ganze Zeit, vor den karpfenhaft eingefallenen Mund hielt.

— Gib sie mir zurück, du verstehst nichts davon.

Alma war eigenartig berührt, wie sie Richard dastehen und aufrichtige Zweifel äußern sah, daß ausgerechnet seine Frau ihm bei seinen Problemen behilflich sein werde. Da er sich so stur und unfreundlich gebärdete, hatte auch sie wenig Grund, netter zu sein. Er soll sich gefälligst zusammenreißen. Aber gleichzeitig erinnerte sie sich daran, was für ein armer Kerl er war und daß er die Dinge niemals mehr so sehen würde wie sie. Die Zeit des Begreifens war für ihn vorbei, statt dessen gab es jetzt Verunsicherung und, was schwerer wog, Zorn über diese Verunsicherung. Alma hatte schon oft die Beobachtung gemacht, daß in Situationen, in denen Richard Schwäche zeigen mußte oder wenigstens nicht auftrumpfen konnte, es meist nicht lange dauerte, bis er innerlich die Fäuste ballte. Die allerersten Postkarten, die Peter an Ingrid geschickt hatte und die in Morsezeichen abgefaßt waren, ein arabisch anmutendes Gewimmel aus Strichen und Punkten, kurz lang kurz, kurz kurz, lang kurz kurz, lang kurz lang, lang lang kurz. Viel konnte nicht draufgestanden haben, liebe Grüße aus Soundso das Wetter hier ist soundso, aber es hatte komischer ausgesehen als nur liebe Grüße aus Soundso das Wetter hier ist soundso.

(Und das in einem Land, in dem Postkartengrüße aus höchstens fünf Worten jahrzehntelang mit einer Portoermäßigung belohnt wurden, als ob die Wörter auch für den Postboten Gewicht hätten, als ob man an Staatsbürgern interessiert sein müsse, die für eine Ersparnis von zwei Schillingen darauf verzichten, mehr mitzuteilen als nur Mama, mir geht es gut!)

Richard hatte sich bei den für ihn kryptischen Zeichen weiß der Kuckuck was gedacht: Jemand, der eine solche Idee hat, kommt auch auf andere Ideen. Mal angenommen. Heimlichkeiten. Schlurfige Späße. Was kann so einer wollen? Noch ehe Peter sich persönlich vorstellen kam, war er bei Richard unten durch. Ingrid, ganz Tochter des Vaters, stellte ebenfalls auf stur. Der Rest war dann Draufgabe.

Alma reichte Richard seine Zähne in die ausgestreckte Hand. Während er sich diese in einer kruden Mischung aus Skepsis und Gier klappernd in den Mund schob, winkte sie ab, ruhig:

— Laß gut sein. Ich werde Dr. Wenzel anrufen.

Sie sagte nichts weiter, sah Richard noch einen Moment lang an, ohne Groll, sie wusch sich die Hände sehr gründlich mit einem kleinen Stück zitronenduftender Hirschseife. Sie dachte an gelbe Seerosen, die auf dem Wasser eines Zahnglases schwimmen, als kleine Idee für einen Roman, wie sie es um Ostern herum gelesen hatte, ganz nett, wirklich recht nett. Da war ein Glas mit dritten Zähnen von Wasserpflanzen überwachsen worden. Doch schon beim Lesen hatte Alma an Richard denken müssen, und auch während des Händewaschens sah sie einen Augenblick lang schleimige Algen, Muschelbewuchs und langsam sich setzenden Fischkot. Sie schüttelte vor sich selbst den Kopf. Brr! Alles, was recht ist. Befand nach kurzem Überlegen aber, entschuldigt zu sein, einerseits wegen Richards Ahnungslosigkeit, daß die Zähne gereinigt gehören, andererseits weil auch sie selbst sich nach solchen Gesprächen immer fühlte, als hätte sie sich das Gehirn verstaucht.

— Ich kann mit einem Termin rechnen? fragte Richard.

Alma nickte. Sie trocknete sich zögernd die Hände an einem Geschirrtuch ab, und ehe sie die Zubereitung des Mittagessens wiederaufnahm, blickte sie Richard hinterher. In seiner knieweichen Manier schlurfte er aus der Küche. Es schien ihr, der Ausgang der Diskussion befriedige ihn und er schöpfe daraus eine gewisse Genugtuung. Soll er. Dabei hatte sie ihm den Namen des Hausarztes statt den des Zahnarztes genannt, es schien ihn nicht zu stören.

Am darauffolgenden Tag war Richard um halb zehn noch immer nicht aufgestanden. Alma erinnerte ihn mit Klopfen an seine Tür an den Arzttermin, da sagte er, er empfinde für Ärzte keine Anhänglichkeit, die würden ihm ja doch nur bescheinigen, daß er zum alten Eisen zählt. Auf Almas Nachfragen rückte er damit heraus, daß er im Bett bleiben wolle, er fühle sich nicht besonders. Nähere Angaben zur Art dieses Unwohlseins machte er nicht, und er ließ sich auch nicht dazu bewegen, seine Tür zu öffnen.