Unten hörte man Eisen klirren – sie schoben die Riegel vor und bereiteten sich zur Nacht. Die Köchin betete zum heiligen Micky, er möge ihr doch irgendeinen Mann schicken, nur ein bißchen Stolz und Verständnis für sie sollte er haben. Der alte Muga gähnte und beschrieb dabei mit dem Daumen kleine Kreise in der Luft. Die Diener tranken in der Küche ihr Abendbier und klatschten, was das Zeug hielt. Der Knabe Uno aber blitzte sie aus bösen Augen an und schalt sie wie ein Erwachsener: »Er wird euch schon noch die Zunge kratzen, ihr Stuten …«
Rumata trat vom Fenster zurück und begann im Salon auf und ab zu gehen. Das ist aussichtslos, dachte er. Keine Kraft der Welt reicht aus, um sie aus dem gewohnten Kreis ihrer Sorgen und festgefahrenen Vorstellungen herauszureißen. Man könnte ihnen alles geben. Man kann sie in die modernsten spektroakustischen Häuser übersiedeln und ihnen die Jonenprozedur beibringen – sie werden trotzdem am Abend in der Küche zusammenhocken, Karten spielen bis spät in die Nacht und über den Nachbarn losziehen, der seine Frau schlägt. Und es wird für sie keinen schöneren Zeitvertreib geben. Hier hat Don Kondor recht: Reba ist eine Laus, ein Nichts im Vergleich zu der erdrückenden Fülle von Traditionen, strengen Regeln, geheiligt durch die Jahrhunderte, altbewährt, unumstößlich und dem Dümmsten der Dummköpfe vertraut. Sie befreien von der Notwendigkeit, zu denken und sich für etwas zu interessieren. Don Reba aber kommt vielleicht nicht einmal in den Lehrstoff der Oberklassen: »Ein kleiner Abenteurer in der Epoche der Festigung des Absolutismus.«
Don Reba, Don Reba! Er ist nicht hochgewachsen, aber auch nicht klein, nicht zu dick, aber auch nicht ganz mager, er hat kein dichtes Haar, ist aber bei weitem nicht glatzköpfig. Seine Bewegungen sind nicht energisch, aber auch nicht langsam. Sein Gesicht vergißt man sofort wieder, tausend andere gleichen ihm aufs Haar. Er ist höflich, galant zu den Damen, sogar ein aufmerksamer Gesprächspartner, der allerdings keine Gedankenblitze beisteuert …
Vor drei Jahren tauchte er aus irgendeinem verschimmelten Keller der Hofkanzlei auf, ein kleiner, unscheinbarer Beamter … Damals war er noch unterwürfig und recht blaß im Gesicht, manchmal sogar ein wenig graublau. Kurz darauf wurde der damalige Erste Minister plötzlich verhaftet und hingerichtet, in den Folterkammern kamen hohe Beamte ums Leben, die vor Schreck den Verstand verloren und nicht einmal wußten, worum es ging. Und buchstäblich auf ihren Leichen wuchs ein riesiger fahler Pilz: dieses hartnäckige erbarmungslose Genie der Mittelmäßigkeit.
Er ist ein Niemand, und er kommt von nirgendwoher. Das ist nicht ein brillanter Kopf im Regime eines schwachen Herrschers, wie man sie aus der Geschichte kennt, auch kein schreckeneinflößender großer Mensch, der sein ganzes Leben der Konsolidierung des Landes im Namen der Autokratie widmet. Er ist nicht einmal ein gieriger Parasit, der außer Gold und Weibern nichts anderes im Sinn hat, der in seiner Machtgier blindlings nach links und rechts zuschlägt und herrscht, um zu töten. Insgeheim erzählt man sich sogar, daß er überhaupt nicht Don Reba sei, daß Don Reba ein ganz anderer Mensch ist, jener aber, weiß Gott, vielleicht ein Werwolf, sein eigener Doppelgänger oder irgendein Wechselbalg … Was immer er auch ausklügelte, alles ging schief. Er hetzte zwei einflußreiche Fürstenhäuser des Reichs gegeneinander auf, um sie zu schwächen und seinerseits einen Frontalangriff gegen die Barone führen zu können. Aber die beiden Häuser versöhnten sich, riefen beim Klang von Sektpokalen ewige Bruderschaft aus und raubten dem König ein schönes Stück Land, das seit Menschengedenken den Königen Totz von Arkanar gehört hatte. Er erklärte Irukan den Krieg, führte selber die Armee zur Grenze, ließ sie in den Sümpfen ersaufen oder verlor sie im Wald, überließ sie schließlich ihrem Schicksal und floh zurück nach Arkanar. Dank der Bemühungen Don Hugs – von denen er natürlich nicht die leiseste Ahnung hatte – gelang es ihm, dem Herzog von Irukan einen Frieden abzuringen, allerdings um den Preis zweier befestigter Grenzstädte. Dann wieder war der König gezwungen, seine ohnehin schon halbleere Staatskasse bis auf den Boden leerzukratzen, um mit den Bauernaufständen fertig zu werden, die das ganze Land erfaßt hatten. Für solche Streiche wäre jeder andere Minister im Turm der Fröhlichkeit an den Füßen aufgehängt worden, Don Reba aber gelang es immer, irgendwie an der Macht zu bleiben. Er verfügte, die Ministerien für Bildung und Moral aufzulassen, gründete das Sicherheitsministerium – »zum Schutze der Krone«, wie es hieß –, entfernte die einheimische Aristokratie und einige Gelehrte aus den Schlüsselstellen, stieß schließlich die gesamte Volkswirtschaft völlig um, schrieb einen Traktat über das Rindviehhafte Wesen der Landwirtschaft und organisierte vor einem Jahr eine »Leibgarde«, die Grauen Rotten. Hinter Hitler hat das Kapital gestanden, dachte Rumata, hinter Don Reba aber steht niemand, und es ist klar, daß ihn die Sturmowiki eines Tages totschlagen werden wie eine Fliege. – Aber er drehte und wendete sich weiter, beging eine Dummheit nach der andern, befreite sich wieder aus dem Netz, das ihn zu erdrücken drohte, betrog sich täglich selbst und war nur von dem einen wahnwitzigen Wunsch beherrscht: Alle Kultur zu vernichten. Wie Waga Koleso hatte er keine Vergangenheit. Vor zwei Jahren noch hatte jeder aristokratische Hofparasit mit Verachtung von ihm als einem »nichtswürdigen Gauner, der den König betrügt«, gesprochen. Dafür aber konnte man jetzt jeden beliebigen Edlen befragen, und jeder würde sich als Verwandter des Sicherheitsministers mütterlicherseits bezeichnen.
Jetzt scheint er gerade Budach zu benötigen. Und schon wieder eine Ungeschicklichkeit. Wieder eine grobe Finte. Budach ist ein Bücherwurm. Ins Loch mit Budach. Mit Geschrei und Aufwand, damit es alle wissen. Aber es gibt kein Geschrei und kein Aufsehen. Also braucht er Budach lebend? Wozu? Reba wird doch nicht so dumm und einfältig sein zu hoffen, daß er Budach zwingen könnte, für ihn zu arbeiten? Vielleicht ist er aber doch so dumm? Vielleicht ist Don Reba bloß ein dummer und erfolgreicher Intrigant, der selber nicht weiß, was er will, und der vor aller Augen mit pfiffigem Gesicht den Dummen mimt? Es ist zum Lachen, drei Jahre lang beobachte ich ihn schon und bin noch immer nicht klug aus ihm geworden. Übrigens, wenn er mich beobachtete, würde es ihm genauso gehen. Aber es ist ja alles möglich, das ist das Lustige daran. Die Basistheorie konkretisiert ja nur die grundsätzlichen Aspekte der psychologischen Zielgerichtetheit; in Wirklichkeit aber gibt es von diesen Aspekten so viele, wie Menschen auf der Erde leben, und an die Macht kommen kann ein x-beliebiger! Zum Beispiel ein Kerl, der sein ganzes Leben damit zubrachte, seinen Nachbarn eins auszuwischen: Er spuckte in fremde Suppentöpfe und warf zerstoßenes Glas in fremdes Heu. Man fegt ihn natürlich vom Thron, aber er findet inzwischen Zeit genug, seine Verachtung für die ganze Menschheit deutlich zum Ausdruck zu bringen, Schaden anzurichten, wo es nur möglich ist, und hat seine Freude daran. Und es kümmert ihn auch kein bißchen, daß in der Geschichte kein Hahn nach ihm krähen wird, und es berührt ihn ebensowenig, daß seine fernen Nachkommen sich den Kopf darüber zerbrechen werden, wie sein Gehaben in der weiterentwickelten Theorie der historischen Gesetzmäßigkeiten unterzubringen sei. Da fiel Rumata plötzlich Dona Okana ein. Also entschließ dich, dachte er. Fang gleich damit an. Wenn sich ein Gott entschließt, reinen Tisch zu machen, so soll er einmal nicht darauf achten, daß er saubere Finger habe … Bei dem Gedanken, was ihm bevorstand, fühlte er Übelkeit aufsteigen. Aber das war besser als töten. Lieber Dreck als Blut. Auf Zehenspitzen, um Kyra nicht zu wecken, ging er ins Herrenzimmer und kleidete sich um. Er wendete eine Zeitlang den Reif mit dem Sender in den Händen hin und her, legte ihn dann aber entschieden in die Tischlade. Dann steckte er sich eine weiße Feder hinters rechte Ohr, das Symbol leidenschaftlicher Liebe, gürtete die beiden Schwerter um und warf sich seinen besten Mantel über. Als er unten war und das Tor entriegelte, dachte er: Wenn Don Reba davon erfährt, ist es das Ende von Dona Okana. Aber zum Umkehren war es schon zu spät.
4
Die Gäste waren versammelt, Dona Okana aber war noch nicht erschienen. Um ein goldenes Imbißtischchen scharten sich wie auf einem Wandgobelin die Häupter der königlichen Garde, die wegen ihrer Duelle und Liebesabenteuer berühmt waren. Beim Trinken beugten sie sich graziös vor und streckten ihre dicken Hintern von sich. Neben dem Kamin kicherten dünnblütige Damen, die sich durch überhaupt nichts auszeichneten und die daher Dona Okana als Vertraute beigegeben waren. Sie saßen in einer Reihe auf kleinen, niedrigen Chaiselongues, und vor ihnen bewegten sich drei betagte Herren auf dünnen, unaufhörlich tänzelnden Beinen, berüchtigte Salonlöwen aus der Regierungszeit des vorigen Königs, die letzten Kenner längst vergessener Hofanekdoten. Alle wußten, daß ohne diese alten Herrn ein Salon kein Salon war. In der Mitte des Saales stand, die Stiefel breit gespreizt, Don Ripat, Leutnant der Grauen Galanterierotte – und ein kluger und verläßlicher Agent Rumatas. Er hatte einen prächtigen Schnurrbart und war völlig ohne Moral. Seine großen roten Hände in den Ledergürtel gesteckt, hörte er Don Tameo zu, der völlig konfus und umständlich ein Projekt zur Belebung des Handels auf Kosten der Bauern vorzutragen versuchte, und von Zeit zu Zeit richtete er seinen Schnurrbart auf Don Sera, der von Wand zu Wand tappte und offenbar eine Tür suchte. In einer Ecke saßen, wachsame Blicke werfend, zwei berühmte Porträtmaler und verschlangen einen Braten von der Größe eines mittleren Krokodils, und neben ihnen in der Fensternische saß eine ältere Frau in Schwarz – die Anstandsdame, die Don Reba Dona Okana beigegeben hatte. Mit unbeweglicher Miene blickte sie streng vor sich hin, nur manchmal fuhr sie unerwartet mit dem ganzen Körper nach vorn. Ein wenig abseits von den übrigen unterhielten sich eine Person königlichen Blutes und der soanische Botschaftssekretär beim Kartenspiel. Die königliche Person mogelte, und der Sekretär lächelte geduldig dazu. Im Salon war er der einzige Mensch, der sich mit etwas Ernsthaftem beschäftigte: Er sammelte Material für die laufende Bespitzelung durch die Diplomaten.