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Was den Dichter Gur betrifft, sonahm dieser anläßlich einer Audienz bei Don Reba unter vier Augen zur Kenntnis, daß der Prinz von Arkanar sich nicht mit der ihm feindlich gesinnten Sippschaft befreunden könne. Er warf auf dem Königlichen Platz seine Bücher eigenhändig ins Feuer. Seither stand er nun immer, wenn der König auszufahren geruhte, gebückt und mit ausdruckstotem Gesicht in der Menge der Höflinge, um auf einen unmerklichen Wink Don Rebas hin mit Gedichten ultrapatriotischen Inhalts hervorzutreten, die allerdings allgemein nur Langeweile und Gähnen bewirkten. In den Theatern wurde jetzt immer dasselbe Stück aufgeführt: Der Untergang der Barbaren, oder Marschall Totz, König Pitz von Arkanar. Die Sänger brachten jetzt allgemein nur noch Konzerte für Gesang und Orchester. Die am Leben gebliebenen bildenden Künstler malten Aushängeschilder. Zwei oder drei ganz Schlauen gelang es übrigens, sich am Hof zu halten, und sie malten jetzt Porträts des Königs mit Don Reba, wobei Don Reba den König immer ehrerbietig stützte (die Charakterisierung war nicht gerade ermutigend: Der König wurde stets als zwanzigjähriger strahlender Jüngling im Harnisch dargestellt, Don Reba als reifer Mann mit vielsagendem Gesichtsausdruck). Ja, am arkanarischen Hof wurde es langweilig. Nichtsdestoweniger füllten die Magnaten, die edlen Dons ohne Beschäftigung, die Gardeoffiziere und die leichtsinnigen Schönen der Dons – die einen aus Eitelkeit, die andern aus Gewohnheit, andere wieder aus Furcht – so wie früher jeden Morgen die Empfangssalons im Palast. Ehrlich gesagt, viele bemerkten überhaupt keine Veränderungen. An den Konzerten und Dichterlesungen früherer Zeiten hatten sie am meisten die Pausen geschätzt, wo sich die edlen Dons über die Vorzüge gewisser Jagdhundrassen unterhielten oder sich Witze erzählten. Sie waren noch fähig zu einem nicht allzulange dauernden Disput über die Eigenschaften der Wesen im Jenseits, aber schon die Fragen über die Form des Planeten oder die Ursache von Epidemien wurden als unanständig erachtet. Einige Wehmut rief bei den Gardeoffizieren das Verschwinden der Maler hervor, unter denen einige Meister waren, die die nackte Natur abgebildet hatten … Rumata erschien ein wenig verspätet im Palast. Das Lever hatte schon begonnen. In den Zimmern drängte sich das Volk, man hörte die gereizte Stimme des Königs, und es ertönten die melodischen Kommandos des Zeremonienministers, der über die Bekleidung seiner Majestät wachte. Die Höflinge besprachen im allgemeinen die Ereignisse der letzten Nacht. Ein Verbrecher mit dem Gesicht eines Irukaniers war in der Nacht in den Palast eingedrungen, hatte die Wache erschlagen und sich ins Schlafgemach seiner Königlichen Hoheit geschlichen. Dort wurde er angeblich von Don Reba persönlich entwaffnet und festgenommen, und am Weg zum Turm der Fröhlichkeit durch eine vor lauter Untergebenheit in Raserei geratene Meute von Patrioten in Stücke gerissen. Das war bereits der sechste Attentatsversuch im Lauf eines Monats, und daher rief die Tatsache des Anschlags selbst keinerlei Interesse mehr hervor. Man besprach nur die Details. Rumata erfuhr, daß sich seine Majestät beim Anblick des Mörders auf seiner Liegestatt aufrichtete, mit seinem Körper die allerschönste Dona Midara deckte und die historischen Worte sprach: »Hinweg mit dir, Halunke!« Die meisten glaubten die historischen Worte gern, nahmen aber an, der König habe den Mörder für einen Lakaien gehalten. Und alle stimmten darin überein, daß Don Reba wie immer auf der Hut gewesen und im Nahkampf unüberwindlich sei. Rumata stimmte mit ein paar eleganten Floskeln dieser Meinung zu und erzählte als Antwort eine eben erst ersonnene Geschichte davon, wie Don Reba von zwölf Räubern überfallen worden war: drei davon erledigte er auf der Stelle, und die übrigen schlug er in die Flucht. Die Geschichte wurde mit großem Interesse und reger Zustimmung aufgenommen, worauf Rumata wie beiläufig bemerkte, daß er diese Geschichte von Don Sera gehört habe. Der Ausdruck des Interesses verschwand sogleich von den Gesichtern der Anwesenden, denn es war jedem bekannt, daß Don Sera ein berüchtigter Dummkopf und Lügner war. Über Dona Okana sprach keiner ein Wort. Darüber wußten sie entweder noch nichts, oder sie gaben sich den Anschein, nichts zu wissen. Liebenswürdigkeiten verstreuend und den Damen die Hände drückend, zwängte sich Rumata Schritt für Schritt bis in die vorderen Reihen der aufgetakelten, parfümierten und reichlich schwitzenden Menge durch. Die Edlen des Reiches unterhielten sich halblaut: »Ja, ja, eben diese Stute. Sie wollte sich verbarrikadieren, aber der Teufel soll mich holen, wenn er sie nicht noch am selben Abend an Don Ke verspielt hat …« – »Was ihre Hüften betrifft, mein edler Don, so hatten sie ganz außergewöhnliche Formen. Wie heißt das doch bei Zuren … hm, hm, hm … Berge von kühlem Schaum … hm, hm, hm … nein, Hügel kühlen Schaums … Jedenfalls mächtige Hüften.« – »Da öffne ich leise das Fenster, nehme den Dolch zwischen die Zähne und, stellen Sie sich vor, mein Freund, ich spüre, wie das Gitter über mir nachgibt …« – »Ich fuhr ihm mit dem Schwertgriff über die Zähne, so daß sich dieser graue Hund zweimal um seinen eigenen Kopf drehte. Sie können ihn übrigens bestaunen, dort steht er mit einem solchen Blick, als habe er ein Anrecht darauf …« – » … und Don Tameo spuckte auf den Boden, rutschte aus und plumpste mit dem Kopf voran in den Kamin …« – » … da sagt der Mönch zu ihr: erzähl mir doch deinen Traum … ha ha ha!…«

Widerlich, dachte Rumata. Wenn mich jetzt jemand umbringt, wird diese Kolonie von Einfaltspinseln das letzte sein, was ich in meinem Leben sehe. – Nur die Schlagfertigkeit … mich kann nur Schlagfertigkeit retten. Mich und Budach. Den Moment erfassen und plötzlich zuschlagen. Überraschend zugreifen, daß er keine Zeit hat, auch nur den Mund zu öffnen! Mich nicht umbringen lassen, ich habe keinen Grund zu sterben!

Gemessenen Schritts ging er auf die Tür des Schlafgemachs zu, berührte mit beiden Händen seine Schwerter, bog seine Beine nach der Hofetikette leicht in den Knien ab und näherte sich dem königlichen Bett. Dem König wurden gerade die Strümpfe angezogen. Der Zeremonienminister folgte mit angehaltenem Atem den geschickten Händen zweier Kammerdiener. Rechts von der geöffneten Loge stand Don Reba und unterhielt sich kaum hörbar mit einem langen, knochigen Mann in einer Uniform aus grauem Samt. Das war Vater Zupik, einer der Anführer der arkanarischen Sturmowiki, ein Oberst der Leibgarde. Don Reba war ein routinierter Höfling. Nach seinem Gesicht zu urteilen, ging es um nicht mehr und nicht weniger als um die Eigenschaften jener gewissen Stute oder um das tugendhafte Verhalten der königlichen Nichte. Vater Zupik jedoch, ein Krieger und früherer Lebensmittelhändler, verstand es nicht, sich zu beherrschen. Sein Gesicht verdüsterte sich, er biß sich auf die Lippen, und seine Finger verkrampften sich um den Schwertgriff, um ihn dann gleich wieder loszulassen. Schließlich aber zuckte er plötzlich mit der Wange, drehte sich barsch um und schritt – alle Regeln des Anstands verletzend – aus dem Schlafzimmer hinaus geradewegs auf die Menge der Höflinge zu, die ob solcher Unerzogenheit wie versteinert dastanden. Don Reba blickte ihm mit einem entschuldigenden Lächeln nach, Rumata aber begleitete die ungelenke graue Figur mit den Blicken und dachte: Da, schon wieder ein Toter! Er wußte von den Reibereien zwischen Don Reba und der Führerschaft der Grauen. Die Geschichte des braunen Hauptmanns Ernst Rohm war bereit, sich zu wiederholen. Die Strümpfe waren nun angezogen. Den melodischen Anweisungen des Zeremonienministers gehorchend, faßten die Kammerdiener mit ihren Fingerspitzen elegant nach den königlichen Schuhen. Da trat der König aus heiterem Himmel mit den Füßen nach ihnen und wandte sich so abrupt Don Reba zu, daß sein Bauch wie ein vollgestopfter Sack auf ein Knie lappte.

»Mir wachsen eure Attentate zum Hals heraus!« heulte er hysterisch. »Attentate, Attentate, Attentate!… In der Nacht will ich schlafen und mich nicht mit Mördern herumschlagen! Warum kann man es denn nicht so einrichten, daß sie mich untertags anfallen? Sie sind ein schäbiger Minister, Reba! Noch eine solche Nacht, und ich lasse Sie hinrichten.« Don Reba verneigte sich und führte die Hand zum Herzen. »Nach einem Attentat habe ich immer Kopfweh!«

Er verstummte unvermittelt und blickte stumpf auf seinen Bauch. Der Augenblick war günstig. Die Kammerdiener waren unschlüssig. Vor allen Dingen mußte er die Aufmerksamkeit des Königs auf sich lenken. Rumata riß einem Kammerdiener den rechten Schuh aus der Hand, ließ sich vor dem König auf die Knie nieder und zog den Schuh ehrerbietig über den dicken, mit Seide umhüllten Fuß. Denn das war das uralte Privileg des Geschlechts der Rumatas: Mit eigener Hand den rechten Fuß der gekrönten Häupter des Reiches zu bekleiden. Der König schenkte ihm einen trüben Blick. In seinen Augen blitzte ein Funken Interesse auf.

»Ah, Rumata!« sagte er. »Sie sind noch am Leben? Und Reba hat mir doch versprochen, Sie beiseite zu schaffen!« Er begann zu kichern. »Er ist ein elender Minister, dieser Reba. Er verspricht immer nur, er tut nur immer so. Er versprach, die Verschwörungen auszurotten, und die Verschwörungen nehmen immer mehr zu. Irgendwelche Grauen Ungetüme hat er da in den Palast eingeschleust … Ich bin krank, und er läßt alle Leibärzte erhängen.«

Rumata hatte ihm den Schuh übergestreift, verbeugte sich und trat zwei Schritte zurück. Er fing einen aufmerksamen Blick Don Rebas auf und beeilte sich, seinem Gesicht einen hochtrabenden, stumpfen Ausdruck zu verleihen.