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In seinem Rücken ertönte ein eiliges Klopfen von Stiefeln im Gang. Rumata drehte sich um und faßte seine beiden Schwerter mit den Händen kreuzweise am Griff. Don Ripat kam zu ihm geeilt, eine entblößte Klinge in der Hand.

»Don Rumata, Don Rumata!« schrie er schon von weitem in heiserem Flüsterton.

Rumata ließ die Schwerter wieder los. Als er schon ganz nahe bei ihm war, blickte Don Ripat um sich und flüsterte ihm kaum hörbar ins Ohr:

»Ich suche Sie schon eine ganze Stunde. Waga Koleso ist im Palast! Er spricht mit Don Reba im lila Zimmer.« Rumata kniff eine Sekunde lang die Augen zusammen. Dann trat er vorsichtig einen Schritt zur Seite und sagte mit höflicher Verwunderung:

»Sie meinen doch nicht etwa den berühmten Räuberhauptmann? Der ist doch entweder längst hingerichtet oder existiert überhaupt nur in der Phantasie des Volks.« Der Leutnant leckte seine trockenen Lippen.

»Es gibt ihn … Er ist im Palast … Ich dachte, es wird Sie interessieren.«

»Mein bester Don Ripat«, sagte Rumata eindringlich. »Mich interessieren Gerüchte. Der Klatsch. Anekdoten … Das Leben ist so langweilig … Sie haben mich anscheinend nicht richtig verstanden …«

Der Leutnant blickte ihn mit verständnislosen Augen an. »Urteilen Sie doch selbst – was habe ich denn zu tun mit den unsauberen Beziehungen Don Rebas, den ich übrigens viel zu sehr schätze, als daß ich ihn verurteilen könnte? – Und dann, verzeihen Sie, ich bin in Eile … Eine Dame erwartet mich.«

Don Ripat leckte noch einmal seine Lippen, machte eine ungeschickte Verbeugung und ging seitlich ab. Rumata kam plötzlich ein glücklicher Gedanke.

»Übrigens, mein Freund«, rief er ihm wohlwollend nach, »wie gefiel Ihnen denn die kleine Intrige, die wir heute früh Don Reba gespielt haben?«

Don Ripat blieb bereitwillig stehen. »Wir sind äußerst befriedigt«, sagte er. »Nicht wahr, das war doch allerliebst?«

»Ganz prächtig war das! Die Führung der Grauen ist sehr froh darüber, daß Sie nun endlich ganz offen für uns Partei ergreifen. So ein kluger Mensch wie Sie, Don Rumata, und gibt sich mit Baronen ab, mit adeligen Ausgeburten …«

»Mein teurer Ripat!« sagte Rumata von oben herab und machte sich zum Weggehen bereit. »Sie vergessen anscheinend, daß von der Höhe meiner Herkunft herab überhaupt kein Unterschied ersichtlich ist zwischen dem König und Ihresgleichen. Auf Wiedersehen!« Zuversichtlichen Schrittes ging er durch die Korridore, schwenkte ohne die geringste Unsicherheit in die Nebengänge ein und schob die Wachen schweigend aus dem Weg. Er hatte nur eine verschwommene Vorstellung davon, was er jetzt tun würde, aber er war sich sicher, daß dies ein erstaunlicher und seltener Zufall war. Er mußte das Gespräch zwischen den beiden Spinnen hören. Nicht umsonst hatte Don Reba für den lebenden Waga vierzehnmal mehr versprochen als für den toten …

Aus den schweren lila Vorhängen traten zwei Graue Leutnants mit entblößten Klingen hervor.

»Seid gegrüßt, Freunde«, sagte Don Rumata und blieb zwischen ihnen stehen. »Ist der Minister auf seinem Zimmer?«

»Der Minister ist beschäftigt, Don Rumata«, sagte einer der beiden Leutnants.

»Ich werde warten«, sagte Rumata und begab sich zwischen die Vorhänge.

Hier war es stockfinster, man konnte die Hand nicht vor den Augen sehen. Rumata tastete sich durch Stühle, Tische und schwere gußeiserne Laternenuntersätze. Einige Male hörte er deutlich jemandes Atem über seinem Ohr, und er fühlte sich von starkem Knoblauch- und Biergeruch umhüllt. Dann sah er einen schwachen Lichtstreifen, hörte die vertraute heisere Tenorstimme Waga Kolesos und blieb stehen. Im selben Augenblick preßte sich ihm eine Lanzenspitze vorsichtig, aber unmißverständlich zwischen die Schulterblätter. »Ruhig, Dummkopf!« sagte er gereizt, aber leise. »Ich bin es, Don Rumata!«

Die Lanze zog sich zurück. Rumata schob einen Stuhl zu dem Lichtstreifen hin, setzte sich nieder, schlug ein Bein über und gähnte so laut, daß man es hören mußte. Dann beobachtete er. Die Spinnen waren zusammengetroffen. Don Reba saß in angespannter Pose, stützte die Ellbogen auf den Tisch und verschränkte die Finger. Zu seiner Rechten lag auf einem Stoß Papier ein schweres Wurfmesser mit hölzernem Griff.

Auf dem Gesicht des Ministers lag ein angenehmes, wenn auch etwas starres Lächeln. Der ehrenwerte Waga saß auf dem Sofa mit dem Rücken zu Rumata. Er glich einem wunderlichen alten Magnaten, der die letzten dreißig Jahre seines Lebens völlig abgeschieden auf einem Landsitz zugebracht hatte.

»Die Murgeln sind verkrochnet«, sagte er, »und die Krachstampeln schlurren uns bängs mit aufgequapperten Greumen um die Warrein. Und das sind schon zwanzig lange Zäckerlinge. Krumpf und krässig würde ich denen auf die Schnölle schraben. Aber die Zäckerlinge scharmaunern zunklich. Darauf brimstern wir auch unseren Frunke. Das ist unser Beispall …«

Don Reba umfaßte sein ausrasiertes Kinn.

 »Schwurrebar eingebröhmt«, sagte er nachdenklich. Waga zuckte mit den Schultern.

»Das ist kräpaul unser Beispall. Mit uns zu kruckeln würde ich Ihnen nicht flarren. Also auf Krammscheid?«

»Auf Krammscheid«, sagte der Sicherheitsminister fest entschlossen.

»Und schmacks ab«, sagte Waga und erhob sich. Rumata, der diesem Unsinn verblüfft zugehört hatte, entdeckte in Wagas Gesicht einen buschigen Schnurrbart und einen kleinen grauen Spitzbart. Ein echter Höfling aus der Regierungszeit des vorigen Königs.

»Es war eine angenehme Unterhaltung«, sagte Waga. Don Reba erhob sich ebenfalls.

»Das Gespräch mit Ihnen verschaffte mir größtes Vergnügen«, sagte er. »Zum erstenmal in meinem Leben sehe ich einen so kühnen Menschen wie Sie, Verehrtester …«

»Ich auch«, sagte Waga mit gelangweilter Stimme. »Ich bin ebenso erstaunt wie stolz über die Kühnheit des Ersten Ministers unseres Königreichs.«

Er dreht Don Reba seinen Rücken zu und ging, auf einen Stock gestützt, dem Ausgang zu. Don Reba wandte seinen nachdenklichen Blick nicht von ihm ab und legte seine Hand zerstreut auf den Griff des Messers. Unmittelbar darauf pustete jemand im Rücken Rumatas aus voller Kraft, und der lange blaue Lauf eines Blasrohres fuhr an seinem Ohr vorbei zu dem Spalt zwischen den Vorhängen. Eine Sekunde lang verharrte Don Reba, wie um zuzuhören, dann nahm er wieder Platz, zog eine Tischlade heraus, entnahm ihr einen Stoß Papiere und versenkte sich in die Lektüre. Im Rücken Rumatas spuckte jemand aus, das Blasrohr verschwand. Alles war klar. Die Spinnen hatten ihre Lösung gefunden. Rumata stand auf, stieg irgend jemandem auf die Füße und verließ endlich das schauerliche Gemach mit den lila Vorhängen.

Der König speiste in einem riesigen, zwei Stockwerke hohen Saal. Der dreißig Meter lange Tisch war für hundert Personen gedeckt. An der Tafel saßen der König selbst, Don Reba, Personen königlichen Bluts (zwei Dutzend vollblütiger Persönlichkeiten, Vielfraße und gelernte Säufer), Hof- und Zeremonienminister, eine Reihe von bodenständigen Adeligen, die aus Tradition eingeladen wurden (darunter auch Rumata), ein paar umherziehende Barone mit holzköpfigen Gattinnen, und ganz am unteren Ende des Tisches jeglicher Klein- und Kleinstadel, nach Privilegien oder auch ohne Privilegien zur königlichen Tafel geladen. Jene letzteren erhielten zusammen mit der Einladung und ihrer Sitznummer eine Reihe von Verhaltensmaßregeln: »Stillsitzen, der König hat es nicht gern, wenn man herumwetzt. Die Hände auf den Tisch, der König hat es nicht gern, wenn man die Hand unterm Tisch versteckt. Nicht umdrehen, der König liebt es nicht, wenn man sich umdreht.« – Bei jedem Essen dieser Art wurde eine ungeheure Menge auserlesenster Speisen verschlungen, ganze Seen alter Weine gesoffen und Berge von Tafelgeschirr aus dem berühmten estorischen Porzellan zerschlagen. In einem seiner Berichte an den König prahlte der Finanzminister damit, daß ein einziges Mittagessen seiner Majestät ebensoviel koste wie der Unterhalt der soanischen Akademie der Wissenschaften für ein halbes Jahr.

Während er wartete, bis der Zeremonienminister unter dem Klang von Fanfaren dreimal »zu Tisch!« rief, stand Rumata in einer Gruppe von Höflingen und hörte zum zehntenmal Don Tameos Geschichte von dem königlichen Mahl, an dem er, Don Tameo, vor einem halben Jahr die Ehre hatte, teilzunehmen. » … Ich komme an meinen Platz, wir stehen, kommt der König herein, er setzt sich, wir setzen uns auch, das Mahl nimmt seinen gewöhnlichen Verlauf. Und plötzlich, stellen Sie sich vor, teure Dons, plötzlich spüre ich, daß es unter mir naß ist … Naß! ich getraue mich weder, mich vom Fleck zu rühren noch mich umzudrehen oder auch nur nach unten zu greifen. Dann aber passe ich einen günstigen Augenblick ab und fahre mit der Hand nach unten. Und was glaubt ihr? Tatsächlich naß. Ich schnüffle an den Fingern – nein, riecht nicht nach irgendwas Besonderem. Welche Teufelei! Inzwischen geht das Essen zu Ende, alle erheben sich, mir aber, stellen Sie sich das vor, edle Dons, mir ist es irgendwie unheimlich, aufzustehen … Ich sehe, der König kommt auf mich zu – der König! Ich aber bleibe sitzen auf meinem Stuhl, wie ein Baron aus der tiefsten Provinz, der die Etikette nicht kennt. Seine Majestät tritt dicht an mich heran, lächelt huldvoll und legt mir eine Hand auf die Schulter. >Mein teurer Don Tameo<, sagt er, >wir sind schon alle aufgestanden und gehen uns das Ballett anschauen, Sie aber sitzen noch immer da. Was ist mit Ihnen, sind Sie vielleicht nicht satt geworden?< – >Eure Majestät<, sage ich, >lassen Sie mir den Kopf abschlagen, aber unter mir ist es feucht.< Seine Majestät geruhte zu lachen und befahl mir, aufzustehen. Ich erhob mich – und was glaubt ihr? Lautes Lachen ringsum. Edle Dons, ich bin das ganze Essen hindurch auf einer Rumtorte gesessen! Seine Majestät geruhte aus Leibeskräften zu lachen. >Reba, Reba!< sagte er schließlich. >Das sind alles Ihre Streiche! Machen Sie den edlen Don sauber, Sie haben ihm das Gesäß besudelt!< Don Reba biegt sich vor Lachen, zieht seinen Dolch und kratzt die Torte von meinem Hosenboden. Können Sie sich meine Lage vorstellen, edle Dons? Ich will es nicht verbergen, ich zitterte und bebte vor Furcht bei dem Gedanken, daß Don Reba, der vor allen erniedrigt worden war, sich an mir rächen würde. Glücklicherweise fand sich aber alles zum Guten. Ich versichere Sie, edle Dons, das war das glücklichste Ereignis meines Lebens! Und wie der König gelacht hat! Und wie seine Majestät zufrieden waren!«