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»M-mir ist schon alles klar, Eure Majestät«, murmelte der Arzt nervös und machte sich eilig daran, in seiner Tasche zu kramen. Die Gäste hörten auf zu kauen. Die Aristokraten niederen Adels am unteren Tischende standen sogar von ihren Sitzen auf und reckten die Hälse, brennend vor Neugierde.

Budach entnahm der Tasche einige Fläschchen aus Stein, entkorkte sie, roch an einem nach dem andern und stellte sie dann in einer Reihe auf. Dann nahm er den Pokal des Königs und füllte ihn zur Hälfte mit Wein. Während er mit seinen Händen über dem Pokal geheimnisvolle Bewegungen vollführte, flüsterte er Beschwörungsformeln und goß dann rasch den Inhalt sämtlicher Fläschchen in den Becher. Im Saal verbreitete sich ein deutlicher Geruch von Salmiakgeist. Der König kniff die Lippen zusammen, schaute in den Becher, rümpfte die Nase und blickte zu Don Reba hin. Der Minister lächelte mitfühlend. Den Höflingen stockte der Atem. Was tut er denn bloß, dachte Rumata verwundert, der Alte hat doch die Gicht! Was hat er da zusammengebraut? In seinem Traktat ist doch deutlich gesagt: Die geschwollenen Gliedmaßen mit dem dreytaegichten Gifte der Schlange Qu eynreyben. Möglicherweise ist das zum Einreiben?

»Was soll das?« fragte der König mißtrauisch und deutete mit dem Kopf zum Becher hin. »Zum Einreiben, was?«

»Ganz und gar nicht, Eure Majestät«, sagte Budach. Er hatte sich schon etwas gefaßt. »Das ist innerlich.«

»In-ner-lich?« Der König blies die Backen auf und lehnte sich im Sessel zurück. »Ich will nicht innerlich! Reib mich ein!«

»Wie Eure Majestät befehlen«, sagte Budach gehorsam. »Aber ich gestatte mir, Majestät zu warnen, daß eine Einreibung überhaupt nichts nützen wird.«

»Warum machen dann alle Einreibungen«, sagte der König mürrisch, »und du willst mir unbedingt diese Scheußlichkeit einflößen?«

»Eure Majestät«, sagte Budach und richtete sich stolz auf. »Diese Arznei ist allein mir bekannt. Ich habe damit den Onkel des Herzogs von Irukan geheilt. Und was die Einreiber betrifft, so haben sie Majestät nicht gesund gemacht …«

Der König schaute zu Don Reba. Don Reba lächelte mitfühlend. »Du Gauner!« sagte der König mit unangenehmer Stimme zu dem Arzt. »Du Bauernlümmel! Du lausiger Besserwisser!« Er ergriff den Pokal. »Da, ich schmeiß dir den Becher zwischen die Zähne …« Er blickte in den Pokal hinein. »Und wenn ich erbrechen muß?«

»So muß man die Prozedur wiederholen, Eure Majestät«, antwortete Budach mit trauriger Miene.

»Also gut, meinetwegen«, sagte der König und wollte den Becher schon zum Mund führen, stieß ihn aber so heftig wieder von sich, daß er ein wenig auf den Teppich verschüttete. »Ha, mein Lieber, trink zuerst selbst! Ich kenne euch doch, ihr Irukanier, ihr habt den heiligen Micky den Barbaren verkauft. Trink, sag ich dir!« Budach nahm mit beleidigter Miene den Becher und trank einige Schlucke daraus.

»Nun, wie ist es?« fragte der König.

»Bitter, Eure Majestät«, sagte Budach mit gedrückter Stimme. »Aber Majestät müssen es trinken.«

»Müssen, müssen!« zeterte der König. »Ich weiß schon selber, was ich muß. Gib her! Die Hälfte ist ohnehin schon verschüttet … Na, gib schon her!«

Er leerte den Pokal mit einem Zug. Am Tisch hörte man mitfühlende Seufzer – und plötzlich war alles still. Der König erstarrte mit aufgerissenem Mund. Aus seinen angelaufenen Augen quoll eine Träne nach der andern. Er wurde langsam rot, und dann plötzlich ganz blau. Er streckte eine Hand über den Tisch und schnalzte krampfartig mit den Fingern. Don Reba reichte ihm eilig eine Salzgurke. Der König schleuderte die Gurke stumm auf Don Reba und streckte noch einmal die Hand aus. »Wein …!« krächzte er heiser.

Irgend jemand bückte sich und reichte ihm einen Tonkrug. Der König trank in hastigen, großen Schlucken und verdrehte dabei wie toll die Augen. Rote Streifen flossen auf seine weiße Weste. Als er den Krug ausgetrunken hatte, warf er ihn nach Budach, verfehlte ihn jedoch.

»Hundesohn!« sagte er in einem völlig unerwarteten Baß. »Warum willst du mich umbringen? Hat man noch zu wenig von deiner Sorte aufgehängt? Daß dich der Teufel hole!« Er verstummte und berührte sein Knie.

»Es schmerzt!« sagte er mit seiner früheren weinerlichen Stimme. »Trotzdem schmerzt es!«

»Eure Majestät!« sagte Budach. »Zur Erzielung einer vollständigen Heilung müßten Majestät die Mixtur täglich trinken, und zwar mindestens eine Woche lang …« In der Kehle des Königs schien etwas zu platzen.

»Hinweg!« winselte der König. »Schert euch alle hinweg von hier!«

Die Höflinge sprangen auf, stürzten haufenweise auf die Türen zu und warfen dabei einige Stühle um.

»Hinwe-e-e-g!« brüllte der König erneut, außer sich vor Wut, und fegte das Geschirr vom Tisch.

Nachdem er mit den andern schleunigst das Feld geräumt hatte, tauchte Rumata hinter den nächstbesten Vorhang und begann zu lachen. Hinter dem Vorhang nebenan lachten sie auch – stoßweise, nach Atem ringend und winselnd vor Lust.

6

Die Nachtwache beim Schlafgemach des Prinzen begann erst um Mitternacht. Rumata beschloß, inzwischen noch nach Hause zu gehen, um nachzuschauen, ob alles in Ordnung sei, und um sich gleich umzuziehen. Das Gesicht der abendlichen Stadt machte ihn stutzig. Die Straßen lagen in tiefem Schweigen, die Schenken und Tavernen waren geschlossen. An den Kreuzungen standen eisenklirrende Gruppen von Grauen Sturmowiki mit Fackeln in den Händen. Auch sie gaben keinen Laut von sich und schienen auf etwas Bestimmtes zu warten. Einige Male trat einer von ihnen ganz nahe an Rumata heran, schaute ihm ins Gesicht, nachdem er ihn aber erkannt hatte, wurde ihm immer schweigend der Weg freigegeben. Als es nur mehr fünfzig Schritte bis zu seinem Haus waren, heftete sich in einigem Abstand eine Gruppe verdächtiger Gestalten an seine Fersen. Rumata blieb kurz stehen und rasselte mit den Schwertern. Die Gestalten blieben ein wenig zurück, aber gleich darauf hörte er aus der Finsternis das Schnalzen einer geladenen Armbrust. Rumata ging eilig weiter, wobei er sich gegen die Hausmauern drückte. Er tastete nach seinem Haustor, drehte den Schlüssel im Schloß und fühlte dabei die ganze Zeit seinen unbedeckten Rücken überdeutlich. Mit einem erleichterten Seufzer sprang er in die Vorhalle.

In der Vorhalle hatten sich schon alle Diener versammelt. Sie waren mit allem möglichen Gerät bewaffnet. Sie hätten das Tor schon einige Male auf seine Sicherheit geprüft. Rumata gefiel das alles nicht. Vielleicht sollte ich doch nicht weggehen, dachte er. Hol ihn der Teufel, den Prinzen … »Wo ist Baron Pampa?« fragte er.

In höchster Aufregung und mit einer Armbrust über der Schulter antwortete Uno, der Baron sei erst gegen Mittag aufgewacht, habe dann alles im Haus verfügbare Gurkenwasser getrunken und sei dann wieder ausgezogen, um sich weiter zu unterhalten. Darauf berichtete Uno mit ernster Stimme, Kyra habe einige Male nach dem Herrn gefragt, und sie sei äußerst beunruhigt. »Gut«, sagte Rumata und befahl den Dienern, ihre Posten einzunehmen.

Die Köchinnen nicht mit eingerechnet, waren es sechs Diener, ein verläßliches Volk im allgemeinen, das an Straßenraufereien gewohnt war. Mit den Grauen lassen sie sich natürlich nicht ein, dachte Rumata, denn sie fürchten den Zorn des allmächtigen Sicherheitsministers; aber gegen die Lumpen der Nachtarmee können sie schon standhalten, um so eher, als die Räuber in dieser Nacht eine leichte Beute erwarten. Zwei Armbrüste waren da, vier Streitäxte, einige Fleischermesser, eiserne Helme, die Türen waren fest, nach alter Gewohnheit mit Eisen beschlagen … Oder, sollte man vielleicht doch nicht das Haus verlassen?

Rumata begab sich ins Obergeschoß und ging auf Zehenspitzen in Kyras Zimmer. Kyra hatte sich nicht ausgezogen, sie schlief eingerollt auf dem ungeöffneten Bett. Rumata stand über ihr mit dem Leuchter in der Hand. Soll ich gehen oder nicht? Für mein Leben gern würde ich diesmal nicht weggehen.

Er legte eine leichte Decke über sie, küßte sie auf die Wange und ging in sein Zimmer zurück. Ich muß gehen. Was auch immer geschieht, ein Kundschafter muß stets im Zentrum der Geschehnisse sein. Den Historikern auf der Erde zum Nutzen. Ein bitteres Lächeln überzog sein Gesicht, er nahm den Reif von der Stirn, reinigte das Objektiv sorgfältig mit einem weichen Lappen und setzte den Reif wieder auf. Dann rief er Uno und befahl ihm, seine Kriegerrüstung und den frisch polierten Kupferhelm zu bringen. Zwischen Leibchen und Weste zog er, schaudernd vor Kälte, sein Metalloplasthemd, das wie ein Kettenhemd angefertigt war (die hiesigen Kettenhemden waren kein schlechter Schutz gegen Dolch- oder Schwertverletzungen, ein Armbrustbolzen jedoch konnte sie leicht durchschlagen). Während er sich seinen Uniformgürtel mit mehreren Metallverschlüssen umband, sagte er zu Uno: »Hör mir zu, Kleiner. Dir vertraue ich am meisten von allen. Was immer auch hier passiert, Kyra muß am Leben bleiben und unverletzt. Meinetwegen soll das Haus abbrennen, sollen sie das ganze Geld rauben, aber Kyra beschütze mir. Geleite sie im Notfall über die Dächer oder durch Kellergänge, wie du willst, aber beschütze sie. Hast du mich verstanden?«

»Ja, Herr«, sagte Uno. »Ihr solltet heute nicht weggehen …«

»Du hör mir zu. Wenn ich in drei Tagen noch immer nicht zurück bin, so nimm Kyra und führe sie auf eine Lichtung in den Schluckaufwald. Weißt du, wo das ist? Also, im Schluckaufwald findest du das >Besoffene Bärenlager<, nun, eine eigentümliche Hütte eben, nicht weit vom Weg. Du brauchst nur zu fragen, man wird sie dir schon zeigen. Paß nur auf, wen du fragst. Dort haust ein Mensch, den man Vater Kabani nennt. Ihm erzählst du alles. Hast du verstanden?«

»Ja, Herr. Aber Ihr solltet lieber nicht weggehen heute …«

»Ich würde lieber hierbleiben. Kann aber nicht: Der Dienst ruft … Also, gib acht!«

Er gab dem Knaben einen leichten Klaps auf die Wange und erwiderte sein ungeschicktes Lächeln mit einem freundlichen Blick. Unten sagte er den Dienern ein paar aufmunternde Worte, verließ das Haus und tauchte wieder in die Finsternis. Hinter ihm krachten die schweren Riegel.