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»Daß er uns nicht entwischt«, sagte einer.

»Ja, mir scheint, er ist ein wenig müde … Der Schlag soll dich treffen …«

»He, Don, nicht angenehm, was?«

»Schluß mit dem Geschwätz«, sagte die gebieterische Stimme aus der Dunkelheit. »Kommt her, Don Rumata!«

Rumata ging auf die Stimme zu und fühlte, wie er beim Gehen unsicher von einer Seite auf die andere wankte. Von irgendwoher tauchte ein Mann mit einer Fackel auf und ging ihm voran. Rumata erkannte diesen Ort. Es war einer der unzähligen kleinen Innenhöfe des Sicherheitsministeriums, in der Nähe der Hofstallungen. Er überlegte rasch. Wenn sie ihn nach rechts führten, hieß das: in den Turm, ins Verließ. Nach links: in die Kanzlei. Er schüttelte den Kopf. Ach was, dachte er. Ich bin noch am Leben, also schlage ich mich schon noch ein bißchen durch. – Sie gingen nach links. Zumindest nicht gleich, dachte Rumata. Eine vorherige Untersuchung, ein Verhör. Schrecklich. Wenn es schon zu einem Verhör kommt, was können sie mir vorwerfen, wessen können sie mich anklagen? Nun, ist ja klar. Anstiftung des Giftmischers Budach, Vergiftung des Königs, Verschwörung gegen die Krone … Möglicherweise Mord am Prinzen. Und, selbstverständlich, Spionage für Irukan, Soan, die Barbaren, die Barone, den Heiligen Orden und so weiter und so weiter … Bloß erstaunlich, daß ich noch lebe. Das heißt also, er hat sich noch irgendwas einfallen lassen, dieser fahle Pilz. »Hierher«, sagte der Mann mit der gebieterischen Stimme. Eine niedrige Tür wurde aufgestoßen, Rumata zog den Kopf ein und kam in einen großen Raum, der von einem Dutzend Kandelaber erleuchtet war. In der Mitte saßen und lagen auf einem zerfetzten Teppich gefesselte blutüberströmte Menschen. Einige von ihnen waren schon tot oder hatten das Bewußtsein verloren. Fast alle waren barfuß und nur mit einem zerschlissenen Nachthemd bekleidet. An den Wänden standen, nachlässig auf ihre Beile und Streitäxte gestützt, die rotschnäuzigen Sturmowiki. Sie warfen wilde Blicke um sich und waren zufrieden – sie hatten gesiegt. Vor ihnen defilierte, die Hände auf dem Rücken, der wachhabende Offizier. Er steckte in einer grauen Uniform mit reichlich speckigem Kragen. Der Begleiter Rumatas, ein großer Mann in schwarzem Überwurf, ging auf den Offizier zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Offizier nickte, betrachtete Rumata mit Interesse und verschwand hinter schweren farbigen Vorhängen am anderen Ende des Zimmers.

Die Sturmowiki musterten Rumata ebenfalls mit Interesse. Einer von ihnen, der ein trübes Auge hatte, sagte: »Das nenne ich einen Edelstein, auf seiner Stirn!«

»Der Stein ist nicht übel«, stimmte ihm ein anderer zu. »Eine Beute für den König. Und der Reif aus purem Gold.«

»Wir sind jetzt selber die Könige.«

»Also dann, herunter damit, was?«

»Schert euch weg da«, sagte der Mann im schwarzen Mantel halblaut.

Die Sturmowiki starrten ihn verwundert an.

»Will uns da schon wieder jemand bemuttern?« fragte der Sturmowik mit dem trüben Auge. Der Mann im Mantel gab ihm keine Antwort, kehrte ihm den Rücken und stellte sich neben Rumata. Die Sturmowiki musterten ihn mit mißmutigen Blicken von Kopf bis Fuß. »Vielleicht ein Pfaff?« sagte der Sturmowik mit dem trüben Auge. »He, Pfaff, willst eine in die Laff?«

Die Sturmowiki gackerten vor Lachen. Der Mann mit dem trüben Auge spuckte sich in die Hände, warf sein Beil von einer Hand in die andere und bewegte sich auf Rumata zu. Also, jetzt werde ich es ihm aber gleich zeigen, dachte Rumata und zog seinen rechten Fuß langsam zurück.

»Auf wen ich immer eingedroschen habe«, fuhr der Sturmowik fort, blieb vor ihm stehen und stierte auf den Mann in Schwarz, »das sind die Pfaffen, jegliches gelehrte Gesindel und die Herren Meister. Einmal, da …«

Der Mann mit dem Oberwurf hob die flache Hand empor. Da ertönte ein surrendes Schnalzen unterhalb der Zimmerdecke. Sch-Sch-Sch! Der Sturmowik mit dem trüben Auge ließ das Beil fallen und stürzte auf den Rücken. In der Mitte seiner Stirn steckte ein dicker, gefiederter Pfeil. Mit einem Mal war es ganz still. Die Sturmowiki traten verwirrt von einem Fuß auf den andern, ihre Augen huschten ängstlich über die Öffnungen unterhalb der Zimmerdecke.

»Weg mit dem Kadaver, rasch!«

Einige Sturmowiki bückten sich, faßten den Erschossenen an Händen und Füßen und schleiften ihn hinaus. Aus den Vorhängen tauchte ein Grauer Offizier hervor und machte eine einladende Handbewegung.

»Gehen wir, Don Rumata«, sagte der Mann im schwarzen Mantel. An dem Haufen der zusammengedrängten Gefangenen vorbei ging Rumata zu den Vorhängen. Ich verstehe nichts mehr, dachte er. Hinter den Vorhängen faßten sie ihn im Finstern, tasteten mit geübten Fingern seinen ganzen Körper ab, rissen ihm die leeren Schwerthülsen vom Gürtel und stießen ihn ins Licht. Rumata wußte sofort, wohin er geraten war.

Das war das berüchtigte Kabinett des Don Reba in den lila Gemächern. Don Reba saß auf demselben Platz und nahm dieselbe Pose ein wie damals, straff aufgerichtet, die Ellbogen auf dem Tisch, die Finger verschränkt. Der Alte hat doch sicher Hämorrhoiden, schoß es Rumata ganz unvermittelt durch den Kopf. Er tat ihm leid. Rechts von Don Reba thronte Vater Zupik, wichtigtuerisch, ganz konzentriert und mit zusammengebissenen Lippen. Zur Linken Don Rebas saß ein gutmütig lächelnder Dickwanst mit den Epauletten eines Kapitäns der Grauen Rotte auf den Schultern. Sonst war niemand im Kabinett. Als Rumata eintrat, sagte Don Reba wohlwollend und leise:

»Ah, hier, meine Freunde, haben wir auch den edlen Don Rumata.« Vater Zupik lächelte herablassend, und der Dickwanst fing wohlgefällig mit dem Kopf zu nicken an.

»Unser alter und überaus konsequenter Feind«, sagte Don Reba. »Ein Feind …? Erhängen …!« konstatierte Vater Zupik heiser. »Und Ihre Meinung, Bruder Aba?« fragte Don Reba und wandte sich mit einem warnendem Blick dem Dickwanst zu. »Sie wissen … ich habe sogar irgendwie …«, Bruder Aba lächelte ziemlich kindlich und verloren und fuhr mit seinen kurzen Armen in der Luft herum. »Irgendwie, wissen Sie, ist es mir eigentlich ganz egal. Aber vielleicht sollte man ihn trotzdem nicht hängen? … Vielleicht verbrennen, wie, was denken Sie, Don Reba?«

»Warum nicht«, sagte Don Reba versonnen.

»Sie verstehen«, fuhr Bruder Aba in seiner Verzweiflung fort und warf Don Rumata ein eigentümlich freundliches Lächeln zu. »Im allgemeinen erhängt man das Gesindel, kleine Fische … Wir aber müssen vor dem Volk respektvolle Beziehungen zu den hohen Ständen wahren. Er ist ja trotz allem ein Sproß aus altem Adel, ein bedeutender irukanischer Spion … ein irukanischer, nicht wahr, ich habe mich doch nicht geirrt? …« Er nahm vom Tisch ein Blatt Papier und stierte kurzsichtig hinein. »Ah, und außerdem noch ein soanischer … Nun, um so schlimmer!«

»Dann eben verbrennen«, stimmte Vater Zupik ein. »Gut«, sagte Don Reba. »Wir sind uns einig. Verbrennen!«

»Übrigens glaube ich, Don Rumata kann sich sein Los erleichtern!« sagte Bruder Aba. »Versteht Ihr mich, Don Reba?«

»Wenn ich ehrlich bin, nicht ganz.«

»Sein Vermögen! Mein edler Don, sein Vermögen! Die Rumatas sind ein märchenhaft reiches Geschlecht …!«

»Sie haben wie immer recht«, sagte Don Reba.

Vater Zupik gähnte, bedeckte seinen Mund mit der Hand und schielte auf die schweren lila Vorhänge rechts vom Tisch. »So, dann beginnen wir halt in aller Form«, sagte Don Reba mit einem Seufzer.

Vater Zupik schielte noch immer auf die Vorhänge. Offensichtlich wartete er auf etwas ganz Bestimmtes und hatte überhaupt kein Interesse an dem Verhör. Was ist das für eine Komödie? dachte Rumata. Was soll das bedeuten?

»Nun, mein edler Don«, sagte Don Reba und wandte sich an Rumata, »es wäre außerordentlich angenehm, Ihre Antworten auf einige Fragen zu hören, die uns interessieren.«

»Nehmen Sie mir die Fesseln von den Händen«, sagte Rumata. Vater Zupik fuhr zusammen und führte mit den Lippen zweifelnde Kaubewegungen durch. Bruder Aba wiegte aufgeregt den Kopf. »Nun?« sagte Don Reba und blickte zuerst auf Bruder Aba und dann auf Vater Zupik. »Ich verstehe euch schon, meine Freunde. Indessen, wenn man die Umstände in Betracht zieht, die Don Rumata wahrscheinlich erraten wird …«, mit einem bedeutungsvollen Blick streifte er die Reihen der Maueröffnungen unterhalb der Decke. »Nehmt ihm die Fesseln ab«, sagte er im gleichen ruhigen Tonfall.

Unhörbar trat jemand von hinten an Rumata heran. Er fühlte, wie ein paar merkwürdig weiche, geschickte Finger seine Hände berührten, und er hörte, wie die Stricke durchschnitten wurden. Bruder Aba zog mit einer für sein Aussehen unglaublichen Behendigkeit eine riesige Kriegsarmbrust unter dem Tisch hervor und legte sie vor sich hin, geradewegs auf die Papiere. Rumatas Arme fielen wie zwei lange Zöpfe kraftlos an seinem Körper herab. Sie waren fast gefühllos.

»Also fangen wir an«, sagte Don Reba munter. »Ihr Name, Geschlecht, Rang?«

»Rumata, aus dem Geschlecht der estorischen Rumatas. Edler Höfling seit zweiundzwanzig Generationen.«

Rumata blickte um sich, setzte sich auf ein Sofa und begann seine Handgelenke zu massieren. Bruder Aba schnappte aufgeregt nach Luft und legte auf ihn an. »Ihr Vater?«

»Mein edler Vater – kaiserlicher Rat, unterwürfiger Diener und persönlicher Freund des Kaisers.«

»Ist er am Leben?«

»Er ist gestorben.«

»Wann?«

»Vor elf Jahren.«

»Wie alt sind Sie?«

Rumata fand keine Zeit zur Antwort. Hinter dem lila Vorhang drangen plötzlich Geräusche hervor, und Bruder Aba blickte sich argwöhnisch um. Vater Zupik erhob sich langsam und lachte böse. »Nun, da haben wir’s, meine Herren …«, wollte er schadenfreudig beginnen.