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6.

»Wartet«, keuchte Bill. »Ich muß einen Augenblick... ausruhen.«

»Laß dir doch helfen«, bot Richie ihm wieder einmal an. Sie hatten Eddie in seiner Behausung zurückgelassen, und das war etwas, worüber keiner von ihnen reden wollte. Aber Eddie war tot, und Audra lebte noch... zumindest im klinischen Sinne.

»Ich schaff s schon«, brachte Bill zwischen keuchenden Atemzügen mühsam hervor.

»Blödsinn, du kriegst höchstens einen Herzinfarkt. Laß dir doch helfen, Big Bill!«

»Wie geht's d-d-deinem Kopf?«

»Tut weh«, antwortete Richie. »Aber lenk bitte nicht vom Thema ab.«

Nur sehr ungern ließ Bill es zu, daß Richie Audra übernahm. Es hätte schlimmer sein können; Audra war groß und wog normalerweise 140 Pfund. Doch sie spielte in >Attic Room< eine junge Frau, die von einem Psychopathen, der sich für einen politischen Terroristen hielt, als Geisel gefangengehalten wurde. Und weil Freddie Firestone alle im Dachzimmer spielenden Szenen gleich zu Beginn drehen wollte, hatte Audra eine strenge Geflügel-Hüttenkäse-Thunfisch-Diät gemacht und auf diese Weise 20 Pfund abgenommen. Aber nachdem er im Dunkeln mit ihr auf den Armen eine Viertelmeile (oder eine halbe oder noch mehr, er hatte keine Ahnung) durch die Tunnels gestolpert war, kamen diese 120 Pfund Bill wie mindestens 200 vor.

»D-D-Danke.«

»Nichts zu danken«, erwiderte Richie. »Haystack, du bist dann als nächster an der Reihe.«

»Piep-piep, Richie«, rief Ben, und Bill mußte wider Willen grinsen. Es war ein müdes Grinsen, und es hielt nicht lange an, aber es war immerhin besser als nichts.

»Wohin jetzt, Bill?« fragte Beverly. »Das Wasser hört sich immer lauter an. Ich möchte nicht unbedingt hier unten ertrinken.«

»Geradeaus, dann links«, sagte Bill. »Auf geht's.«

Sie liefen eine halbe Stunde durch die Tunnels. Bill rief ihnen jeweils zu, wann sie nach links oder rechts abbiegen mußten. Das Brausen des Wassers wurde immer lauter, bis es sie schließlich von allen Seiten zu umgeben schien - ein beunruhigender Stereo-Effekt in der Dunkelheit. Bill tastete sich an feuchten Ziegelsteinen entlang, bog um eine Ecke - und plötzlich floß ihm Wasser über die Schuhe. Es war seicht, aber die Strömung war sehr schnell.

»Gib mir Audra«, sagte er zu Ben, der laut keuchte. »Jetzt wird's naß.« Ben reichte ihm behutsam den schlaffen Körper, und Bill schwang ihn sich über die Schulter wie ein Feuerwehrmann. Wenn sie doch nur protestieren... sich bewegen... irgendwas tun würde! »Wie steht's mit unseren Streichhölzern, Bev?«

»Es sind nicht mehr viele«, antwortete sie. »Vielleicht noch ein halbes Dutzend. Bill, weiß du wirklich, wohin du gehst?«

»Ich g-g-glaub' schon«, sagte er. »Kommt.«

Sie folgten ihm um die Ecke und bewegten sich gegen die Wasserströmung vorwärts. Es strudelte und schäumte um Bills Knöchel, dann ging ihm das Wasser bis zu den Schienbeinen und wenig später bis zu den Schenkeln. Das Donnern und Tosen in den Kanalrohren schwoll immer stärker an. Der Tunnel, in dem sie sich befanden, bebte. Eine Zeitlang glaubte Bill, daß die Strömung zu stark würde, um dagegen ankämpfen zu können, aber schließlich kamen sie an einem Rohr vorbei, aus dem sich

Wasser in ihren Tunnel ergoß, und die Strömung wurde etwas langsamer -das Wasser allerdings immer tiefer. Es...

Ich habe gesehen, wie das Wasser aus jenem Rohr herausfloß! Ich habe es gesehen!

»He!« schrie er. »K-K-Könnt ihr etwas s-s-s-sehen?«

»In der letzten Viertelstunde ist es allmählich immer heller geworden!« schrie Beverly zurück. »Wo sind wir, Bill? Weißt du's?«

Ich glaubte es zu wissen, dachte Bill. »Nein! Kommt.«

Er hatte geglaubt, daß sie sich jenem Teil des Kenduskeags näherten, der unter dem Namen >Kanal< unterirdisch unter der Innenstadt verlief und im Bassey-Park wieder zum Vorschein kam... aber hier unten gab es Licht, Licht, und im Kanal unter der Stadt konnte es doch kein Licht geben.

Es wurde zusehends heller... und das Wasser wurde immer tiefer. Es ging ihm jetzt bis zur Brust, und er hatte große Schwierigkeiten mit Audra. Er konnte Beverly rechts und Ben links von sich sehen, und wenn er etwas den Kopf drehte, konnte er hinter Ben auch Richie sehen. Die Strömung war nun nicht mehr sehr stark. Sie behinderte zwar ihr Vorwärtskommen, war aber nicht gefährlich.

Der Boden interessierte Bill mehr. Sie kamen nicht nur deshalb so langsam vorwärts, weil das Wasser ihnen bis zur Brust reichte, sondern weil auf dem Tunnelboden jetzt allerhand Zeug herumlag - es fühlte sich fast wie Ziegelsteine an. Und ein Stück vor ihnen ragte etwas aus dem Wasser wie der Bug eines sinkenden Schiffes.

Ben plantschte darauf zu, zerteilte mit den Armen das Wasser und fröstelte, weil es ziemlich kalt war. Ein aufgeweichter Pappkarton schwamm ihm ins Gesicht, und er schob ihn beiseite. Er griff nach dem aus dem Wasser ragenden Gegenstand und riß vor Staunen die Augen weit auf. Es schien ein großes rechteckiges Plakat zu sein. Er konnte die Buchstaben AL lesen und darunter: sea. Und plötzlich begriff er.

»Bill! Richie! Bev!« Er lachte fassungslos.

»Was ist los, Ben?« rief Beverly.

Ben zog das Plakat mit beiden Händen aus dem Wasser heraus. Eine Seite streifte schabend an der Tunnel wand entlang. Und dann konnten sie es richtig lesen: aladdi, und darunter stand: sean conn.

»Das ist doch das Plakat vom Vordach des >Aladdin>!« rief Richie. »Wie zum Teufel...«

»Die Straße ist eingestürzt«, flüsterte Bill, und seine Augen wurden immer größer, während er den Tunnel entlangstarrte. Weiter vorne wurde das Licht noch heller.

»Was, Bill?«

»Was zum Teufel ist da nur passiert?«

»Bill? Bi//? Was...«

»All jene Rohre!« sagte Bill grimmig. »Jene alten Abflußrohre! Sie sind voll Wasser! Es muß eine Überschwemmung gegeben haben! Und ich glaube, diesmal...«

Er stolperte vorwärts und hielt Audra knapp über dem Wasserspiegel. Bev, Ben und Richie folgten ihm. Fünf Minuten später blickte Bill hoch und sah über sich blauen Himmel und ausgefranste Wolken. Er schaute durch einen Spalt in der Tunneldecke, einen Spalt, der sich verbreiterte und ein

Stück weiter unten eine Breite von mehr als 70 Fuß erreichte. Und dort ragten auch jede Menge Inseln aus dem Wasser - Ziegelhaufen, das hintere Verdeck einer Plymouth-Limousine, eine Parkuhr, die sich in schiefem Winkel an die Tunnelwand lehnte.

Der Boden war jetzt fast unpassierbar - er war mit soviel verschiedenem Zeug bedeckt, daß man bei jedem Schritt einen Knöchelbruch riskierte. Das Wasser plätscherte ruhig in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

Jetzt ist es friedlich, dachte Bill. Aber wenn wir vor zwei Stunden hier gewesen wären oder sogar noch vor einer, dann war's höchstwahrscheinlich um uns geschehen gewesen!

»Was in aller Welt ist das?« fragte Richie. Er stand dicht neben Bills linkem Ellbogen und starrte zu dem Riß in der Tunneldecke empor, und sein Gesicht war vor Staunen über dieses Wunder ganz weich. Nur daß es keine Tunneldecke mehr ist, dachte Bill. Es ist die Main Street. Oder, besser gesagt, dies war einmal die Main Street.

»Vermutlich sind die Träger des Kanals zusammengebrochen«, sagte er. »Und ich nehme an, daß der größte Teil der Stadtmitte jetzt den Kenduskeag entlangtreibt... Kannst du mir mit Audra helfen, Richie? Ich glaub', ich kann nicht...«