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Am Abend des 10. Juni fand im Bassey-Park das erste Pferderennen des Jahres statt, und die allgemeine Stimmung hob sich beträchtlich. Aber gegen Ende des ersten Durchlaufs, als die Pferde auf die Ziellinie zutrabten, brach ein Teil der Zuschauertribüne zusammen, und ein halbes Dutzend Menschen wurde schwer verletzt. Zu den Verletzten gehörte auch Foxy Foxworth, der bis 1973 Geschäftsführer des >Aladdin< gewesen war. Foxy verbrachte zwei Wochen im Krankenhaus - er hatte sich das Bein gebrochen, und eine Strebe der Tribüne hatte sich ihm durch die Hoden gebohrt. Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus beschloß er, zu seiner Schwester nach Somersworth in New Hampshire zu ziehen.

Er war nicht der einzige, der seinen Wohnsitz wechselte.

8

Sie beobachteten, wie der Sanitäter die hinteren Türen des Krankenwagens zuschlug und wie der Wagen sich den Hügel hinauf in Richtung Krankenhaus entfernte. Richie hatte ihn unter Einsatz seines Lebens angehalten, indem er sich mitten auf die Straße gestellt und wild gewinkt hatte, und dann hatte er seine ganzen Überredungskünste angewandt, um den wütenden Fahrer, der erklärte, keinen Platz mehr zu haben, dazu zu bewegen, Audra doch noch mitzunehmen. Schließlich hatte der Sanitäter sie auf dem Fußboden untergebracht.

»Was nun?« fragte Ben. Er hatte große dunkle Ringe unter den Augen, und ein Schmutzstreifen zog sich um seinen Hals.

»Ich g-g-gehe ins T-T-Town House«, sagte Bill, »und w-w-werde mindestens sechzehn Sch-Sch-Stunden schlafen.«

»Ausgezeichnete Idee«, meinte Richie und sah Beverly hoffnungsvoll an. »Haben Sie zufällig Zigaretten, schöne Dame?«

»Nein«, sagte Beverly. »Ich glaube, ich werde das Rauchen aufgeben.«

»Ein sehr vernünftiger Vorsatz.«

Sie gingen langsam nebeneinander den Hügel hinauf.

»Es ist v-v-vorbei«, sagte Bill.

Ben nickte. »Wir haben es vollbracht. Du hast es vollbracht, Big Bill.«

»Wir alle haben es vollbracht«, meinte Beverly. »Ich wünschte, wir hätten Eddie mit raufbringen können. Das wünschte ich mehr als alles andere.«

Sie erreichten die Ecke Upper Main Street und Point Street. Ein Junge in rotem Regenmantel und grünen Gummistiefeln ließ auf dem Sturzbach im Rinnstein ein Papierboot schwimmen. Er schaute auf, sah, daß sie zu ihm herüberblickten, und winkte ihnen schüchtern zu. Bill erkannte in ihm den Jungen mit dem Skateboard - den, dessen Freund Haie im Kanal gesehen hatte. Er lächelte und ging auf den Jungen zu.

»Jetzt ist alles in O-O-Ordnung«, sagte er.

Der Junge betrachtete ihn ernsthaft... und dann grinste er. Das Lächeln war so hoffnungsvoll und sonnig wie ein Frühsommertag. »Ja«, sagte er. »Das glaube ich auch.«

»Du k-k-kannst deinen Arsch drauf v-verwetten.«

Der Junge lachte.

»W-Wirst du vorsichtig s-s-sein, w-wenn du mit deinem Skateboard rumsaust?«

»Nicht sehr«, antwortete der Junge, und nun lachte Bill. Er widerstand der Versuchung, dem Jungen übers Haar zu streichen - das hätte er bestimmt übelgenommen -, und kehrte zu seinen Freunden zurück.

»Wer war das?« fragte Richie.

»Ein Freund«, sagte Bill und stopfte seine Hände in die Hosentaschen. »Erinnert ihr euch noch daran, wie wir letztes Mal rausgekommen sind?.«

Beverly nickte. »Eddie hat uns in die Barrens zurückgebracht. Nur sind wir irgendwie auf der anderen Seite des Kenduskeags rausgekommen. Auf der Old-Cape-Seite.«

»Und du und Haystack, ihr beide habt den Deckel von einem dieser Pumpwerk-Zylinder weggeschoben«, sagte Richie zu Bill, »weil ihr am kräftigsten wart.«

»Die Sonne schien«, fiel Ben ein. »Aber sie stand schon sehr tief am Himmel.«

»Ja«, sagte Bill, »und wir waren alle z-z-zusammen.«

»Aber nichts dauert ewig«, murmelte Richie. Er blickte den Hügel hinab, den sie gerade erklommen hatten, und seufzte. »Ja, ich weiß. Schaut euch das mal an.«

Er streckte seine Hände aus. Die schmalen Narben auf den Handflächen waren verschwunden. Auch Beverly, Ben und Bill betrachteten ihre Hände. Sie waren schmutzig, aber die Narben waren nicht mehr zu sehen. »Nichts dauert ewig«, wiederholte Richie. Er sah Bill an, und Tränen rannen langsam über seine schmutzigen Wangen. »Außer vielleicht Freundschaft. Was meinst du, Bill?«

»Ja«, sagte Bill. »Das glaube ich auch.«

»Und du, Bev?«

»Ich glaube es ebenfalls«, sagte sie und nahm seine Hand.

»Haystack?«

»Ja«, sagte Ben. »Ich glaube, daß Freundschaft und Liebe vielleicht wirklich ewig dauern.«

Er reichte ihnen die Hände, und kurze Zeit standen sie schweigend da, sieben Freunde, die auf vier reduziert worden waren, die aber immer noch einen Kreis bilden konnten. Sie sahen einander an. Auch Ben weinte jetzt, aber gleichzeitig lächelte er.

»Ich liebe euch alle«, sagte er und drückte Bev und Richie fest - sehr fest -die Hände, bevor er sie losließ. »Vielleicht könnten wir jetzt mal nachschauen, ob man hier so was wie ein Frühstück bekommen kann.«

»Großartige Idee, Senhor!« rief Richie. »Haystack, manchmal glaube ich direkt, daß du doch nicht ganz so blöd bist, wie du ausschaust. Was meinst du, Big Bill?«

»Ich meine, du solltest dich mal selbst am Arsch lecken, Richie«, sagte Bill.

Lachend betraten sie das Town House, und als Bill die Glastür aufschloß, erblickte Beverly etwas, das ihr zwar nicht den Appetit verdarb, das sie jedoch für sich behielt- aber sie vergaß es niemals. Einen Augenblick lang sah

sie im Glas ihre Spiegelbilder - nur waren sie nicht zu viert, sondern zu

sechst, denn Eddie war hinter Richie; und hinter Bill war Stan, und er hatte jenes für ihn so typische halbe Lächeln im Gesicht.

9. Abenddämmerung, 10. August 1958

Die Sonne steht genau am Horizont, ein großer roter Ball, der ein flaches, fast unwirkliches Licht über die Barrens wirft. Der schwere Schachtdeckel auf einer der Pumpstationen - einem von Ben Hanscoms Morlock-Brunnen - hebt sich ein wenig, senkt sich, hebt sich wieder... und beginnt, zur Seite zu rutschen.

»Sch-Sch-Schieb, Ben, das D-D-Ding b-bricht mir n-noch die Schulter ab...«

Der Deckel rutscht weiter zur Seite, neigt sich und fällt in das Gestrüpp, das rings um den Betonzylinder wächst. Nacheinander steigen sie heraus, sieben Kinder, die sich umschauen, als hätten sie nie zuvor Tageslicht gesehen, als hielten sie es für ein Wunder.

»Es ist so still...« sagt Beverly leise.

Die einzigen Geräusche sind das laute Plätschern des Flusses und das einschläfernde Summen der Insekten. Das Unwetter ist vorüber, aber der Wasserstand des Kenduskeags ist immer noch hoch. Näher zur Stadt hin, unweit der Stelle, wo der Fluß in ein Betonkorsett eingeschnürt wird, ist er über die Ufer getreten, hat allerdings keine größeren Schaden angerichtet - einige nasse Keller sind das Schlimmste. Zumindest diesmal.

Stan Uris entfernt sich von ihnen; sein Gesicht ist ernst und nachdenklich. Bill glaubt im ersten Moment, daß Stan am Ufer ein kleines Feuer entdeckt hat - Feuer ist sein erster Eindruck Etwas blendend Rotes.

Stan hebt das Feuer mit der rechten Hand auf und als der Winkel des Lichteinfalls sich ändert, erkennt er, daß es nur eine Colaflasche ist, die jemand hier weggewofen hat. Er beobachtet, wie Stan die Flasche umdreht, am Hals packt und auf einem Stein am Ufer zerschlägt. Bill bemerkt, daß nun auch alle anderen Stan beobachten, während er die Flaschenscherben begutachtet. Sein Gesicht ist immer noch ernst und konzentriert. Schließlich hebt er eine flache Glasscherbe auf. Die untergehende Sonne taucht sie in rotes Licht, und Bill denkt wieder: Wie ein Feuer.