Die Gestalt achtete nicht darauf. Sie drückte auf eine Taste.
»Obie! Alles in Ordnung mit dir?«rief sie.
»Ja, Dr. Zinder«, erwiderte der Computer.»Das heißt, es steht viel besser, als Sie oder ich erwartet haben.«
»Wie sieht es aus, Obie? Was ist geschehen?«
»Ich habe alle Daten analysiert und korreliert, so gut ich konnte, Sir. Wir sind, wie erwartet, aus der Wirklichkeit entfernt und an einem anderen Ort wieder zusammengefügt worden. Wir scheinen uns in einer stabilen Umlaufbahn ungefähr vierzigtausend Kilometer über dem Äquator eines sehr seltsamen Planeten zu befinden.«
»Das Gehirn, Obie!«rief Zinder aufgeregt.»Ist es das markovische Gehirn?«
»Ja, Sir, das scheint es zu sein«, erwiderte der Computer beunruhigt.
»Was ist denn, Obie?«
»Das Gehirn, Sir«, sagte Obie zögernd.»Ich habe eine direkte Verbindung damit. Es ist unfaßbar, mir so weit überlegen wie ich einem Taschenrechner. Ich kann knapp ein Millionstel der Informationssignale entziffern, die es übermittelt, und ich bezweifle, ob ich es je ganz verstehen kann, aber —«
»Aber was?«drängte Zinder, der nicht einmal bemerkte, daß Yulin hinter ihm aufstand.
»Nun, Sir, soweit ich das verstehen kann, scheint es mich um Anweisungen zu bitten«, erwiderte Obie.
Auf Treligs Schiff, ein halbes Lichtjahr von Neu-Pompeii entfernt — 12.10 Uhr
Die Welt kehrte plötzlich zurück. Mavra Tschang schaute sich betäubt um, dann prüfte sie die Instrumente. Sie zeigten Unsinniges an, also schaute sie hinüber zu Renard und sah, wie er mühsam den Kopf schüttelte.»Was ist passiert?«stieß er hervor.
»Wir sind im Feld gepackt und mitgerissen worden«, erklärte Mavra mit größerer Sicherheit, als sie empfand. Sie blickte wieder auf die Instrumente, dann tippte sie einen unbestimmten Suchbefehl ein. Der Bildschirm flackerte, blieb aber leer. Schließlich schaltete sie ab.
»Jetzt sitzen wir da«, sagte sie resigniert.
»Was meinen Sie?«fragte Renard.
»Ich habe gerade das Sternkarten-Ortungsgerät eingeschaltet. In dem kleinen Chip sind sämtliche bekannten Sternanordnungen aus jedem Winkel gespeichert. Es gibt Milliarden Kombinationen. Er ist sie alle durchgegangen — ohne etwas anzuzeigen. Wir sind in keinem Sektor des bekannten Weltraums.«
»Und was tun wir jetzt?«fragte er angstvoll.
Mavra betätigte eine Reihe von Schaltern und zog einen langen Hebel zu sich heran. Das Heulen und die Vibration des Schiffes ließen nach.
»Zuerst sehen wir uns an, wie die Gegend aussieht, dann entscheiden wir, wohin wir dort wollen«, sagte sie sachlich.
Sie tastete neue Befehle ein, und der Hauptschirm vor ihnen, der gewöhnlich ein simuliertes Sternfeld zeigte, präsentierte etwas ganz anderes. Da waren Sterne — viel mehr Sterne, als einer von ihnen je zuvor gesehen hatte. Sie standen so eng beieinander, daß es aussah, als wäre das Firmament in weißglühendem Feuer aufgegangen. Es bedurfte mehrerer Filter, um Trennschärfe zu erzielen, und auch das nützte nicht viel. Daneben gab es riesige Wolken aus Raumgas, blutrot und gelb leuchtend, und es gab Umrisse und Formen, die noch nie jemand gesehen hatte, auch nicht auf astronomischen Aufnahmen.
»Wir sind ganz eindeutig in einer fremden Gegend«, sagte Mavra trocken, setzte die Geschwindigkeit weiter herunter und begann das Raumschiff zu wenden.»Wir sind fast im Stillstand«, sagte sie zu ihm.»Ich werde uns eine Panoramaübersicht geben.«
Die riesigen Sternwolken und fremdartigen Formen schrumpften nicht; sie waren umgeben davon. Ein kleines, grünes Gitter links von Mavra war fast leer und zeigte an, daß innerhalb eines Lichtjahres sich nichts in ihrer Nähe befand. Dann tauchte plötzlich eine Reihe kleiner Punkte auf.
»Da, Treligs Roboterstationen«, sagte sie.»Alles andere sind Überreste vom Rest des zersprengten Systems. Die ganze Umgebung scheint mitgekommen zu sein. Wenn das zutrifft — ja, sehen Sie? Der große Punkt dort, mit dem etwas kleineren nahebei. Das ist Neu-Pompeii mit dem vorgesehenen Ziel.«
»Aber was ist das große Objekt rechts davon?«fragte Renard.
»Ein Planet. Dem Anschein nach der einzige Planet des Systems. Seltsam, daß es das ganze Sonnensystem mitgerissen hat, aber nicht den Stern. Dieser Stern ist entschieden größer und älter.«
»Es bewegt sich«, sagte Renard, wider Willen fasziniert.»Neu-Pompeii bewegt sich.«
Mavra studierte den Planetoiden, tastete Anweisungen ein und erhielt die Daten.
»Er befindet sich in einer Umlaufbahn um den Planeten, ist zu seinem Satelliten geworden. Sehen wir uns das genau an.«Wieder drückte sie auf Knöpfe, und der große Planet rückte auf dem grünen Schirm näher.
»Nicht sehr groß«, meinte Mavra.»Augenblick… ungefähr Durchschnitt, würde ich sagen. Etwas mehr als vierzigtausend Kilometer Umfang. Hmmm… das ist interessant!«
»Was denn?«
»Der Durchmesser ist von Pol zu Pol genau gleich«, erwiderte sie betroffen.»Das ist fast ausgeschlossen. Das verdammte Ding ist exakt kugelförmig, kein Meter Abweichung!«
»Ich dachte, die meisten Planeten sind rund«, meinte er verwirrt.
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein, es hat nie einen ganz runden gegeben. Rotation, Kreislauf, alles fordert seinen Tribut. Planeten wölben sich oder werden birnenförmig, es gibt alle möglichen Formen. Ungefähr rund, ha — aber dieses Ding ist vollkommen rund, so, als hätte«- sie verstummte für einen Augenblick —,»als hätte jemand es — gebaut«, schloß sie staunend. Bevor Renard etwas erwidern konnte, lenkte sie das Schiff auf den fremden Planeten zu.
»Sie wollen hin?«fragte er.
Mavra nickte.
»Wenn wir es überstanden haben, dann die Leute auf Neu-Pompeii auch«, sagte sie.»Das heißt, daß da hinten irgendwo ein wutentbrannter, wahrscheinlich mordlustiger Antor Trelig ist, zusammen mit einer Menge zu Tode erschrockener Leute. Wenn er noch alles unter seiner Gewalt hat, wäre es für uns drei besser, dieses Schiff zu sprengen, als zu landen. Wenn nicht, würden wir in eine menschliche Hölle treten.«
Renards Miene war ausdruckslos. Mavra, mit der Steuerung beschäftigt, beachtete ihn kaum. Der Planet hatte jetzt die Größe einer Apfelsine. Das grüne Gitter ließ erkennen, daß Neu-Pompeii im Begriff stand, dahinter zu verschwinden.
»Es hat eine senkrechte Achse!«sagte sie erregt.»Der Planet ist wirklich von jemandem gebaut worden!«Sie sah Renard an.»Was ist los mit Ihnen?«
Er befeuchtete die Lippen und starrte vor sich hin.
»Der Schwamm«, sagte er dumpf.»Er kommt jeden Tag um achtzehn Uhr mit einem Lieferschiff. Ihr Schiff ist nicht mitgekommen, also das andere auch nicht, wenn es überhaupt schon in der Nähe war.«Er sah sie angstvoll an.»Heute gibt es keinen Schwamm. Es wird nie wieder Schwamm geben. Nicht für mich, nicht für sie.«
Mavra begriff plötzlich, was durch seinen Kopf ging, und Nikki würde dasselbe durchmachen. Sie hatten sie hinten festgeschnallt und fast vergessen.
»Dann bleibt als einzige Hoffnung, daß auf dieser Welt jemand lebt, der ein gutes Chemielabor hat«, sagte sie nach einer Pause.
Renard lächelte schwach.
»Nett von Ihnen, aber selbst wenn das der Fall wäre — bis wir uns mit den Leuten in Verbindung setzen und eine Möglichkeit finden, mit ihnen zu reden, ihnen das Problem zu erklären und etwas von ihnen zusammenmixen zu lassen, haben Sie zwei nackte Affen vor sich.«
»Was bleibt sonst?«sagte sie achselzuckend. Plötzlich fiel ihr etwas ein.»Ich frage mich, ob die Aufseher auf Neu-Pompeii schon dahintergekommen sind. Was werden sie tun, wenn die Lieferung nicht um achtzehn Uhr kommt und ihre Angst immer größer wird?«
»Wahrscheinlich das, was ich auch tun würde. Trelig suchen und die letzte Befriedigung darin finden, ihn zu Tode zu foltern.«