»Auflösung?«fragte Renard.
»Es gibt drei Systeme in diesen Schiffen«, erklärte Mavra.»Zwei elektrische, ein mechanisches. Ich hoffe, das mechanische funktioniert, weil wir keinen Strom haben. Bei zwei von den Systemen, das mechanische eingeschlossen, löst das Schiff sich in Kapseln auf. Durch die Mechanik werden dreißig Sekunden nach der Trennung Fallschirme ausgelöst, und durch den Luftwiderstand wird der Hauptschirm herausgerissen. Es wird ungemütlich werden.«
»Müssen wir sterben?«hörte sie Nikki fragen.
»Ist vielleicht besser so«, murmelte Renard vor sich hin.
Mavra begriff, was er meinte. Es würde gewiß schneller gehen als mit Schwamm.
»Hoffentlich nicht«, sagte sie.»Wenn es im Weltraum einen völligen Ausfall gäbe, würden wir die Luft verbrauchen. Aber hier unten — ich weiß nicht. Wenn wir die Luft atmen können und die Landung überleben und die Fallschirme aufgehen, sollten wir es schaffen.«
Sehr viele Wenns, dachte sie. Vermutlich zu viele.
Das Schiff schwankte, und überall krachte und ratterte es. Die Trennung hatte stattgefunden.
»Tja«, sagte sie seufzend.»Wir können jetzt ohnehin nichts mehr tun. Selbst wenn der Strom wiederkäme — wir haben keinen Antrieb mehr.«
Schnell hintereinander gab es scharfe, unregelmäßige Rucke. Renard stöhnte. Dann ruckte die Brücke so heftig, daß ihnen schwindlig wurde.
»Die Fallschirme«, sagte Mavra.»Sie sind aufgegangen. Wir haben draußen Luft.«
Nun kam eine schwindelnde, schwankende, polternde Fahrt durch völlige Dunkelheit. Nach einigen Minuten wurde ihnen übel. Nikki begann sich gerade zu beklagen, als ein gewaltiger Ruck die Brücke erschütterte.
»Hauptschirm«, sagte Mavra seufzend.»Festhalten. Jetzt geht es erst richtig los.«
Und so war es. Es kam ihnen vor, als wären sie an eine Ziegelwand geschleudert worden, sie schienen sich zu überschlagen und mit dem Kopf nach unten zu hängen.
»Ganz vorsichtig!«warnte Mavra.»Wir liegen auf der Decke. Die Schwerkraft fühlt sich an, als wäre es 1g — ungefähr richtig für einen Planeten dieser Größe. Nikki, alles in Ordnung?«
»Ich fühle mich scheußlich«, klagte das Mädchen.»Mein Gott! Ich glaube, ich blute. Es kommt mir vor, als wären sämtliche Knochen gebrochen.«
»Bei mir doppelt«, ächzte Renard.»Und Sie?«
»Ich habe Brandwunden von den Gurten«, sagte Mavra.»So kommt es mir jedenfalls vor. Noch zu früh, um genau zu beurteilen, was alles passiert ist. Im Augenblick ist es der Schock. Zuerst wollen wir einmal herunter, dann können wir uns um die Verletzungen kümmern. Nikki, Sie bleiben, wo Sie sind! Wir holen Sie gleich herunter.«
Sie spürte, wie die Gurte sie festhielten. An der Schnalle waren nur noch einige Zentimeter zu fühlen. Noch ein Ruck, und wir fallen hinaus, dachte sie.
»Renard!«sagte sie.»Hören Sie, ich kann in dieser Dunkelheit sehen, aber Sie nicht, und ich kann nicht hinunter, ohne daß Sie abstürzen. Trachten Sie, daß Sie sich am Stuhl festhalten können, wenn ich die Gurte öffne. Es sind ungefähr vier Meter, aber er ist glatt und rund. Dann hole ich Sie auf den Boden herunter.«
Sie führte seine Arme, und er hielt sich fest, aber er saß verkehrt, um richtig zupacken zu können.
»Vielleicht hätte ich es vor Jahren gekonnt«, sagte er zweifelnd.»Ich habe nicht mehr genug Kraft.«
»Versuchen Sie sich hinauszuschwingen, und springen Sie, wenn Sie müssen«, sagte sie.»Also… los!«
Sie drückte auf den Knopf, und das Gurtnetz fiel herunter. Sie ließ sich sofort auf den Boden fallen und überschlug sich. Renard schrie auf, dann ließ er los und stürzte Hals über Kopf herab. Sie ging zu ihm, untersuchte ihn, betastete seine Gliedmaßen.
»Ich glaube nicht, daß etwas gebrochen ist«, sagte sie.»Kommen Sie! Ich weiß, alles tut Ihnen weh, aber ich brauche Sie, um Nikki herunterzuholen.«
Er hatte sich den Knöchel verrenkt und konnte kaum stehen, biß aber die Zähne zusammen. Vorsichtig schob er sich unter Nikki und konnte sie berühren.
Er war nicht stark genug, sie aufzufangen, aber er milderte ihren Sturz ein wenig, und sie landete auf ihrem Hinterteil. Es war schmerzhaft, und sie stöhnte, aber auch sie hatte sich nichts gebrochen.
Renard atmete tief ein und rieb sich mit schmerzenden Armen die schmerzenden Beine.
»Nur aus Neugier, Mavra, wie oft haben Sie schon eine solche Landung gemacht?«stieß er hervor.
»Noch nie«, erwiderte sie leise lachend.»Es heißt, diese Systeme seien zu unpraktisch. Viele Raumschiffe haben sie gar nicht mehr. Man kann sie nur ganz selten brauchen.«
»Und wie kommen wir hier heraus?«
»Es gibt oben und unten Ausstiegsluken. Das ganze Ding ist eine Luftschleuse, aber natürlich ohne Pumpe. Ihr müßt mich hochheben, damit ich die Schalter bedienen kann.«
Er stöhnte, brachte es aber zustande. Nach einigen Versuchen zischte es, und die Luke klappte herunter. Wieder vergingen lange Minuten, während Mavra versuchte, von seinen Schultern hinaufzuspringen und sich am Lukenrand festzuhalten. Endlich, als sie schon aufgeben wollte, konnte Mavra sich hochziehen und die Außenluke öffnen.
»Und wenn wir draußen nicht atmen können?«schrie Nikki hinauf.
»Dann haben wir Pech gehabt«, entgegnete Mavra. Sie wußte zwar, daß die Aussichten nicht groß waren, aber ein Meer und grüne Bäume — das gab Hoffnung.
Sie zog sich hinaus und schaute sich um.
»Riecht eher seltsam, aber ich glaube, wir leben alle noch!«rief sie hinunter.»Ich hole ein Kabel aus dem Arbeitsfach!«
Bei Nikki gab es die größten Probleme. Sie war sehr schwer und kaum beweglich, und während sie in der Dunkelheit zerrten, nachdem Renard hinaufgeklettert war, schienen seine und Nikkis Arme den Dienst versagen zu wollen. Endlich gelang es ihnen mit vereinten Kräften, das Mädchen hinauszuhieven.
Sie sanken erschöpft auf offenbar richtiges Gras, während sich die Landschaft um sie drehte. Mavra vollführte eine Reihe von Übungen zur Körperbeherrschung und vermochte einen großen Teil der Schmerzen zu verbannen, nicht aber die Erschöpfung. Sie öffnete die Augen, schaute sich nach den beiden um und sah sie schlafen.
Sie blickte am Horizont entlang. Nichts sah besonders bedrohlich aus; es war gegen Mittag, und die Umgebung glich einer stillen Waldszene, wie es sie auf Hunderten von Planeten gab. Manche Insekten waren hörbar, und sie sah verschiedene ganz normal aussehende Vögel hoch oben am Himmel schweben, aber sonst war kaum etwas wahrzunehmen.
Sie blickte wieder auf ihre bewußtlosen Begleiter und seufzte. Einer mußte trotzdem wach bleiben.
Neu-Pompeii — 11.50 Uhr
Ein blauweißer Strahl surrte durch die mächtige Leere in der Vertiefung der riesigen Schüssel. Ein Teil der Leiste um den Kontrollraum schwelte und zischte. Jemand fluchte. Überall gab es Trefferspuren, und das Fenster hinaus zum Schacht war längst zerschossen.
Gil Zinder saß nervös an seiner Konsole auf der Galerie. Antor Trelig stand fluchend neben dem Eingang und versuchte auszumachen, wo die Schützen sich befanden. Ben Yulin, auf der anderen Seite der Tür, überprüfte die Ladung seiner Pistole.
»Warum macht ihr die Tür nicht zu?«rief Zinder.»Die schießen jetzt schon hier herein!«
»Halten Sie den Mund!«fauchte Trelig.»Wenn wir sie schließen, können sie sie mit dem Strahlfeuer festschweißen, und wir kommen nie mehr heraus.«
Ben Yulin schnippte mit den Fingern und huschte zur Konsole.
»Obie?«sagte er, nachdem er auf eine Taste gedrückt hatte.
»Ja, Ben?«antwortete der Computer.
»Obie, wie ist deine Optik im Tunnel? Kannst du uns sagen, wie viele es sind, und was für ein Schaden besteht?«
»Meine Optik ist unbeschädigt«, erwiderte Obie.»Sie sind noch sieben. Ihr habt drei erschossen. Der Schacht-Kontrollraum ist stark beschädigt, die Wand auch, aber nichts Ernsthaftes.«