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»Alles hat einen Sinn, bis man tot ist«, erwiderte sie gereizt.

»Glauben Sie wirklich? Ist das nicht nur zur inneren Aufmunterung?«

Sie starrte in die Dunkelheit.

»Ich bin von einer rauhen Frachterpilotin aufgezogen worden. Wohl nicht die ideale Mutter, aber sie hat mich auf ihre Weise geliebt, und ich liebte sie. Ich bin im Weltraum aufgewachsen, das große Frachtschiff war mein Spielplatz, alle paar Wochen kamen neue Häfen, glitzernd und aufregend.«

»Muß einsam gewesen sein«, meinte er.

»Nein, gar nicht. Für mich war das ja normal. Und es hat mich gelehrt, allein sein zu können. Das war wichtig, weil meine Mutter viele illegale Dinge trieb. Das machen die meisten Frachterkapitäne, aber bei ihr muß es sehr bedeutsam gewesen sein. Die Kom-Polizei faßte sie, und das Schiff wurde beschlagnahmt. Ich war damals dreizehn und kaufte gerade in den Läden am Raumflughafen ein. Ich konnte nichts tun, mich nicht einmal zeigen. Also blieb ich auf Kaliva.«

»Hatten Sie nie Schuldgefühle, weil Sie nicht versucht haben, sie herauszuholen?«

»Nein, ich glaube nicht. Ich hatte natürlich alle möglichen Ideen, aber ich bekam keine Chance, sie auszuführen. Es ging alles viel zu schnell. Nein, ich war allein.«

»Ihrem Ton nach mögen Sie die Kom-Welten nicht sehr, wie?«

»Man hat meine Familie ermordet«, zischte sie.»Ich war kaum älter als fünf Jahre, aber ich erinnere mich an sie. Ich erfuhr später von Maki, meiner Stiefmutter, wie alles gewesen war. Sie heuerten einen Raumfahrer an, der mich fortschaffen sollte, weil sie sahen, daß sie selbst nicht mehr wegkamen, als ihre Welt in den Kom-Verband ging. Ich erinnere mich seltsamerweise nach all den Jahren noch immer an den Piloten. Ein seltsamer kleiner Mann in farbenfroher Kleidung mit mächtiger Stimme, teilweise recht zynisch, aber er hatte eine Sanftheit und Güte an sich, die zu verbergen er verzweifelt bemüht war, ohne daß es ihm gelungen wäre. Seltsam — ich bin mir nicht einmal sicher, wie er hieß, und ich war mit fünf Jahren nur einige Tage mit ihm zusammen, aber er ist für mich so real wie meine Stiefmutter. Ich vertraute ihm einfach, ich weiß selbst nicht, warum. Ich bin nie mehr einer solchen Person begegnet.«

»Haben Sie je versucht, ihn zu finden?«fragte Renard.

»Ich hatte in den folgenden Jahren zuviel damit zu tun, am Leben zu bleiben«, erwiderte sie achselzuckend.»Bis ich die Mittel dazu besaß, war er wohl schon tot. Ich muß zugeben, daß eine Reihe von Leuten ihn nach meiner Beschreibung zu erkennen schien, aber es gab nichts Greifbares. Manche sagten, ich spräche von einer Legende, einem mystischen Raumschiffkapitän, der nie existiert habe, eine epische Gestalt, wie es sie in vielen Berufszweigen gibt. Einmal bin ich einem Kapitän begegnet, einem alten Veteranen, der erklärte, den Mann gäbe es wirklich irgendwo, und er sei sehr alt, angeblich unsterblich, zurückreichend bis in die Vorgeschichte.«

»Und wie heißt diese Legendengestalt?«

»Nathan Brazil. Ist das nicht ein seltsamer Name? Irgend jemand sagte, Brazil sei der Name eines vorgeschichtlichen Ortes, einer der frühen Raumfahrtmächte.«

»Der Ewige Jude«, murmelte Renard.

»Wie?«

»Eine uralte Legende bei einigen der früheren Religionen«, sagte er.»Es gibt, glaube ich, noch ein oder zwei christliche Planeten. Sie sind die Nachkommen einer noch obskureren und älteren Religion, des Judaismus. Die gibt es noch, diese Leute — irgendwo verstreut. Wahrscheinlich traditionell die größte Bin —«Er verstummte und sah sie betroffen an.»Bin —«

»Bindekraft?«sagte sie.

»Das ist es. Warum ist mir das Wort nicht eingefallen?«Er ging nicht weiter darauf ein, aber Mavra hatte ein unheimliches Gefühl. Eine Kleinigkeit, aber bedeutsam.

»Jedenfalls gab es diesen Mann, der jüdisch war und behauptete, Gottes Sohn zu sein. Deshalb töteten ihn die damaligen Machthaber, weil sie befürchteten, er könnte eine Revolution anzetteln. Angeblich soll er von den Toten auferstanden sein. Ein Jude soll ihn bei seiner Hinrichtung verflucht und erfahren haben, er werde am Leben bleiben, bis dieser Gott-Mensch wiederkehre. Dieser Nathan Brazil hört sich an wie die Modernisierung dieser Legende.«

Sie nickte.

»Ich habe an diese Dinge nie geglaubt, nicht an Unsterbliche, die Raumschiffe steuern, aber viele Raumfahrer, die an nichts anderes glauben, halten das für wahr.«

»Das erklärt vielleicht, was mit Ihnen geschehen ist«, sagte Renard lächelnd.»Wenn die Legende weit verbreitet ist, dann könnte vielleicht jemand, der ihn kannte, ihn imitieren und die anderen Raumfahrer davon überzeugen, er sei diese legendäre Gestalt. Sie würden für ihn Dinge tun, die ein anderer nicht erwarten könnte.«

»Ich weiß nicht, vielleicht haben Sie recht. Aber an dem Mann war wirklich etwas Besonderes, das ich nicht erklären kann.«

»Sie waren fünf Jahre alt«, sagte er.»Da hat man oft merkwürdige Eindrücke.«

Mavra wollte das Gespräch abbrechen, weil es sie bedrückte, aber auch weil Renard Schwierigkeiten zu haben schien, bestimmte Worte zu finden. Er sprach auch langsamer und bedächtiger als früher.

Er schien jedoch auf die Unterhaltung Wert zu legen, also war es wohl das Beste, wenn sie einen Großteil des Gespräches bestritt.

»War das nicht sehr schwer, mit dreizehn Jahren schon allein zurechtkommen zu müssen?«fragte er.

»Doch. Ich saß auf einer fremden Welt, sah aus wie eine Achtjährige, hatte nur ein paar Münzen und kannte nicht einmal die Sprache der Straße. Wenigstens war es keine Kom-Welt. Ich benützte mein letztes Geld dazu, einem kleinen Mädchen die Kleidung abzukaufen, die ganz schmutzig und zerfetzt war. Ich sah aus wie eine richtige Gassengöre. Dann machte ich mich an die Arbeit. Ich bettelte und verdiente nicht schlecht.«

»Keine Probleme mit Vergewaltigung oder Banden?«fragte er erstaunt.

»Eigentlich nicht. Ich hatte ein paarmal Schwierigkeiten, aber es kam immer jemand daher, oder ich konnte fliehen. Und die Bettler halten zusammen, wenn man erst einmal in die Bruderschaft aufgenommen ist. Ich wohnte schließlich in einer alten Hütte vor der Stadt.«

»Wie lange ging das so?«

»Über drei Jahre. Es war kein schlechtes Leben. Man gewöhnte sich daran. Und ich wuchs auf, entwickelte mich ein wenig und träumte. Jeden Tag ging ich zum Raumflughafen, sah mir die Schiffe an und guckte in die Kneipen der Raumfahrer. Ich wußte, wo ich hinwollte, und mir wurde auch klar, daß ich mit dem Betteln zwar mein Leben fristen konnte, aber nie fortkommen würde. Manche Raumfahrer warfen mit dem Geld nur so um sich, weil sie außer dem Schiff kein Zuhause hatten.«

Renard war entsetzt.

»Sie wollen doch nicht sagen, daß Sie —«

»Ich war zu klein, um Kellnerin zu werden, und ich konnte nicht über die Bar greifen«, sagte sie achselzuckend.»Tanzen lernte ich nie richtig, ich war nicht gebildet und konnte mich in Gesellschaft nur schlecht bewegen. Ich redete wie eine Werftratte. Ich hatte nur eines zu verkaufen, und ich lernte, es richtig zu verkaufen. Männer, Frauen, einmal, zweimal, zehnmal in der Nacht, wenn es ging. Nach einer Weile wurde es ziemlich langweilig, und das Ganze bedeutete überhaupt nichts, aber du lieber Himmel, wie strömte das Geld!«

Er sah sie betroffen an.

»Jetzt können Sie sich aber sehr gut ausdrücken«, meinte er verlegen.

»Und Sie sagten, Sie wären Pilotin. Haben Sie genug Geld verdient, um das alles nachzuholen?«

Sie lachte trocken.

»Nein, nicht damit. Ich lernte einen Mann kennen — einen sehr guten und sanften Mann, der Frachterkapitän war. Er kam regelmäßig zu mir. Ich mochte ihn. Er hatte Eigenschaften wie der Retter, von dem ich vorhin erzählt habe. Er war laut, wild, zynisch, haßte die Kom-Welten und war so tapfer wie kein zweiter. Ich glaube, ich wußte, daß ich ihn liebte, daß ich froh war, wenn er kam, was ich bei den anderen nie erlebt hatte. Als ich dahinterkam, daß er oft Umwege machte, um mich zu sehen, wurde unsere Beziehung noch enger. Und er hatte sein eigenes Schiff, die ›Assateague‹, ein wirklich gutes, schnelles, modernes Raumschiff.«