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»Das ist eigentlich ungewöhnlich, nicht?«meinte Renard.»Ich meine, solche Schiffe sind für Konzerne, nicht für einzelne Personen gedacht. Ich habe nie gehört, daß ein Kapitän sein eigenes Schiff hatte.«

»Es ist ungewöhnlich, gewiß«, gab sie zu.»Ich kam erst später dahinter, als er mich bat, mitzukommen, er könne sich die dauernden Abstecher nicht leisten. Das hatte ich mir immer gewünscht, also tat ich es natürlich. Und dann mußte er mir sagen, warum er so viel Geld hatte. Er war ein Dieb.«

Renard mußte lachen.

»Was hat er gestohlen und bei wem?«

»Alles, bei jedem«, sagte sie.»Der Frachter war Tarnung und sorgte für Beweglichkeit. Juwelen, Kunstwerke, Gold, Silber, was Sie wollen. Wenn es wertvoll war, stahl er es. Bei reichen Leuten, Konzernchefs, Parteiführern auf Kom-Welten. Manchmal unternahm er Einbrüche, manchmal machte er es mit Elektronik und intimer Kenntnis der Bürokratie. Nachdem wir uns zusammengetan hatten, wurden wir ein Team. Er kaufte alle möglichen Lehrmaschinen, Schlaflerngeräte, Hypnohilfen und dergleichen, und er schulte mich, bis ich gebildet sprechen und mich richtig benehmen konnte.«Sie kicherte.»Einmal brachen wir in den Zentralspeicher der Union Aller Monde ein, tauschten Chips aus und ließen drei Tage lang das Planetareinkommen automatisch auf Sonderkonten bei Konföderationsbanken überweisen. Man ist nie dahintergekommen.«

»Und was ist aus Ihrem Mann geworden?«fragte Renard.

Sie wurde ernst.

»Wir sind von der Polizei nie erwischt worden. Nie. Wir waren zu gut. Aber eines Tages holten wir uns zwei herrliche massiv goldene Figuren des alten Künstlers Sun Tat, und sie mußten einem großen Sammler verkauft werden. Das Treffen fand in einer Bar statt, und wir hatten keinen Grund, Verdacht zu schöpfen. Der Sammler war aber ein Strohmann für einen großen Syndikatsboß, den wir ein Jahr vorher ausgeraubt hatten, und das Ganze war abgekartet. Sie zerteilten ihn in kleine Stücke und ließen die Überreste neben den Figuren liegen.«

»Und Sie haben das Schiff geerbt«, riet Renard.

»Ja. Ungefähr ein Jahr zuvor hatten wir uns für alle Fälle zu einer traditionellen Zeremonie entschlossen. Er bestand darauf, und es war gut so. Ich war seine Alleinerbin.«

»Und seitdem sind Sie allein gewesen?«

Ihre Stimme klang kalt und ätzend.

»Ich habe ein halbes Jahr dafür aufgewendet, seine Mörder aufzuspüren. Sie sind alle gestorben — langsam. Jeder wußte, warum. Zuerst konnte sich der große Boß nicht einmal an ihn erinnern.«In ihren Augen standen Tränen.»Aber am Ende fiel es ihm wieder ein«, fügte sie befriedigt hinzu.»Seitdem habe ich sozusagen das Familiengeschäft fortgeführt. Ich habe für das Beste bezahlt, was die Unterwelt zu bieten hat, und mich in Topform gehalten. Chirurgen haben mich in eine tödliche kleine Waffe verwandelt und Dinge eingebaut, an die Sie im Traum nicht denken würden. Selbst wenn man mich je fassen sollte, würde man das, was ich Ihnen eben erzählt habe, auch selbst mit Tiefensonden nicht herausholen können.«

»Sie sind beauftragt worden, Nikki herauszuholen, nicht?«sagte er.

»Ja. Wenn man einen Gauner nicht erwischen kann, setz ihn dazu ein, andere Gauner zu fangen. Das war der Gedanke. Es hätte beinahe geklappt.«

Er gab einen Brummlaut von sich.

»Über mich gibt es eigentlich nichts zu sagen«, erklärte er leise.»Nichts Gewalttätiges oder Romantisches.«

»Sie sagten, Sie wären Lehrer gewesen«, meinte sie.

Er nickte.

»Ich komme von Moskowitien«, erwiderte er.»Eine Kom-Welt, ja, aber keine wirklich schlimme. Nichts von genetischer Manipulation. Traditionelle Familienstruktur und fünfmal am Tag Gebete — ›Es gibt keinen Gott außer Marx, und Lenin ist sein Prophet‹.«Er suchte merklich nach Worten. Sie fielen ihm schwer. Es schien ihm nicht aufzufallen.»Ich war begabt, also kam ich in die Schule. Etwas Nützliches interessierte mich aber nicht, deshalb studierte ich alte Literatur«— er sprach es aus, so gut er konnte —»und wurde Lehrer. Ich war immer ein wenig feminin, aber nicht innerlich. Man lachte mich oft aus. Das tat weh. Selbst die Schüler waren gemein, meist hinter meinem Rücken, aber ich wußte genau, was sie sagten. Ich mochte die Männer nicht, die andere Männer wollen, und die Frauen glaubten alle, ich wollte sie nicht. Ich zog mich in mich selbst zurück.«

»Warum nicht zum Psychiater?«

»Ich bin ein paarmal zu solchen Leuten gegangen«, antwortete er.»Sie redeten alle wildes Zeug, ob ich meinen Vater geliebt hätte und dergleichen mehr. Nichts wirkte. Ich wurde immer unglücklicher. Ich dachte an Selbstmord, aber das schienen die Untersuchungen ergeben zu haben, und die Polizei kam und holte mich. Ich kam in das politische Heim. Man schien das persönlich übelzunehmen, meinen Wunsch, mich umzubringen. Wenn ich versagt hatte, dann hatte das ganze System versagt, so ungefähr. Man überlegte, ob man mich löschen und zur Frau machen sollte, mit einer neuen Persönlichkeit.«

»Warum hat man Sie nicht einfach getötet, und aus?«fragte Mavra.»Das wäre billiger und einfacher gewesen.«

Er sah sie entsetzt an, dann dachte er an ihre Herkunft.

»Auf Kom-Welten tut man so etwas einfach nicht. Jedenfalls nicht auf Moskowitien. Nein, ich wurde dort lange festgehalten, ich weiß nicht genau, wie lange. Dann kam jemand und erklärte mir, ein hohes Tier wolle mit mir reden. Ich hatte keine Wahl, also ging ich hin. Er war von einer anderen Kom-Welt, einer ganz verkommenen — echter Hermaphroditismus, genetisch identische Menschen, darauf programmiert, ihre Arbeit zu lieben, und so weiter. Er sagte, er brauche — ausgerechnet! — einen Bibliothekar. Leute, die Bücher lesen konnten und mit ihnen vertraut waren, gab es selten, gewiß. Selbst Moskowitien hatte zweiundneunzig Prozent Anal-Nicht-Leser.«Wieder hatte er Schwierigkeiten mit den längeren Wörtern.

»Trelig«, sagte sie.

Er nickte.

»Genau. Ich wurde mit seinem Schiff nach Neu-Pompeii gebracht, bekam eine große Überdosis Schwamm und war süchtig. Meine Mädchenhaftigkeit verstärkte sich hundertfach, meine Züge und mein Körper wurden immer weiblicher, bis hin zu den Brüsten. Aber es war seltsam. Meine männlichen Organe wuchsen sogar noch, und im Kopf blieb ich ein Mann. Auf Neu-Pompeii hatte ich dann mein erstes sexuelles Erlebnis. Ich war auch wirklich sein Bibliothekar — und zugleich einer der Aufseher für besondere Gefangene wie Nikki. Alle Leute auf Neu-Pompeii hatten psychische Probleme irgendeiner Art und eine besondere Fähigkeit, die Trelig nutzen konnte. Er rekrutierte sein Personal bei den besten Anstalten im Kom-Verband.«

»Und hier sind Sie«, sagte sie leise.

»Ja, hier bin ich«, nickte er seufzend.»Als ich Ziggi niederschoß und Ihnen half, zu entkommen, fühlte ich, daß es die erste wichtige Tat in meinem Leben war. Ich kam mir beinahe vor, als wäre ich nur für diesen einen Augenblick geboren worden. Und jetzt sehen Sie sich an, in welcher Klemme wir sitzen.«

Sie küßte ihn sanft auf die Wange.

»Schlafen Sie, und machen Sie sich nicht so viele Sorgen. Ich habe noch nicht verloren — und wenn ich nicht, dann Sie auch nicht.«

Sie wünschte sich, daran glauben zu können.

Uchjin, nördliche Halbkugel

»Verdammter Mist«, sagte Ben Yulin und starrte auf die Landschaft hinaus. Ohne Strom für das Lufterneuerungssystem des Schiffes waren sie gezwungen gewesen, ihre Raumanzüge anzuziehen. Der größte an Bord war für Zinder in Gestalt seiner korpulenten Tochter fast zu klein; aber die Anzüge paßten sich sehr unterschiedlichen Größen an. Man zog sie an, und sie waren riesengroß, schlaff und ausgeheult. Wenn man aber die Luftversorgung anschloß, zum Glück vom manuellen Typ, reagierte das Material, als sei es lebendig, und schrumpfte zusammen, bis es beinahe zu einer zweiten, sehr widerstandsfähigen weißen Haut wurde.