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Mavra Tschang fuhr aus dem Schlaf hoch und schaute sich um. Es war dunkel — sie hatte geraume Zeit geschlafen. Plötzlich spürte sie Kopfschmerzen, und ihr ganzer Körper war steif und verkrampft.

Sie entdeckte Renard und Nikki unter einem großen Baum. Er hatte den Arm um sie gelegt, beide schliefen. Mavra begriff sofort, was geschehen war; man konnte sich hier kaum saubermachen. Es störte sie, und daß es sie störte, störte sie erst recht. Vielleicht deshalb, weil sie es nicht verstehen konnte.

Sie kroch zum Rand der Lichtung. Es herrschte nicht mehr viel Kommen und Gehen draußen, ab und zu kam ein Wagen vorbei, beleuchtet von Fackeln.

Sie huschte zurück zu den beiden und weckte sie vorsichtig. Nikki schien ruhiger zu sein, was gut war, geistig aber noch geschwächter.

»Wir können bald hinüber«, sagte Mavra.»Wir gehen heute so weit, wie wir können, um die verlorene Zeit aufzuholen.«

»Wir laufen hinüber?«fragte Nikki.

»Nein, Nikki, nicht laufen, wir gehen ganz langsam.«

»Aber dath grothe Ding thieht unth!«

»Es sind nicht mehr viele«, erklärte Mavra.»Und wenn eines kommt, legen wir uns einfach hin und warten.«

Renard sah Nikki an und tätschelte ihre Hand. Das gefiel ihr, und sie schmiegte sich an ihn.

»Gehen wir, Nikki«, sagte er leise.

Sie standen auf und schlichen zum Rand der Ebene. Keine Fackeln oder Karren waren zu sehen, bis auf zwei trübe Lichter in weiter Ferne.

»Also, gehen wir, ganz ruhig und bedächtig«, sagte Mavra, ergriff Nikkis rechte Hand mit ihrer linken und Renards linke Hand mit ihrer rechten. Sie machten sich auf den Weg.

Es ging fast zu leicht. Die Wolkendecke war immer noch da, so daß es undurchdringlich dunkel war, und niemand befand sich auf den Straßen. Sie legten den Weg in zwanzig Minuten ohne Zwischenfall zurück.

Aber dann begann es zu regnen, stetig und warm. Der Boden wurde schnell schlammig, und sie waren im Nu durchnäßt. Der Wind nahm zu. Sie begannen zu frieren. Mavra sah keine andere Möglichkeit, als mit den beiden Zuflucht in einem dichten Hain von hohen Bäumen zu suchen, wo sie sich aneinanderpreßten und warteten.

Der nächste Morgen dämmerte heller und trockener, aber nur, weil die Wolken dünner geworden waren und der Regen aufgehört hatte. Sie sahen schlimm aus, schlammbespritzt, zerzaust und zerlumpt.

»Ich kann nicht mehr richtig denken«, klagte Renard.»Mir fällt vieles nicht ein. Woran liegt das, Mavra?«

Sie empfand tiefes Mitleid mit ihm, aber seine Frage konnte sie nicht beantworten. Nikki ging es natürlich noch schlechter. Sie fand eine Schlammpfütze und spritzte darin fröhlich herum, begann Schlammkuchen zu backen.

»Hallo!«rief sie.»Theht mal, wath ich gemacht hab'!«

Mavra seufzte und dachte angestrengt nach. Ein Blick auf die Sonne hatte ihr verraten, daß sie ungefähr in östlicher Richtung unterwegs gewesen waren, aber wie weit und in welchem Winkel?

Sie wußte, daß sie etwas tun mußte. Es blieb ihr keine andere Wahl. Sie jagte ihnen beiden etwas von der Hypnoseflüssigkeit unter die Haut und wählte ihre Worte mit Bedacht, damit sie ihr folgen konnten.

»Nikki, du weißt nicht mehr, was oder wer du bist, außer, daß du Nikki heißt, verstanden?«

»Mhm«, bestätigte das Mädchen.

»Du bist jetzt ein ganz kleines Mädchen, und ich bin deine Mami. Du liebst deine Mami und tust immer, was sie sagt, nicht wahr?«

»Mhm.«

Mavra wandte sich Renard zu.

»Renard, du weißt nichts davon, wer du bist oder wo wir sind, nur, daß du Renard heißt. Okay?«

»Gut.«

»Du bist Renard. Du bist fünf Jahre alt und mein Sohn. Ich bin deine Mami, und du liebst deine Mami und tust immer, was sie sagt. Verstehst du?«

Seine Stimme klang kindlicher, als er sagte:»Ja, Mami.«

»Gut. Nikki ist deine Schwester. Sie ist jünger als du, und du mußt ihr helfen. Verstehst du? Du liebst deine Schwester und muß ihr helfen.«

»Ja, Mami.«

»Nikki, Renard ist dein großer Bruder«, sagte sie zu dem Mädchen,»und du liebst ihn sehr. Du läßt dir von ihm helfen, wenn du in Schwierigkeiten bist.«

»Mhm«, sagte Nikki ganz kindlich.

Mavra war so zufrieden, wie sie es sein konnte. Sie holte die beiden aus dem Hypnoschlaf.

»Kommt, Kinder, wir müssen gehen.«

»Ah, bitte, Mami«, sagte Nikki,»können wir nicht noch thpielen?«

»Jetzt nicht. Wir müssen weiter. Kommt, gebt mir eure Hände.«

Sie gingen einige Zeit weiter. Manchmal war es trotz der hypnotischen Anweisungen schwer, sie als Kinder unter Kontrolle zu halten. Sie brauchte Strenge und Willenskraft, um sie im Zaum zu halten.

Das Gelände wurde hügeliger, die Felsblöcke wurden häufiger und schienen größer zu sein. Vielleicht die Vorberge.

Und plötzlich waren sie da. Nicht sehr hohe Berge, nicht sehr majestätische, aber trotzdem großartig anzusehen. Sie reichten bis in eine Höhe von etwa achthundert Metern hinauf. An den Hängen weideten viele Schafe, was Mavra nicht behagte, weil Zyklopen in der Nähe sein mochten. Sie überlegte, ob sie bis zur Dunkelheit warten sollten, fürchtete aber, noch mehr Zeit zu verlieren, schaute sich sorgfältig um und beschloß, es zu riskieren. Sie lief mit den beiden auf den ersten Felsen zu, der Schutz bot.

Er war weiter entfernt, als sie angenommen hatte, und die»Kinder«waren kaum zu halten, als sie an Schafen vorbeikamen.

Der Felsen rückte näher, und sie liefen schneller. Nur noch einige Sekunden… jetzt! Geschafft!

Dann ein grauenhaft brüllender Laut, und sie erstarrten. Eine riesige Gestalt ragte vor ihnen auf, dann eine zweite. Ein großer Mann und eine große Frau.

Nikki schrie auf, und sie wandten sich zur Flucht, aber die Wesen reagierten sehr schnell, nachdem sie sich von ihrer Überraschung erholt hatten. Eine große Hand fegte herunter, packte die Langsamste, Nikki, und warf sie wie eine reife Frucht der anderen Gestalt zu.

Der männliche Riese lief Mavra nach und bekam sie zu fassen. Der weibliche Zyklop übernahm sie mit verwunderlicher Sanftheit und kehrte hinter den Felsen zurück.

Renard war weit davon, als er Mavra aufschreien hörte, und er drehte sich um. Das genügte; das Riesenwesen ergriff ihn und beachtete seine nutzlosen Hiebe nicht. Es trug Renard zu seiner Begleiterin zurück. Hinter dem Felsen stand eine kleine Holzhütte mit Strohmatten, Wolldecken und einer Art Gartengrill. Offenbar mochten manche ihr Fleisch gebraten; ein frisch zerlegtes Schaf steckte auf einem Spieß. Sie sahen auch einen der großen hölzernen Karren, und dort wurden sie alle drei hineingelegt. Die Seitenwände waren fast drei Meter hoch.

Mavra schaute sich um. Der Wagen stank nach Dingen, von denen sie nichts wissen wollte, und es gab Reste von getrockneter Vegetation und sogar eine Art Graspolster. Nikki kauerte weinend in einer Ecke, und auch Renard erging es nicht viel besser.

Mavra starrte durch einen Spalt hinaus. Die beiden Zyklopen diskutierten miteinander, soviel war klar. Sie schrien und brüllten und gestikulierten.

Schließlich schien der Mann nachzugeben, ging in die Hütte und kam mit einem großen Eisengitter heraus. Er trat an den Wagen, schaute hinein, feixte auf seltsame Weise, und das Gitter wurde auf den Wagen geknallt. Dann schnob er und entfernte sich. Kurz danach hörte Mavra Kau- und Schluckgeräusche.

Mavra schaute zum Gitter hinauf. Die Löcher waren ein bißchen zu klein, als daß sie sich hätte hindurchzwängen können, und das Gitter war aus Gußeisen. Sie würde es niemals hochstemmen können.

Sie kauerte sich in eine Ecke und versuchte zu überlegen, wie sie verhindern konnte, gefressen zu werden.