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Zone Süd

Ben Yulin stöhnte und wurde langsam wach. Er versuchte sich zu bewegen, aber der Schmerz zuckte durch seinen ganzen Körper. Er konnte erkennen, daß er in einem Bett lag, daß er nackt und unter einer Decke ausgestreckt war — aber nicht mehr.

Er öffnete die Augen, stöhnte und schloß sie wieder. Es dauerte einige Sekunden, bis er bereit war, es noch einmal zu versuchen.

Sie waren immer noch da.

Ganz in der Nähe stand ein großes Fellwesen in einem Laborkittel, mit einer Art Stethoskop um den Hals. Es hatte mit nichts so sehr Ähnlichkeit wie mit einem Riesenbiber, komplett mit den zwei Raffzähnen. Nur die Augen waren anders — hell und klar und von der Farbe dunklen Goldes, und sie strahlten Intelligenz und Wärme aus. Hinter dem Biber stand der sechsarmige Schlangenmann namens Serge Ortega mit besorgter Miene. Auch das Pflanzenwesen war zur Stelle und vervollständigte die bizarre Szenerie.

Yulin schaute sich betroffen um und entdeckte Renards Gestalt in einer Art Umhang an der Tür, gelangweilt vor sich hin blickend. Das brachte ihn zu sich.

Form und Art entsprachen Renard, aber die undefinierbare Aura von Selbstsicherheit und Beherrschung verriet Yulin, daß er Antor Trelig vor sich hatte. Ben Yulin erinnerte sich an seine Warnung und versuchte Mavra Tschang in den Vordergrund zu schieben.

»Wo bin ich?«stieß er hervor und hustete.

»In einem Krankenhaus«, erwiderte das sonderbare Nagetierwesen. Yulin war überrascht zu hören, daß das Wesen die Konföderationssprache beherrschte — es mühte sich, gewiß, war aber deutlich zu verstehen.

»Doktor Muhar ist ein Ambreza«, sagte der Schlangenmann.»Auf der Schacht-Welt gibt es ein Sechseck mit eurer Art von Leuten. Die Ambreza sind Nachbarn. Ihr habt viel durchgemacht, und die Ambreza sind mit euren medizinischen Problemen vertraut. Deshalb haben wir ihn geholt.«

»Was ist mit mir geschehen?«fragte Ben.

»Sie sind im Pol-Tor zusammengebrochen«, erwiderte Ortega.»Als wir den Raumanzug entfernt hatten, sahen wir, daß Sie furchtbar zugerichtet waren. Überall grün und blau, drei gebrochene Rippen, eine davon hatte mehrere Organe durchbohrt.«

»Können Sie mich heilen?«fragte Ben sorgenvoll.

Der Ambreza gluckste.

»Wenn wir uns sehr viel Zeit nehmen, ja«, erwiderte er mit hoher Stimme, wie eine zu schnell abgespielte Schallplatte.»Aber das wird nicht nötig sein. Wir lassen Sie durch den Schacht gehen.«

»Renard hier hat uns erzählt, was geschehen ist«, sagte Ortega.»Ihr habt viel mitgemacht. Ich möchte euch gern eine Weile hierbehalten, aber Renard und Bürgerin Zinder haben ein Schwammproblem, und nur der Schacht kann das heilen. Ihre Verletzungen sind kritisch. Ich weiß nicht, wie Sie durchgehalten haben.«

Yulin lachte.

»Aus Angst. Wenn man fast keine Luft mehr hat, scheinen Schmerzen einfach nicht mehr wichtig zu sein.«Ortega nickte.

»Das kann ich verstehen. Eine gute Einstellung. Wir mußten schnell operieren, um Ihr Leben zu retten, das heißt, Dr. Muhar und seine Mitarbeiter mußten das tun. Ich möchte nicht, daß Sie in Panik geraten, wenn ich das sage, weil es nicht von Dauer ist, aber im Augenblick sind Sie völlig gelähmt.«

Das hinderte Yulin nicht daran, vor Entsetzen zusammenzuzucken. Zu seiner eigenen Überraschung begann er leise zu weinen.

»Ich sagte, der Zustand ist nicht von Dauer«, versicherte Ortega.»Nichts ist auf der Schacht-Welt von Dauer, wenn man hier ankommt — und möglicherweise nicht einmal später. Nehmen Sie mich. Ich war ein Angehöriger Ihrer eigenen Rasse, zäh und klein wie Sie, als ich hierherkam. Die Schacht-Welt behebt, was mit einem nicht stimmt, aber sie verändert einen auch.«

»Was — was meinen Sie damit?«

»Ich habe gewartet, bis Sie zu sich kamen, bevor ich alles erkläre. Inzwischen habe ich keine Zeit vergeudet. Wir wissen, was wir vor uns haben, und das ist an sich schon eine Erleichterung.«Er wandte sich Trelig zu und nickte.»Bringen Sie das Mädchen herein.«

Trelig ging kurz hinaus und kam mit Zinder herein. Die Konditionierung hielt, stellte Yulin fest. Sie reagierte auf Yulin in dieser Verfassung genauso, wie die richtige Nikki auf die richtige Mavra reagiert hätte.

»Wie gesagt, ich hätte gern wenigstens einen von Ihnen eine Weile hierbehalten, während wir uns mit der neuen Lage befassen«, fuhr Ortega fort,»aber mit dem Schwammproblem und dem kritischen Zustand von Bürgerin Tschang ist das nicht möglich. Der Botschaftsrat hat deshalb entschieden, daß Sie so schnell wie möglich eingeweiht und durch den Schacht geschickt werden sollen.«

»Das ist also eine Botschaft?«sagte Trelig.»Das habe ich mir beinahe gedacht.«

»Sämtliche Sechsecke der südlichen Halbkugel haben hier Vertretungen, auch wenn sie nicht alle benützt werden«, erwiderte Ortega.»Das ist der einzige Weg zur wechselseitigen Kommunikation. Es gibt fünfzehnhundertsechzig Hexagons auf der Schacht-Welt. Die siebenhundertachtzig südlich der Äquatorbarriere — Sie haben vielleicht auch gesehen, daß es wirklich eine Barriere ist — enthalten entweder auf Kohlenstoff basierendes Leben oder können in einer Umwelt auf Kohlenstoffgrundlage existieren. Die nördliche Hälfte, die anderen siebenhundertachtzig enthalten Leben, das nicht auf Kohlenstoff beruht. Sie erlebten Uchjin im Norden und haben eine Vorstellung davon, wie verschiedenartig die Formen dort sein können.«

Die drei Menschen nickten.

»Ich möchte aber ganz weit ausholen. Der Anfang war, was diese Welt angeht, eine Rasse von Wesen, die bei Ihnen die Markovier genannt werden. Eine große Rasse. Sie sahen ungefähr aus wie riesige menschliche Herzen mit sechs gleichmäßig verteilten Fühlern. So wie die menschliche Zahlenkunde auf Fünf, Zehn oder Zwanzig beruhte, gründete ihre Mathematik auf der Sechs. Diese Zahl beherrschte ihr ganzes Leben — deshalb haben wir Sechsecke, und deshalb gibt es 1560 davon. Fast eine perfekte Zahl für Wesen, die alles auf die Sechs abstellten. Es gibt sogar die Meinung, daß sie sechs Geschlechter hatten, aber lassen wir das. Jedenfalls erreichten sie die höchste Ebene physischer Entwicklung, die man für erreichbar hält, und, was ebenso wichtig ist, sie erreichten auch die höchste Stufe materieller Technologie. Ihre Welten waren über viele Galaxien verstreut — nicht Sternsysteme, Galaxien! Sie bauten auf einer Welt einen örtlichen Computer, programmierten ihn mit allem, was sie sich vorstellen konnten, dann legten sie eine Felskruste darum. Sie bauten ihre Städte, und jeder Markovier war geistig mit dem Computer verbunden. Die Architektur war nur ein gemeinsamer Bezugsrahmen, denn durch die Verbindung mit ihren Computern konnten sie sich einfach wünschen, was immer sie wollten, und der Computer nahm eine Umwandlung von Energie in Materie vor, und da war es.«

»Hört sich nach einem gottähnlichen Dasein an«, meinte Trelig.»Was ist mit ihnen geschehen? Ich weiß ein wenig von den Markoviern. Sie sind alle tot.«

»Alle bis auf einen«, bestätigte Ortega.»Was sie getötet hat, war im Grunde die Langeweile. Unsterblich, jeder Wunsch sofort erfüllt, und sie kamen sich vor, als verrotteten sie — oder als fehle ihnen etwas. Der Gipfel materiellen Glücks war erreicht, und er genügte nicht. Ihre besten Gehirne — und was müssen das für Gehirne gewesen sein! — taten sich zusammen und entschieden schließlich, daß die markovische Entwicklung irgendwo einen falschen Weg eingeschlagen hatte. Sie kamen zu der Erkenntnis, daß die Rasse entweder zugrunde gehen würde, oder sie mußten etwas anderes tun.«

»Was denn?«fragte Ben.

»Zuerst bauten sie die Schacht-Welt, das Äußerste an markovischem Computer. Statt einer dünnen Computerschicht in einem vorhandenen Planeten war der ganze Planet ein einziger, gigantischer Computer. Wenn eine dünne Schicht vorher örtlich alles hervorbringen konnte, dann stellen Sie sich einen massiven Planeten von vierzigtausend Kilometern Umfang vor, der nur aus einem markovischen Computer besteht. Darauf sitzen wir hier. Dann brachten sie die übliche Kruste an, so daß wir etwas mehr als vierzigtausend Kilometer Umfang haben.«