Die Polizei, der seine erste Sorge galt, war am einfachsten auszumachen. Er wußte nicht, wie viele Leute in dieser Stadt lebten, aber eine Viertelmillion mußten es gewiß sein. Dadurch gab es Stauungen auf den Straßen. Er sah viele Wagen, gezogen von Rieseninsekten, die länger als die Makiem waren. Diese glichen Heuschrecken. Das alles verlangte Verkehrsregelung, also gab es Verkehrspolizisten.
Er sah sich mehrere an und achtete vor allem auf die großen Symbole an ihrer Brust — eine Art Doppelrad mit zwei schrägen Balken.
Er betrachtete die großen Gebäude mit den Türmen und Flaggen. Ohne Zweifel Regierungsbauten. Das größte davon mit vielen Eisengittern und hohen Toren war offenkundig der königliche Palast. Am Tor standen Wachen mit gefährlich wirkenden Armbrüsten und Piken und einem unglaublich komplizierten Symbol auf der Brust, das sich im Zaun in Abständen wiederholte.
Ohne Zweifel das königliche Symbol. Er lernte schnell. Das Jucken nahm zu. Seine Haut fühlte sich trocken und unbehaglich an, als wolle sie sich ablösen. Er beschloß, zum großen See hinunterzugehen. Dort herrschte reges Treiben, aber er konnte ungehindert ins Wasser gleiten, das erstaunlich kalt war. Er spürte die Kälte aber nur wenige Augenblicke, dann schien die Temperatur zu steigen, bis sie genau richtig war. Kaltblütig, entschied er, es war nicht die Wassertemperatur, die gestiegen war, sondern seine Körpertemperatur hatte sich gesenkt.
Das Schwimmen gelang so mühelos wie vorher das Hüpfen. Seine kräftigen Hinterbeine trieben ihn schnell durch das Wasser, und er glitt auf natürliche Weise dahin. Das Jucken ließ jedoch nicht nach, und nach einiger Zeit tauchte er hinunter.
Plötzlich geschah etwas Seltsames. Eine Membran glitt über seine Augen herab, durchsichtig wie Glas, aber ein vollkommener Schutz. Auch sein Sehvermögen schien sich zu verändern, weniger tiefen- und farbenempfindlich zu werden, jedoch den Schattierungen von Hell und Dunkel gut angepaßt. Seine Nase schien sich durch innere Klappen abzuschließen, aber daß er nicht atmete, störte ihn nicht. Er fragte sich, wie lange er unter Wasser bleiben konnte, und beschloß, es auszuprobieren.
Je länger er unten blieb, desto weniger schien es ihm auszumachen. Er hatte das seltsame Gefühl, daß er flach, kaum merklich atmete, obwohl es keine Luftbläschen gab. Er hatte auch keine Kiemen. Er kam schließlich zu der Vermutung, daß seine Haut dem Wasser ein gewisses Maß an Sauerstoff entziehen konnte. Das reichte zwar nicht, wie er feststellte, dafür, ständig unter Wasser zu leben, aber er konnte mindestens eine halbe Stunde, wenn nicht viel länger, unten bleiben, bevor er wieder heraufkommen und Luft holen mußte.
Er tauchte an einer der Inseln auf und schaute sich um. Der große Palast auf dem höchsten Hügel war von Fackeln und vielfarbigen Glaslampen hell beleuchtet. Er wirkte wie aus einem Märchen.
Widerwillig schwamm er zum Ufer zurück. Er spürte Hunger, und es gab viel zu tun. Die Luft wirkte, als er herausstieg, bedrückend heiß und schwer. Sein Körper paßte sich aber bald an, und er lief weiter.
Anrüchige Kneipen schien es hier, wie er nach einiger Zeit zugeben mußte, nicht zu geben. Was auch fehlte, war Sex. Sie schienen sich damit einfach nicht abzugeben. Keine Paare, die verliebt zu sein schienen, keine Avancen. Freundschaftliche Gruppen, gemischt, aber keine sexuellen Anreize. Um nicht aufzufallen, beschloß er, zum Stadtrand zurückzukehren, woher er gekommen war. Vielleicht würde sich irgend etwas ergeben; wenn nicht, konnte er immer noch in den Wald zurückkehren und ihn als vorübergehenden Stützpunkt benützen.
Die weibliche Makiem erschien zuerst wie vom Himmel gesandt. Sie war offenbar wohlhabend, vielleicht Landwirtin, nur für den Abend in die Stadt gekommen. Keine Tätowierung. Jung und sehr klein.
Und völlig betrunken.
Sie konnte nicht hüpfen, konnte kaum kriechen, lallte etwas vor sich hin oder sang vielleicht, auch wenn es nur Grunz- und Knarrlaute waren. Sie fiel um und rollte in den Graben.
»Ach, Scheiße!«hörte er sie laut schimpfen, aber einige Sekunden danach begann sie zu schnarchen.
Er hüpfte zu ihr hinüber. Seine Sehfähigkeit im Dunkeln entsprach etwa der eines Menschen.
Sie lag auf dem Rücken, die großen, gebogenen Beine hatte sie ausgestreckt. Er betrachtete sie zunächst. Aus Notwendigkeit und Erfahrung hatte er festgestellt, wie ein Makiem die Toilette benützte und wo er das tat, aber auf keinen Fall konnte dieser Apparat sexuellen Zwecken dienen. Auch bei ihr war nicht viel zu entdecken. Er wandte sich wichtigeren Dingen zu und betastete vorsichtig ihren Kieferbeutel; er enthielt etwas, vielleicht einen Geldbeutel. Er zögerte kurz, dann schüttelte er sie. Sie rührte sich nicht.
Überzeugt davon, daß sie nicht aufwachen würde, beugte er sich vor und versuchte ihren Mund zu öffnen.
Dieser blieb fest zugeklemmt, als hätte man ihn verschweißt.
Trelig wollte aufgeben, als sie einen lauten Schnarchton von sich gab und der Mund ein wenig aufging, weil sie sich auf die Seite drehte. Er griff vorsichtig in den Mund hinein — und spürte eine glatte, knochenharte Platte, die so genau hineinpaßte, daß er sie nicht einmal zu ergreifen vermochte. Sie wachte nicht auf, aber der Mund klappte plötzlich zu und klemmte seine Hand ein. Er versuchte sie herauszuziehen, ohne Erfolg. Fast eine halbe Stunde lang plagte er sich ab, aber es war unmöglich, die Hand herauszureißen.
Er geriet beinahe in Panik, vor allem, als ihre Zunge das Objekt betastete. Dann zuckte die Zunge plötzlich zurück, und der Mund ging auf. Sie zischte bösartig und drehte sich weiter herum. Er stürzte beinahe rückwärts in den Graben, fluchte leise vor sich hin und betastete seine Hand, die ziemlich stark schmerzte. Er seufzte und sah ein, daß hier an Raub nicht zu denken war, jedenfalls nicht ohne eine Waffe.
Er dachte gründlich nach. Er konnte sich eine Weile herumtreiben, aber nur als Bettler oder Flüchtling; an Gewalt war nicht zu denken, weil er nicht wußte, wie die Makiem kämpften. Es blieb nichts anderes übrig, als sich zu stellen.
Die Wachen wirkten gelangweilt. Sie saßen regungslos da, blinzelten nur ab und zu, aber sie waren hellwach. Die Armbrüste lagen gespannt in ihren Händen. Er ging auf einen davon zu.
»Verzeihen Sie, Sir«, sagte er,»ist das der königliche Palast?«
Er hatte nicht die Absicht, zur hiesigen Polizei zu gehen. Der Wachtposten sah ihn an.
»Fort mit dir, Junge!«sagte er.»Keine Besucher, außer an Bußtagen!«
»Aber es ist der Palast?«fragte er.
»Nee, es ist das Hauptquartier der Limbusch-Züchter«, erwiderte der andere spöttisch.»Verschwinde, bevor dir was passiert!«
Trelig atmete tief ein.
»Sucht ihr immer noch nach Neuzugängen, wie ein den Rundschreiben heißt?«
Die Augen des Wachtpostens funkelten.»Weißt du von einem?«
»Ja. Mit wem muß ich sprechen?«
»Mir mir. Wenn mir gefällt, was du sagst, gebe ich es weiter.«
Daß ich nicht lache, dachte Trelig. Nur, wenn für dich etwas dabei herausschaut.
»Also gut«, sagte er und wandte sich ab.»Wenn Sie nicht interessiert sind…«
»Halt!«rief eine andere Stimme, vielleicht die des zweiten Postens. Trelig blieb stehen und grinste innerlich.
»Wenn ein anderer das erfährt und es wirklich ein Neuzugang ist, sind wir dran«, sagte die zweite Stimme.»Bringen wir ihn lieber zum Alten.«
»Meinetwegen«, knurrte der erste.»Das mache ich schon. Aber was haben wir davon?«
»Ich weiß, was wir davon haben, wenn er in Ordnung ist und wir danebenhauen. Mach schon.«
Der murrende Posten führte Trelig durch eine Seitentür in den Palast, in einen von Gasflammen erhellten Raum. An zwei Wänden gab es viele seltsame Objekte, etwas, das nach einem riesengroßen Kopfhörer aussah, eine Art großer Saugnapf mit einem Loch, Röhren mit Federn, eine Platte mit der Schrift, die Trelig nicht lesen konnte.