»Was, zum Teufel, willst du hier, Kuhmann?«fauchte er.»Wenn ich dir den Schädel einschlagen soll, brauchst du nur noch zehn Sekunden stehenzubleiben!«Er hob drohend die Stange.
In Yulin stieg Panik hoch, aber er beherrschte sich.
»Augenblick!«sagte er.»Ich habe nichts Böses im Sinn.«
»Was denkst du dir dann dabei, splitternackt hier aufzutauchen und anständige Frauen zu erschrecken?«fuhr ihn der andere an.
»Ich bin ein Neuzugang!«schrie Yulin.»Ich bin gerade in einem Feld aufgewacht und habe nicht die geringste Ahnung, wo oder was ich bin oder was ich tun soll!«
Der große Minotaurus dachte nach.
»Neuzugang?«schnob er.»Wir haben bisher nur zwei Neuzugänge gehabt, von denen ich weiß, und das waren beides Kühe. Daß ein Stier auftauchen soll, ergibt keinen Sinn.«
Trotzdem zögerte er und ließ die Stange ein wenig sinken.
»Ich bin Ben Yulin, ich brauche Hilfe.«
»Na gut«, sagte der Farmer.»Ich will dir das mal glauben. Aber wenn du Dummheiten machst, bringe ich dich um. Komm rein, damit wir dir wenigstens etwas anziehen und nicht die halbe Herde hinter dir herrennt.«
Yulin ging auf die Tür zu, und der Farmer hob erneut die Eisenstange.
»Nicht da hinein, Dummkopf! Verdammt noch mal! Vielleicht weißt du wirklich nicht, wie es hier zugeht. Geh um das Haus herum, ich komme nach.«
Yulin tat es und benützte einen anderen Eingang zu einem Anbau. Es war eine Wohnung — Wohnzimmer mit kleinem Kamin, ein riesengroßer Schaukelstuhl aus poliertem Hartholz, Fenster, die auf die Farm hinausgingen, und zu seiner Überraschung Kunstwerke und Lesestoff.
Die weiblichen Figuren zeigten ihm, was er vermutet hatte — die Kühe besaßen große Euter —, und ein paar von den Skizzen oder Zeichnungen waren geradezu pornographisch. Auf einem Tisch neben dem Schaukelstuhl stand ein seltsam aussehendes mechanisches Gerät, mit dem er nichts anfangen konnte. Es war ein Kasten mit horizontaler runder Platte, die offenbar mit Hilfe einer federgetriebenen Kurbel an der Seite in Drehung versetzt werden konnte. Ein kompliziertes Messinggestell auf einem Drehpunkt war an der Seite angebracht, und von der Rückseite ragte ein riesiges hornartiges Gebilde herauf. Auch vorne schien ein zweites Horn angebracht werden zu können. Yulin vermochte sich den Zweck nicht vorzustellen.
Der Mann ging in einen anderen Raum und schien mit einer Hand eine Art Holztruhe öffnen zu wollen, während er den Besucher gleichzeitig im Auge behielt. Yulin beschloß, regungslos stehenzubleiben und gar nichts zu tun.
Der andere Raum war offenkundig ein Schlafzimmer. Ein Holzrahmen war mit strohartigem Material gefüllt, außerdem gab es ein paar hingeworfene Decken und ein riesengroßes, ausgestopftes Objekt, das ein Kissen sein mochte. Yulin dachte an seine Hörner und fragte sich, was wohl geschah, wenn man sich im Schlaf umdrehte.
Der Farmer warf ihm ein großes Tuch hin, und er fing es auf. Es schien aus Rupfen zu sein, viel rauher und gröber als das, was der andere trug. Man konnte es mit einer Schnur zuziehen, und Yulin begriff schnell, wie man es anlegen mußte.
Am Boden lag ein dünner, einfacher Teppich.
»Da mußt du dich hinsetzen«, sagte der Farmer.»Ich bekomme nicht viel Besuch.«
Er ließ sich im Schaukelstuhl nieder.
»Können Sie mir sagen, wie es weitergeht?«fragte Yulin.
»Als erstes erzählst du mir von dir. Wer du bist, was du warst, wie du hergekommen bist. Wenn es vernünftig klingt, helfe ich dir.«
Yulin berichtete und ließ nur das aus, was ihn in einem schlechten Licht erscheinen ließ. Er stellte sich als Gil Zinders Gehilfe dar, den der böse Antor Trelig gezwungen hatte, seinen Willen auszuführen. Es klang überzeugend. Als er zum Absturz im Norden kam, leuchteten die Augen des Farmers auf.
»Im Norden gewesen, wie? Das ist für fast alle Leute hier im Süden etwas Romantisches. Exotisch und geheimnisvoll.«Er schien sich zu beruhigen.»Mein Name ist Cilbar«, erklärte er.»Das ist meine Farm. Sie sind in Dasheen. Das ist der Name des Landes und der Leute hier. Sie sind Pflanzenfresser, also können Sie nie verhungern, obwohl Sie als zivilisierter Mann feststellen werden, daß das rohe Zeug zwar den Hunger stillt, Gekochtes aber besser schmeckt. Das Hexagon ist nichttechnologisch, also funktionieren Maschinen hier nicht, wenn sie nicht von Muskelkraft angetrieben werden. Die Muskeln haben wir, wie Ihnen aufgefallen sein wird.«
Yulin gab es zu.
»Sie werden vielleicht bemerkt haben, daß wir nicht wie die Kühe aussehen«, fuhr der Farmer fort.»Das liegt nicht nur am Euter. Wir sind kleiner, gedrungener, haben kürzere Arme mit nur einem Ellenbogen, größere, andere Köpfe und so weiter.«
»Das ist mir aufgefallen.«
»Wir sind also wirklich anders. Warum, weiß ich nicht. Als erstes gibt es für jeweils hundert Frauen im Durchschnitt nur einen Mann. Deshalb war ich so erstaunt nicht darüber, daß Sie ein Neuzugang sind, sondern ein Mann. Verstehen Sie?«
Yulin nickte. Um so bemerkenswerter, als er in der Form einer Frau durch den Schacht gegangen war.
»Jedenfalls sind schon vom Gesellschaftlichen her die Männer wichtiger als die Frauen. Es gibt nicht so viele von uns, also sind wir nicht entbehrlich. Überdies sind wir viel klüger.«
»Wie denn das?«fragte Yulin verblüfft.
»Einige Wissenschaftler aus anderen Sechsecken wollten einmal beweisen, daß das nicht stimmt. Sie haben nur das Gegenteil nachweisen können. Die Gehirne der Frauen sind weniger entwickelt. Versuchen zu wollen, ihnen das Lesen beizubringen, ist genauso, als wollte man es mit dem Stuhl hier probieren. Einfache Tätigkeiten, ja, das machen sie stundenlang. Pflügen, ernten, Zimmermannsarbeiten, Lasten schleppen und so weiter. Sie graben auch Löcher für die Zaunpflöcke, bis man sagt, sie sollen aufhören. Aber frag sie, wie viele Löcher sie gegraben haben, und sie wissen es nicht.«
Ben Yulin begann zu begreifen.
»Sie meinen, die Frauen machen die ganze Arbeit, und die Männer führen das Kommando?«
Cilbar nickte.
»So ungefähr. Die Frauen haben diese Farm gebaut, aber nach den Plänen eines Mannes. Die Frauen arbeiten, aber die Leitung habe ich. Genauso ist es mit der Kunst, mit den Büchern — alles von Männern für Männer.«
Ben Yulin dankte dem Schacht, daß er hier herausgekommen war. Hier gefiel es ihm.
»Sie sprechen sehr gebildet«, sagte er.»Lernt man hier sehr viel?«
»Jeder Mann bekommt, was wir ihm geben können. Ich persönlich glaube ja, daß wir verwöhnte Burschen sind, und ich weiß nicht, was passiert, wenn wir einmal in einer Klemme sitzen. Ein Sohn ist wirklich etwas Besonderes. Er bekommt alles und kann tun, was ihm liegt — Kunst, Schreiben, Lehren, Handeln —, oder er übernimmt, wie ich, eine Farm, wenn der Besitzer zu alt oder zu müde wird.«
»Dann gibt es hier nur eine kleine Bevölkerung«, meinte Yulin.
»Sehr klein. Ungefähr zehntausend Farmen, mit einer Anzahl kleiner Städte, in denen selten mehr als ein paar tausend Leute leben. Eineinviertel Millionen im ganzen, mehr nicht.«
»Dann können es nur an die hunderttausend Männer sein.«
»Vermutlich weniger. Ich überschätze die Zahl vielleicht. Wir kommen nicht viel herum, wenn wir uns einmal niederlassen. Ich habe einmal in einer Schule jemanden sagen hören, es gäbe nur siebenhundertfünfzigtausend Dasheen und fünfundsiebzigtausend Männer. Kann sein.«
»Und was geschieht, wenn der junge Stier keine Talente hat und keine Farm zur Verfügung steht?«
»Sie denken an sich selber, wie? Ein Wissenschaftler in einem nichttechnologischen Sechseck! Verstehe schon. Nun, Sie entdecken irgendeine Fähigkeit, ziehen herum, während Sie auf eine Gelegenheit warten, wie ich, oder suchen sich eine Farm aus, fordern den Besitzer heraus und kämpfen mit ihm auf Leben und Tod. Der Sieger bekommt alles.«