»Was kann ich für Sie tun?« fragte er höflich.
»Reden Sie keinen Unfug, Garfield!« sagte Avidan scharf. »Woher haben Sie dieses Schiff? Wie konnten Sie die Reise so schnell beenden?« Innerhalb einer Minute ließ er einen umfangreichen Fragenkatalog auf Marsh los.
Der Skipper würgte einige unfreundliche Bemerkungen hinab, dann gab er ruhig auf jede Frage Auskunft. Während er berichtete, wanderte Avidans Blick hinüber zu Moltion Gambral, der, scheinbar ungerührt, auf seinem Sessel saß und die Terraner mit freundlicher Kaltblütigkeit betrachtete.
Avidans Züge verhärteten sich noch mehr, als Marsh geendet hatte; die Politiker – sie hatten sich weder vorgestellt noch bisher in das Gespräch eingegriffen – zeigten hingegen äußerst zufriedene Gesichter.
»Mister Garfield«, sagte der älteste von ihnen und verbeugte sich höflich, »ich glaube, die Erde ist Ihnen großen Dank schuldig.«
»Halten Sie den Mund!« herrschte Avidan den verblüfften Staatsmann an. »Schuldig ist uns Garfield etwas – einige Erklärungen nämlich.«
Hatte die unpersönliche Anrede Marsh schon verärgert, so versetzten die folgenden Fragen des Generals ihn in echte Wut. Mit methodischer Präzision stellte Avidan genau die Fragen, die sich auch die Crew der DREADNOUGHT schon gestellt hatte, als das Schiff im System Morcoy zum Überlichtflug beschleunigte. Unerbittlich zog er seine Schlußfolgerungen; die Gesichter seiner Begleiter wechselten langsam die Farbe.
»General«, sagte einer von ihnen entsetzt. »Warum haben Sie uns dies nicht früher gesagt? Was sollen wir jetzt tun?«
»Gar nichts!« antwortete Avidan eisig. »Ich warte, Skipper.«
Marsh zuckte mit den Schultern. »Ihre Überlegungen, General, sind von einer bezwingenden Logik, der auch ich mich nicht entziehen kann. Allerdings haben auch wir ähnliche Überlegungen angestellt. Und obwohl Ihre Logik einwandfrei zu beweisen scheint, daß wir Verräter oder Ärgeres sein müssen, sind wir zur Erde zurückgekehrt. Wie paßt das in Ihr System?«
Avidan lächelte spöttisch. »Es ist dies eine von zwei Möglichkeiten, diese Situation zu erklären«, sagte er ruhig. »Entweder stimmt Ihre Erklärung vollständig, oder Sie sind übernommen worden. Die Wahrscheinlichkeit für beide Alternativen muß angesichts der Unmöglichkeit, für eine der beiden Theorien einen schlüssigen Beweis zu liefern, mit exakt fünfzig Prozent angesetzt werden. Wir werden dieses Schiff also – trotz seiner technischen Einmaligkeit – abschießen müssen.«
»Wie bitte?« fragte einer der Politiker ungläubig.
Avidan lächelte kalt. »Stimmen die Angaben von Mister Garfield, so gewinnen wir unschätzbare technische Erkenntnisse. Lügt er, dann müssen wir damit rechnen, versklavt zu werden. Die Aussichten stehen eins zu eins; es ist nur eine Frage des Risikos, das wir eingehen wollen. Angesichts der Möglichkeit, versklavt zu werden, ist die Entscheidung wohl klar!«
Die Politiker protestierten lautstark, während sich die Besatzung der DREADNOUGHT drohend um den General scharte.
»Und was wird aus uns?« schrie einer der vier Männer. »Sollen wir ebenfalls sterben?«
»Das hängt von Mister Garfield ab!« erklärte Avidan eisig. »In vier Minuten werden die Schiffe und Bodenstationen das Feuer eröffnen.«
Er sah Marsh ruhig an. »Sie werden einsehen, daß wir so handeln müssen. Das Risiko für die Erde ist einfach zu groß. Es tut mir zwar sehr leid, daß unter Umständen Unschuldige für einen Verdacht sterben müssen, aber das läßt sich nicht umgehen. Allerdings könnten Sie den Herren hier freien Abzug gewähren – ihr Tod ist vermeidbar.«
Arvid schüttelte fassungslos den Kopf. »Er will uns lächelnd umbringen – und bittet um Schonung für sich und seine Begleitung!«
»Von mir war keine Rede!« fauchte Avidan zurück.
Von Angst gepackt versuchten die Politiker den sie umgebenden Ring aus Crewmitgliedern mit Gewalt zu durchstoßen; ein Handgemenge drohte auszubrechen.
»Achtung!« schrie Margalo plötzlich. Mit einem Satz sprang Moltion Gambral zu ihr hinüber; mit einem Handgriff stellte er die Bildwiedergabe des Hyperorters schärfer.
»Ein Schiff«, rief er erstaunt.
Avidan deutete den Ausruf auf seine Weise; er griff in die Hosentasche und brachte einen Minisender zum Vorschein. Ehe ihn jemand daran hindern konnte, hatte er das Gerät an den Mund geführt.
»Die vermutete Invasion beginnt!« sagte er laut. »Ab sofort rücksichtslos feuern!«
»Nein!« schrie Margalo entsetzt.
Roger Clakess versah seinen Dienst so, wie er es seit Jahren gewöhnt war.
Er saß in der unterirdischen Feuerzentrale eines von fünfhundert Lasergeschützen, die über den nordamerikanischen Kontinent verteilt waren. Über der Oberfläche befanden sich nur die Antenne des Raumradars und die Kuppel aus Panzerglas, die die Antenne und die Kristallinsen des Geschützes vor dem Einfluß der Witterung schützen sollten.
Sein Dienst war von kaum mehr zu überbietender Monotonie.
Acht Stunden lang würde er in diesem Loch sitzen, ohne etwas anderes zu tun, als alle zehn Minuten drei verschiedene Instrumente abzulesen – eines bestätigte die Funktionstüchtigkeit der ständigen Telefonverbindung mit dem Hauptquartier; ein zweites zeigte an, ob der vom Radar zu beobachtende Raum leer war, und die dritte Anzeige bewies, daß Laser und Antenne einwandfrei arbeiteten.
Nur ein- oder zweimal im Jahr wurde diese Eintönigkeit unterbrochen. Kam beispielsweise die von einem Raumschlepper durch das All bugsierte Erzfracht vom Kurs ab, und drohte der Kilometer durchmessende Brocken auf die Erde herabzustürzen, dann war es die Aufgabe von Roger und seinen Kollegen, den Klumpen aus Erz in Stücke zu schießen, die zu klein waren, um die Erde noch erreichen zu können. Im Volksmund hießen diese Männer »Schnuppenmacher« und genossen beträchtliches Ansehen. An Nachwuchs bestand selten Mangel.
Roger Clakess zündete sich eine Zigarette an und legte die Beine auf das Kontrollpult vor ihm. Routinemäßig warf er einen Blick auf die Kontrollen, nachlässig streifte er über die Instrumente. Dann wanderte der Blick zurück: Ein Instrument hatte einen Wert angezeigt, den es nicht aufweisen durfte. Im gleichen Augenblick begannen die Sirenen infernalisch zu heulen; der Lärm verebbte erst, als Roger den Hörer abhob.
In Sekundenbruchteilen war eine Verbindung zum Hauptquartier hergestellt. Eine kalte, unpersönlich klingende Stimme gab eine Serie von Koordinaten durch, die Roger auf dem griffbereiten Notizblock festhielt. Dann kam das Ende der Durchsage:
»Der Flugkörper ist unter allen Umständen abzuschießen!«
Roger warf den Hörer auf die Gabel; von jetzt an war er auf sich allein gestellt. Zusammen mit dem Zustandekommen des Telefonkontakts war auch telemetrisch die Sperre desaktiviert worden, deren Aufgabe es war, unkontrollierte Aktionen der Geschützbedienungen zu verhindern, bevor irgendein durchdrehender Mann ein flugtüchtiges Raumschiff herunterholte. Mit einem Knopfdruck schaltete Roger die Steuerung des Lasergeschützes ein; die Mechanik der Kuppel war mit dem Raumradar gekoppelt – Antenne und Lauf wiesen parallel in die gleiche Richtung.
»Verdammt!« knurrte Roger. »Was ist das für ein Kasten?«
Mit einer wahren Höllenfahrt kam das Schiff hinter dem Mond hervor auf die Erde zu. Hielt es seinen Kurs, würde es in der Nähe der Oligopolis Boswash[1] niederstürzen.
Vor dem Mann flammte ein Licht grellrot auf. Die Feuerleitautomatik hatte das Ziel angepeilt und jetzt fest im Griff; jede Bewegung des Flugkörpers wurde automatisch verfolgt. »Viel Spaß«, wünschte Roger, als er den Knopf niederdrückte. Der säulendicke Strahl, der jetzt zum Himmel hinaufzuckte, war hundertfach heller als die Sonne; normalerweise genügte ein Treffer, um das Zielobjekt in Stücke zu reißen.
»Verdammt!« lautete Rogers wenig einfallsreicher Kommentar, als das Ziel immer noch auf dem Radarschirm verblieb.