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»Bei Gott!« schrie Flambeau. »Endlich am Ziel! Das hier ist die Schilfinsel, wenn es je eine gegeben hat. Hier ist das Schilfhaus, wenn es das überhaupt irgendwo gibt. Ich glaube, der fette Mann mit der Bartkrause war eine Fee.«

»Vielleicht«, merkte Father Brown unparteiisch an. »Wenn er eine war, dann war er eine böse Fee.«

Aber während er noch sprach, hatte der ungeduldige Flambeau sein Boot im rauschenden Ried ans Ufer gelegt, und sie standen auf der langen sonderbaren Insel neben dem alten und schweigenden Haus.

Das Haus stand, wie sich ergab, mit der Rückseite zum Fluß und zum einzigen Landesteg; der Haupteingang war auf der anderen Seite und blickte auf den langen Inselgarten hinab. Die Besucher näherten sich ihm also auf einem schmalen Pfade, der nahezu drei Seiten des Hauses umrundete, dicht unter der niedrigen Dachrinne. Durch drei verschiedene Fenster auf drei verschiedenen Seiten blickten sie in den gleichen langen hellen Raum, getäfelt mit hellem Holz und vielen Spiegeln, und wie für ein elegantes Gabelfrühstück hergerichtet. Die Vordertür war, als sie sie endlich erreichten, von zwei türkisblauen Blumentöpfen flankiert. Sie wurde von einem Butler des griesgrämigen Typs – groß, mager, grau und schlaff – geöffnet, der murmelte, daß Prinz Saradine gegenwärtig nicht anwesend sei, aber stündlich erwartet werde; das Haus sei in Bereitschaft für ihn und seine Gäste. Die Vorweisung der Karte mit dem Gekritzel in grüner Tinte erweckte einen Lebensfunken im pergamentenen Gesicht dieses melancholischen Verwesers, und mit einer gewissen zittrigen Höflichkeit schlug er vor, daß die Fremden bleiben sollten. »Seine Hoheit kann jede Minute hier sein«, sagte er, »und würde betrübt sein, daß er einen Herrn verpaßt hätte, den er eingeladen hat. Wir haben Anweisung, immer eine kleine kalte Mahlzeit für ihn und seine Freunde bereitzuhalten, und ich bin sicher, er wünscht, daß sie jetzt angeboten wird.«

Neugierig auf den Weitergang dieses kleinen Abenteuers, nahm Flambeau mit Würde an und folgte dem alten Mann, der ihn zeremoniös in den langen, hell getäfelten Raum geleitete. Daran war nichts besonders Bemerkenswertes außer der ziemlich ungewöhnlichen Wechselfolge von vielen langen und tiefreichenden Fenstern mit vielen langen und tiefreichenden ovalen Spiegeln, was dem Raum etwas einzigartig Leichtes und Wesenloses verlieh. Es war irgendwie, als speiste man im Freien. Ein oder zwei ruhige Bilder hingen in den Ecken: eines eine große graue Photographie eines sehr jungen Mannes in Uniform, ein anderes eine Rötelskizze von zwei langhaarigen Knaben. Als Flambeau fragte, ob die soldatische Person der Prinz sei, verneinte der Butler kurz; das sei des Prinzen jüngerer Bruder, Hauptmann Stephen Saradine, sagte er. Und damit schien der alte Mann plötzlich einzutrocknen und jeden Geschmack an einer Unterhaltung zu verlieren.

Nachdem das Gabelfrühstück mit ausgezeichnetem Kaffee und ausgezeichneten Likören abgerundet war, ward den Gästen der Garten gezeigt, die Bibliothek und die Haushälterin – eine dunkle schöne Dame von nicht geringer Majestät, fast eine plutonische Madonna. Es schien, daß sie und der Butler die einzigen Überlebenden des ursprünglichen ausländischen Haushalts des Prinzen waren, da alle übrigen Dienstboten im Haus neu und von der Haushälterin in Norfolk zusammengeholt worden waren. Diese Dame hörte auf den Namen Frau Anthony, aber sie sprach mit einem leichten italienischen Akzent, und Flambeau hatte keinerlei Zweifel, daß Anthony die Norfolk-Version eines lateinischeren Namens war. Mr. Paul, der Butler, hatte ebenfalls ein leicht ausländisches Aussehen, war aber in Sprache und Ausbildung englisch, wie viele der vollkommensten Diener des kosmopolitischen Adels.

So reizvoll und eigenartig das Anwesen auch war, es war doch von einer merkwürdigen leuchtenden Traurigkeit umfangen. Stunden verrannen in ihm wie Tage. Die langen fensterreichen Räume waren von Tageslicht erfüllt, aber es schien wie totes Tageslicht. Und durch alle anderen zufälligen Geräusche hindurch, das Gemurmel des Gesprächs, das Klirren der Gläser, die vorübereilenden Füße der Dienerschaft, konnten sie rings um das Haus das melancholische Geräusch des Flusses hören.

»Wir haben eine falsche Biegung genommen und sind an einen falschen Platz gekommen«, sagte Father Brown und blickte aus dem Fenster auf das graugrüne Riedgras und die silberne Strömung. »Macht nichts, manchmal kann man Gutes bewirken, indem man die richtige Person am falschen Platz ist.«

Father Brown, obwohl im allgemeinen schweigsam, war ein ungewöhnlich einfühlsamer kleiner Mann, und so sank er in jenen wenigen aber endlosen Stunden unbewußt tiefer in die Geheimnisse des Schilfhauses ein als sein Freund, der Detektiv von Beruf. Er besaß jene Gabe des freundlichen Schweigens, die so wichtig für Klatsch ist; und indem er kaum ein Wort sprach, erfuhr er von seinen neuen Bekannten wahrscheinlich alles, was sie überhaupt zu erzählen bereit waren. Natürlich war der Butler nicht mitteilsam. Er verriet eine mürrische, fast animalische Anhänglichkeit an seinen Herrn, dem, wie er sagte, sehr übel mitgespielt worden sei. Der Hauptübeltäter schien Seiner Hoheit Bruder zu sein, dessen Name allein schon die hohlen Wangen des Alten länger werden und seine Papageiennase sich höhnisch verziehen ließ. Hauptmann Stephen war offenbar ein Tunichtgut und hatte seinen wohlwollenden Bruder um Hunderte und Tausende erleichtert; ihn gezwungen, aus dem mondänen Leben zu flüchten und ruhig in dieser Zurückgezogenheit zu leben. Das war alles, was Paul der Butler zu sagen bereit war, und Paul war offensichtlich Partei.

Die italienische Haushälterin ging etwas mehr aus sich heraus, vermutlich war sie, stellte Brown sich vor, etwas weniger zufrieden. In der Sprache über ihren Herrn war einige Schärfe, zugleich aber auch eine gewisse Ehrfurcht. Flambeau und sein Freund standen in dem Raum mit den Spiegeln und betrachteten die Rötelskizze der beiden Knaben, als die Haushälterin aus irgendwelchen häuslichen Gründen hereingeeilt kam. Es gehörte zu den Eigentümlichkeiten dieses glitzernden, spiegelgetäfelten Raumes, daß jeder, der ihn betrat, in vier oder fünf Spiegeln zugleich gespiegelt wurde; und Father Brown brach, ohne sich umzuwenden, mitten in einem Satz der Familienkritik ab. Aber Flambeau, der das Gesicht unmittelbar vor das Bild hielt, sagte gerade mit lauter Stimme: »Ich vermute, die Brüder Saradine. Beide sehen unschuldig genug aus. Es wäre schwer zu sagen, welcher der gute Bruder ist und welcher der böse.« Dann wurde ihm die Anwesenheit der Dame bewußt, und er gab dem Gespräch eine harmlose Wendung und schlenderte in den Garten hinaus. Father Brown aber blickte weiter mit ruhigem Blick auf die Rötelskizze; und Frau Anthony blickte weiter mit ruhigem Blick auf Father Brown.

Sie hatte große und tragische braune Augen, und ihr olivenes Gesicht glühte dunkel in einer merkwürdigen und peinlichen Verwunderung – wie bei jemandem, der über Identität und Absicht eines Fremden im Zweifel ist. Ob nun des kleinen Priesters Gewand und Glaube irgendwelche südlichen Beichterinnerungen in ihr berührten oder ob sie sich einbildete, er wisse mehr als er tat, jedenfalls sagte sie mit leiser Stimme zu ihm wie zu einem Mitverschworenen: »Auf seine Weise hat er schon recht, Ihr Freund. Er sagte, es wäre schwer, den guten und den bösen Bruder herauszufinden. Oh, es wäre schwer, es wäre sehr schwer, den guten Bruder herauszufinden.«

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