Er hörte Inch rufen:»Schaffen Sie die Trödler an die Besanbras-sen! Wecken Sie die Kerls auf, verdammt noch mal!»
Hier und da klatschte ein Tampen auf einen bloßen Rücken, während in die Matrosen Leben kam. Ein Monat vergleichsweiser Untätigkeit forderte seinen Preis, und es brauchte mehr als freundliche Worte, die Leute an die Brassen und Fallen zu treiben.
«Marssegel setzen!»
Gascoigne rannte über das Deck, als das Schiff sich gewichtig überlegte und mit knatternden Segeln an den Wind ging, während sich das Ankerspill, von einem atemlosen Shanty begleitet, noch drehte.
«Flaggschiff an Hyperion, Sir. «Seine Augen tränten, weil Sonnenlicht in sein Teleskop fiel.»Mehr Beeilung!»
Bolitho lächelte.»Bestätigen Sie. «Pelham-Martin wollte keine Nachlässigkeit dulden, so lange sie von einem holländischen Schiff begleitet wurden. Die Telamon bot einen prachtvollen Anblick: ihr vergoldetes Heck glänzte wie ein Tempelaltar, und auch die dunkle Haut ihrer auf den Rahen ausgeschwärmten Matrosen schimmerte, als ob sie lackiert und poliert wären.
Doch auf Lequillers Schiffe würde das wenig Eindruck machen, dachte er. Die Telamon war über fünfzig Jahre alt, und ihre Kanonen waren der Artillerie der Franzosen nicht gewachsen. Den größten Teil ihres Daseins hatte sie hier draußen verbracht. Ihre Planken waren wahrscheinlich verrottet, trotz der vergoldeten Schnitzerei und der stolzen Flaggen.
Er wandte den Blick zur Hermes, die über Stag ging, um ihre Position hinter dem Holländer einzunehmen. Sie dagegen sah Zoll für Zoll wie ein kampferprobter Krieger aus: fleckig und zernarbt, mit mehr als nur einem Flicken in ihren ausgebleichten Segeln.
Inch sagte:»Die Indomitable setzt Bramsegel, Sir.»
«Sehr gut. Tun Sie das gleiche, Mr. Inch. «Bolitho schwankte etwas, als sich das Deck leicht unter ihm hob. Genau wie er schien das Schiff froh zu sein, das Land hinter sich zu lassen.
Er blickte nach oben, um zu sehen, wie die Segel von den Rahen fielen und die winzigen Silhouetten der Toppsgasten um die Wette aufenterten, um die Befehle vom Deck zu befolgen. Er sah Pascoe im Großmast, der geschickt dem Rollen des Schiffes folgte. Den Kopf in den Nacken geworfen, sah er den bezopften Matrosen nach, die an ihm vorbeischwärmten, während weitere Leinwand ausgeschüttelt wurde und sich an den Rahen blähte. Sein Hemd stand bis zum Gürtel offen, und Bolitho konnte erkennen, daß seine Haut schon gebräunt war und seine Rippen weniger vorstanden als damals, als er an Bord gekommen war. Pascoe lernte schnell und gut, doch aus dem, was Bolitho in St. Kruis von ihm gesehen und gehört hatte, wußte er, daß der Junge sich von den anderen Mids-hipmen fernhielt und seinen Kummer wie eine latente Krankheit nährte.
Gossett sang aus:»Kurs West zu Süd, Sir.»
«Sehr gut. «Bolitho ging nach Luv hinüber, um die Landzunge vorbeiziehen zu sehen. Winzige Gestalten liefen am Rand der brüchigen Felsen entlang, wo das französische Landekommando im Schutz der Dunkelheit gegen die Batteriestellung vorgegangen war.
In weiter Ferne konnte er Backbord voraus einen winzigen weißen Splitter am Horizont ausmachen: eine der Schaluppen, die vorausgeschickt worden waren, um mit einem Minimum an Verzögerung Kontakt mit den Fregatten aufzunehmen und ihnen PelhamMartins Befehle zu überbringen.
Zu Inch sagte er ruhig:»Setzen Sie vorläufig nicht mehr Segel. Ich fürchte, daß wir mit unserem sauberen Kupferbeschlag sonst die Hermes überholen.»
Inch grinste.»Aye, Aye, Sir.»
Erst jetzt wurde es Bolitho bewußt, daß Inch ohne den geringsten Fehler das Schiff in Fahrt gebracht hatte, während er so in seine Gedanken vertieft gewesen war, daß er kaum darauf geachtet hatte.
Er sah seinen Leutnant ernst an.»Aus Ihnen werden wir noch einmal einen Kommandanten machen, Mr. Inch.»
Er ließ einen noch breiter grinsenden Inch zurück und ging nach achtern in seine Kajüte, wo er sich seinen Gedanken überlassen konnte.
IX Rückzug
Der dritte Tag nach dem Auslaufen von St. Kruis dämmerte hell und klar. Der Himmel war wolkenlos und eisblau. Die See wurde von einem ungestümen Nordost gepeitscht und erstreckte sich als ein endloses Muster aus kleinen Schaumkronen, von der Sonne gelb überhaucht, bis zum fernen Horizont.
Während der Nacht hatten die Schiffe sich trotz der eindringlichen Signale von Pelham-Martin zerstreut, und es brauchte viele nervenstrapazierende Stunden, bis die Formation zu seiner Zufriedenheit wiederhergestellt war. Jetzt liefen die Schiffe mit halbem Wind und in der steifer werdenden Brise stark nach Steuerbord krängend nach Südosten der schattenhaften Küste entgegen, wo nur die tiefer landeinwärts gelegenen, hochragenden Berge von der Sonne erreicht wurden. Die Bucht von Lac Mercedes lag noch im Dunst verborgen.
Bolitho stand auf dem Achterdeck und hielt sich mit einer Hand an den Netzen. Trotz der schon herrschenden Wärme war ihm kalt, und die Augen schmerzten ihn vom angestrengten Beobachten des Landes, das aus dem Schatten auftauchte und mit dem anbrechenden neuen Tag Umriß und Gestalt gewann. Seit sie Anker gelichtet hatten und ausgelaufen waren, hatte er kaum an etwas anderes gedacht als an diesen Augenblick. Während die Schiffe nach Westen segelten, ehe sie im Schutz der Dunkelheit nach Süden abdrehten und einen Kurs auf das Land zu einschlugen, hatte er darüber nachgedacht, was Pelham-Martin tun würde, falls die Franzosen die Bucht bereits geräumt hatten und meilenweit entfernt waren, so wenig faßbar wie bisher. Oder, schlimmer noch, falls de Blocks Schoner falsch informiert worden war und Lequiller sich nie in dieser Gegend aufgehalten hatte.
Falls das eine oder andere zutraf, konnte kaum jemand wissen, wo die Spur wiederaufgenommen werden sollte. Zwei Geschwader zum Gefecht zusammenzuführen, hing mehr vom Glück als von der Planung ab; auch konnte Lequiller sich entschlossen haben, nach Frankreich zurückzukehren oder andere Pläne am anderen Ende der Welt zu verfolgen.
Um sich herum und unter sich spürte Bolitho das Beben und Knarren des Rumpfs, während das Schiff unter gekürzten Segeln den anderen auf die Bank von blassem Dunst folgte. Sobald es hell genug zum Signalisieren gewesen war, hatte Pelham-Martin ihnen Gefechtsbereitschaft befohlen, und jetzt wartete die Besatzung der Hyperion wie die der anderen Schiffe in fast völliger Stille bei ihren Kanonen oder hoch über Deck, oder wie Trudgeon, der Schiffsarzt, tief unten im Rumpf.
Mehrere Teleskope hoben sich gleichzeitig wie auf einen lautlosen Befehl, und Bolitho sah das blasse Rechteck eines Segels Steuerbord weit voraus. Es war die Fregatte Abdiel, der Pelham-Martin befohlen hatte, sich von der entgegengesetzten Seite der Bucht zu nähern und jedes Lebenszeichen zwischen ihren schützenden Landarmen zu melden.
Leutnant Roth stand neben seinen Neunpfündern auf dem Achterdeck und meinte laut:»Jetzt werden wir's ja bald wissen, wie?«Aber er verstummte sofort unter Bolithos finsterem Blick.
Midshipman Gascoigne war mit seinem Teleskop bereits in den Luvwanten und nagte konzentriert an seiner Unterlippe. Wahrscheinlich war ihm die lebenswichtige Bedeutung des ersten Signals schon bewußt.
Stahl klirrte gegen Stahl, fast so laut wie ein Schuß. Als Bolitho den Kopf drehte, sah er Allday auf sich zukommen, der seinen alten Säbel wie einen Talisman vor sich hertrug.
Trotz seiner Befürchtungen gelang es Bolitho zu lächeln, als All-day ihm den Säbel umgürtete. Er zumindest schien keinen Zweifel daran zu haben, was der Tag bringen würde.
«Die Abdiel signalisiert, Sir!«Gascoignes Stimme krächzte vor Aufregung.»An Indomitable: Vier feindliche Schiffe vor Anker in der Bucht. «Lautlos bewegte er die Lippen, während er weiter ablas.